30. April 2012

Die „Rolle des Gedenkens” in Berlin

Von nst_xy

Mahnmal gegen das Vergessen

Taschentücher sind Zeichen der Trauer. Bei der „Rolle des Gedenkens” in Berlin helfen sie bei der Verarbeitung von Traumata.

Ein textiles Mahnmal, das an Menschen erinnert, die seit Beginn des Krieges 1991 in Südosteuropa getötet worden sind: Das ist die „Rolle des Gedenkens”. Sie besteht aus unzähligen Stofftaschentüchern. Jedes einzelne ist mit dem Namen und den Lebensdaten eines Menschen bestickt, der im Krieg der 90er-Jahre sein Leben verlor. Die Tücher sind außerdem individuell mit Ornamenten und Blumen geschmückt und werden danach miteinander in ein textiles Raster eingefügt und zu einem langen Stoffband verbunden, das auch angefordert und ausgestellt werden kann.

Es sind die Angehörigen, Freunde oder Nachbarn der Opfer, zumeist Frauen, die diese Tücher anfertigen. Die Idee dazu stammt von Anna Braegger und ist im Rahmen der Therapiearbeit mit Flüchtlingen aus Südosteuropa beim Südost Europa Kultur e.V. in Berlin entstanden.

„Das Sticken ist eine Fortsetzung der therapeutischen Arbeit mit den traumatisierten bosnischen Frauen”, erklärt die Geschäftsführerin, Bosiljka Schedlich. Sie hat den Verein 1991 zur Förderung der Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Südosteuropa gegründet. Damals griffen die Konflikte innerhalb der unterschiedlichen Volksgruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien auf die in Berlin lebenden Bürger über, und der Dialog zwischen diesen Gruppen wurde immer schwieriger.

In den folgenden Jahren hat der Verein sich auch immer mehr um Frauen gekümmert, die den Verlust ihrer Männer, Brüder und Söhne verarbeiten mussten. „Seide ist brüchig. Und Taschentücher sind voller Symbolik für Trauer, Abschied und Verlust”, erklärt Schedlich in einem Video auf youtube ‘. „Gleichzeitig sind sie auch ein Symbol für Freude – man winkt mit Tüchern, wenn man tanzt.” Das Sticken ist schwere Arbeit für die Frauen. Manche haben 70, 80 Tücher für Angehörige und Nachbarn gestickt. Andere Frauen schaffen nicht einmal eines, weil sie noch nicht durch den Trauerprozess hindurch sind. Manche sticken aus Solidarität für sie mit.

Eine der Stickerinnen, Begzada Alatovic, erklärt: „Das war für mich als Frau, die ihren Mann verlor, die einzige Möglichkeit, diesen Verlust zu markieren.” Und Kada Calu- kovic erklärt: „Die Rolle des Gedenkens erinnert mich an menschliches Leid, das viele leider erleiden mussten. Es erinnert mich an meine verlorene Jugend, und immer wenn ich diese Rolle sehe, tut es weh.”

Das Besticken ist für viele Überlebenden eine Hilfe. Sie werden unterstützt, ihre Erfahrung und Trauer zu verarbeiten und die Erinnerung an die Toten sichtbar zu machen. Gleichzeitig ist die Rolle des Gedenkens ein Mahnmal gegen das Vergessen, eine Aufforderung, Kriege zu verhindern. Und Bosiljka Schedlich ist überzeugt: „Jedes der Taschentücher enthält Erinnerungen, Gedanken und Tränen. Alle zusammen sind ein Zeichen für Hoffnung und Frieden, für ein Miteinander gegen das Vergessen.”
Gabi Ballweg

1) www.youtube.com: RolleDesGedenkens

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2012)

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