10. März 2015

Zwischen Hunger und Überernährung

Von nst1

Die zweite Welternährungskonferenz fand im letzten November in Rom statt. Worum ging es und was brachte sie?

Zur Zweiten Welternährungskonferenz hatte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeladen. Ziel war eine Bilanz über die weltweite Ernährungssituation. 22 Jahre nach dem ersten Gipfel haben rund 170 Staaten teilgenommen.
2012 gab es weltweit 805 Millionen unterernährte Menschen, davon 161 Millionen Kinder. Das bedeutet zwar – trotz wachsender Weltbevölkerung – einen leichten Rückgang im Vergleich zu den 1,2 Milliarden Hungernden im Jahr 1992. Allerdings stehen ihnen heute 500 Millionen Erwachsene und 42 Millionen Kinder gegenüber, die übergewichtig sind.
Mangelversorgung und ungleiche Verteilung von Nahrungsmitteln waren deshalb zentrale Themen. Bei den Statistiken erschrecken die hohe Zahl der „Abfälle“ – rund ein Drittel aller produzierten Nahrungsmittel – und die 23 Prozent, die als Biokraftstoffe und Tierfutter verwendet werden.
Vincenzo Buonomo ist Professor für Völkerrecht an der Lateranuniversität und war an der Ausarbeitung der Abschlusserklärung und des 60 Punkte umfassenden Aktionsplanes beteiligt. Unsere italienischen Kollegen sprachen mit ihm über die Konferenz, den Besuch des Papstes und die geringe Beteiligung der Regierungschefs.

Herr Buonomo, wie viel Einfluss haben die Finanzmärkte auf den Hunger in weiten Teilen der Welt?

Seit 2008 haben sich die Lebensmittelpreise im Vergleich zu 2001 verdoppelt, und das nicht nur infolge des Klimawandels, sondern auch aufgrund von Finanzspekulationen: So sind die für Weizen, Reis, Mais und Sojabohnen an der Chicagoer Börse festgesetzten Preise an Pensionsfonds bestimmter Berufsgruppen gebunden, auch aus dem Agrarsektor. Je höher dabei der Preis für diese Lebensmittel ist, umso mehr geht dann in den Fonds. Die Spekulationen haben so aus Lebensmitteln eine x-beliebige Handelsware gemacht; dabei ging deren grundlegender Wert für das menschliche Leben verloren. Diese Schieflage hat auch der Papst unterstrichen und betont, dass der Hungernde an der Straßenecke um sein Recht auf Nahrung bitte. „Er bittet uns um Würde, nicht um ein Almosen.“

Warum waren so wenige Regierungschefs beim Gipfel?

Das kann man gut an den beiden verabschiedeten Dokumenten sehen: der Abschlusserklärung und dem Aktionsplan. Niemand will sich ganz zurückziehen. Aber keiner will verpflichtende Zusagen auf sich nehmen, alle verschanzen sich hinter der weltweiten Wirtschaftskrise. Nach dem Motto: Jeder hat Hungernde im eigenen Land, wie soll er da auch noch an einen Einsatz für andere denken. Man vergisst dabei: Wenn in Italien die Zahl der Armen wächst, handelt es sich dort um ein soziales Problem, für das man Lösungen finden kann. In Schwarzafrika hingegen geht es um eine strukturelle Frage; dort genügt keine Sozialpolitik, um das Problem anzugehen. Außerdem ist Hunger keine Frage, die man innerhalb einer Legislaturperiode lösen könnte, auch deshalb findet sie wenig Beachtung. Der Papst hat alle eindringlich gewarnt, das Wort Solidarität aus ihrem Vokabular zu streichen.

Wurde die Erklärung von Rom einstimmig angenommen oder gab es kontroverse Stimmen?

Das Dokument wurde grundsätzlich begrüßt und FAO und WHO werden nun darauf hinwirken, dass die Länder die festgelegten Ziele erreichen. Es gab allerdings Punkte, die heiß diskutiert wurden; vor allem die Schulung zu einer gesunden Ernährung sowohl in Entwicklungs- als auch in entwickelten Ländern. Im Westen geht es um Überernährung und darum, dass zu viele Lebensmittel verderben und weggeworfen werden. Im Süden geht es darum, den regionalen Anbau zu fördern, um die Eigenversorgung zu gewährleisten. Hirse und Sorghum zum Beispiel sind wichtige Produkte in vielen Ländern mit „chronischem Hunger“. Aber anstatt den Anbau zu fördern, gibt es Hilfslieferungen aus dem Ausland. Das schafft Abhängigkeit von Großbetrieben, die sich die Produkte – die wir in der nördlichen Halbkugel für glutenfreie Nahrung brauchen – teuer bezahlen lassen. Die Bevölkerung vor Ort hat keine oder zu niedrige Einkommen, kann diese Preise nicht zahlen und hat nichts zu essen.

Die Frage der Anbauflächen bleibt also ein großes Problem …

Sorgen bereitet da vor allem das sogenannte „Land Grabbing“, also der Landraub von multinationalen Unternehmen und einigen Regierungen, die die Souveränität der Staaten untergraben. In Afrika kaufen sie große Ackerflächen, aber die dort produzierten Lebensmittel gehen ins Ausland. Die lokale Bevölkerung ist doppelt arm, weil sie weder etwas zu essen noch Land hat. Und Frauen, die das Land zwar bewirtschaften, dürfen es in vielen Ländern jedoch nicht besitzen. Die unsichere Rechtslage lässt keine entsprechende Planung des familieneigenen Anbaus zu, weil sie das Land von heute auf morgen verlieren können.

Was kann man im Alltag tun?

Unseren Lebensstil ändern, achtsam mit Lebensmitteln umgehen, sie nicht verderben lassen, den richtigen Umgang damit lernen. Denn auch scheinbar kleine Gesten haben Einfluss auf die Nachhaltigkeit und Zukunft der Menschheitsfamilie.
Außerdem kann man sich dafür einsetzen, dass die reichen Länder ohne Hintergedanken ihren Beitrag zum Kampf gegen Hunger leisten! Nach den von der Konferenz bestätigten Hochrechnungen wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 auf neun Milliarden anwachsen. Um das aktuelle Versorgungsniveau zu halten, müssen wir die Nahrungsproduktion um 50 Prozent steigern, wenn wir auch die Unterernährung bekämpfen wollen, sogar verdoppeln.
Diese Daten können uns beeindrucken, aber sie sollten vor allem unsere Einstellung zu den natürlichen Lebensgrundlagen und zum Verbrauch ändern. Sonst riskieren wir die Zukunft der Menschheitsfamilie.
Maddalena Maltese

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2015)
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