20. Januar 2015

100 Frauen und eine Quote

Von nst1

Offener Brief an Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer

Sehr geehrter Herr Kramer,

monatelang haben Politiker und Verbandsfunktionäre heftig über die Frauenquote in den Aufsichtsräten der großen börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Firmen gestritten. Am 11. Dezember hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf verabschiedet: Künftig sollen 30 Prozent der Aufsichtsräte in den betroffenen 108 Unternehmen weiblich sein. Bei rund 3 500 mittelgroßen Firmen ist der Gesetzgeber weniger streng: Sie sollen selbst festlegen, wie viele Frauen sie in den Führungsetagen haben wollen.

Ganz ehrlich: In meinen Augen ist die Diskussion um die Quote ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Zeigt sie doch, dass Gleichberechtigung heute – wie vor dem Frauenwahlrecht in der Weimarer Republik und dann immer wieder – nur mit Druck umzusetzen ist. Zu viele Absichtserklärungen blieben folgenlos. Qualifikation und Leistung reichen anscheinend nicht, um eingefahrene Strukturen und tradiertes Rollendenken aufzubrechen.

Eines der häufigsten Argumente gegen die Quote haben Sie so formuliert: Selbstverständlich brauche es qualifizierte Frauen in der Führung, aber man müsse „eben auch die richtigen finden, die das können“. Neben der Qualifikation spielen Sie damit auf die Erfahrung an, die uns Frauen in Aufsichtsräten und Chefetagen fehlt. Dabei ist das nicht allein uns anzulasten. Untersuchungen zeigen eindeutig, dass Entscheider in Politik und Wirtschaft dazu tendieren, ihresgleichen in Spitzenämter zu holen. Solange wir dort allzu geschlossene Systeme haben, wird sich also nichts ändern. Deshalb kann die Quote durchaus etwas bewirken. Wir wissen alle, wie viel ein neues Element in einem System bewirken kann: Die Runde wird offener, kreativer, effektiver. Außerdem: Auch Männer steigen nicht nur wegen ihrer Leistungen auf. Herkunft und Netzwerke sind mindestens genauso wichtig. Wie viele Männer ohne die nötige Erfahrung derzeit in Aufsichtsräten sitzen, belegt eine kürzlich von der Frankfurter Personalberaterin Angela Hornberg vorgelegte Liste.

Neben der ernüchternden Erkenntnis über die Hartnäckigkeit von Rollenbildern hatte die Diskussion aber auch Erheiterndes. Wenn etwa der Untergang der deutschen Wirtschaft befürchtet wurde – wegen eines Gesetzes, bei dem es um etwa 100 Frauen geht! Zum Schmunzeln, oder? Es geht eben nicht nur um sachliche Argumente, sondern genauso um (Verlust-)Ängste!

Trotz allem, Herr Kramer, was ich bisher für die Quote sagte: Ich selbst bin seit Jahren hin und her gerissen, was ich von Quoten halten soll. Denn: Welche qualifizierte und engagierte Frau will schon als Quotenfrau nach oben kommen – oder auch nur in den Verdacht, allein deshalb eine bestimmte Position erreicht zu haben? Und: Die Quote – da brauchen wir uns nichts vorzumachen – ist allenfalls ein Türöffner. Sie allein reicht nicht aus, wenn wir nicht auch unsere Unternehmens- und Führungskultur ernsthaft hinterfragen und verändern.

Das Beste an der Diskussion ist deshalb, dass sich viele mit dem Thema auseinandersetzen müssen. So mancher kommt damit in Zugzwang. Deshalb hoffe ich, dass sich durch die Quote so viel in den Köpfen und Strukturen verändert, dass sie über kurz oder lang wieder überflüssig wird. Letztlich wird es nur im Respekt vor der Unterschiedlichkeit und den je anderen Gaben gelingen, die richtigen Lösungen zu finden. Denn – und ich glaube, da sind wir uns einig – Gleichberechtigung ist letztlich keine Frage des Proporzes.

Ihre

Gabi Ballweg,
Redaktion NEUE STADT

Unser offener Brief richtet sich an Ingo Kramer, 61, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Er vertritt rund eine Million Betriebe mit insgesamt 20 Millionen Beschäftigten. Der BDA hat sich mehrmals gegen die im Dezember vom Deutschen Kabinett beschlossene Einführung einer Frauenquote für Aufsichtsräte in großen Betrieben ausgesprochen.

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar-Februar 2015)
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