19. Mai 2015

Wie ein Säurebad

Von nst1

Der Architekt Franz Kronreif hat viele atheistische Freunde. Mit ihnen lebt der überzeugte Christ einen Dialog in der gemeinsamen Verantwortung für die Welt. Das ist schweißtreibend, faszinierend, bereichernd.

Es gibt sicher nicht allzu viele Architekten, die ein abgeschlossenes Theologiestudium haben und noch weniger, die als Motivation dafür angeben: „Weil die Kommunistische Partei mich dazu verleitet hat!“ Franz Kronreif sagt das mit einem ansteckenden und herzlichen Lachen. Ein wenig ernster fügt er aber sofort hinzu: „Der Dialog mit Atheisten war eine Vertiefung ins Christentum, wie ich sie vorher nie erlebt habe.“

Dialog ist keine Theorie, sondern Leben pur, ein Weg, den Personen – nicht Institutionen! – miteinander gehen, so lautet eine Grundüberzeugung des Österreichers. Und der Weg, den er seit 18 Jahren zusammen mit seinem Freund Walter Baier von der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) geht, führte ihn am 18 September 2014 sogar in den Vatikan: Er war dabei, als Alexis Tsipras und Walter Baier eine halbstündige Privataudienz bei Papst Franziskus hatten. Der Papst und die beiden Linkspolitiker „kamen überein, weiterhin in Rufweite zu bleiben.“

Gebürtig ist Franz Kronreif aus einem kleinen Bergdorf im Salzburger Land. Der Talkessel war eng – „und auch die Perspektive: Um den Himmel zu sehen, hab’ i aufschaun müssen.“ Obwohl er schon über vierzig Jahre von dort weg ist, hört man seine Heimat noch, sobald Franz Kronreif den Mund aufmacht. Aufgewachsen in einem katholisch geprägten Umfeld, hat er 15,16-jährig die chinesische Kulturrevolution verfolgt – und sich die Mao-Bibel kommen lassen. „Ich wollte damit leben! Aber das hat sie nicht hergegeben“, erzählt er feixend von dieser „kurzen Episode“. Zufällig ist er dann in ein Treffen geraten, bei dem es um das „Wort des Lebens“ ging: „Das hat mich gleich weggeputzt.“ Das Leben nach dem Evangelium führte ihn immer tiefer in die Fokolar-Bewegung, bis hin zur Entscheidung, sein Leben ganz Gott zur Verfügung zu stellen.

Während seines Architekturstudiums in Wien Anfang der 1970er-Jahre wurde seine christliche Identität bekannt und im eher links durchsetzten Umfeld hat er „schöne Abreibungen“ bekommen. Franz stellte sich den Vorwürfen der Kommilitonen, ließ sich davon aber nicht ausbremsen: Er unterstützte sie weiter bei ihren Arbeiten und ist heute überzeugt: „Das kam mir nachher zugute. Als wir ein Architekturbüro eröffneten, war ich bestens vorbereitet auf den Bereich Sanierung – eine Nische, die wir bis heute erfolgreich besetzen.“

Als Franz Kronreif in den 1990er-Jahren mitverantwortlich für die Fokolar-Bewegung in Österreich war, ergab sich – „mehr aus Zufall“ – der Kontakt mit Führungspersönlichkeiten der KPÖ. Von Anfang an war Walter Baier mit dabei. Der Ökonom war von 1994 bis 2006 KPÖ-Vorsitzender und koordiniert seitdem das europäische Netzwerk „transform! Europe“, das aus 27 linken Forschungs- und Bildungseinrichtungen aus 19 Ländern besteht. Die beiden lernten einander kennen und schätzen. Viele konkrete Anliegen verbanden sie. So waren sie mehrere Male gemeinsam beim Weltsozialforum, zuletzt 2011 in Dakar.

„Als der zweite Irakkrieg vor der Tür stand und der Papst aufgefordert hat, alles zu tun, um diesen Krieg zu verhindern,“ erinnert sich Franz Kronreif, „schlug ich Walter vor, gemeinsam etwas zu unternehmen.“ Dadurch kamen sie sogar ins Fernsehen. „Das politische Journal titelte: Wenn die Kommunisten und die selbst innerhalb der Kirche als besonders fromm bekannte Fokolar-Bewegung sich zusammentun, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass eine Friedensbewegung neuen Typs im Entstehen begriffen ist.“

Beide sind in die Kritik geraten: Baier in der Partei und Kronreif im kirchlichen Umfeld. Für ihre Freundschaft war das allerdings ein Schlüsselmoment, ist Franz Kronreif überzeugt. „Wir haben etwas gemeinsam gemacht, riskiert, gelitten, Leben geteilt. Es war eine heiße Partie.“ Unweigerlich kam es zu Gesprächen über das, was den anderen beschäftigte. Franz Kronreif etwa war einbezogen in die Diskussion des neuen Parteiprogramms. Dabei übte er sich in einer Haltung, die für ihn Voraussetzung für echten Dialog ist: Selbstentäußerung. „Um in die Haut des anderen zu schlüpfen, ihn und seine Ideen ganz zu verstehen, muss ich mich leer machen!“ Das fällt ihm nicht immer leicht. Trotzdem ist es für ihn immer wieder eine „säkulare mystische Erfahrung“. Sie führt dazu, dass der andere sich öffnen kann, sich verstanden weiß.  Gleichzeitig entbindet diese Haltung nicht davon, „dann auch Farbe zu bekennen, wenn der andere wissen will, was ich denke.“ Allerdings, schränkt er ein: „Der erste Schritt ist nicht das Reden, sondern das Leben!“

Immer öfter kam Kronreif so in Situationen, „da musst du halbwegs Bescheid wissen, sonst bist du oberflächlich oder ängstlich.“ Wie etwa auf dem Flughafen in Wien, als sie auf die Dreifaltigkeit zu sprechen kamen. „Zunächst ging’s ja noch. Bei der Frage, warum da keine Frau dabei ist, war ich dann ehrlich froh, dass unser Flug aufgerufen wurde.“

Einwände, mit denen er nicht rechnet, oder auch Kritik, die wehtut: Franz Kronreif hat gelernt, keine Angst davor zu haben. „Selbst wenn’s beißend ist, zeigt es einfach, dass ich – oder die Kirche allgemein – etwas noch nicht ausreichend erklärt oder womöglich selbst noch nicht verstanden habe.“ Und das ist zuallerst eine Aufforderung, sich eingehender damit auseinanderzusetzen.

„Dialog ist da wie ein Säurebad. Es brennt dir einiges runter, auch Dinge, die du vorher für wichtig gehalten hast und wo du jetzt merkst: Darauf kommt’s ja gar nicht an.“

Darunter fallen für ihn auch kulturelle Überformungen des Christentums, die schönes Beiwerk sind und es auch bleiben dürfen, aber an Zentralität verlieren.

Theologie ist längst nicht das einzige Thema, das der Architekt im Lauf der Jahre mit seinen Freunden vertieft hat. Seine Freundschaft zum russischen Atheisten Iuri Pismak, einem bekannten Quantenphysiker, brachte ihn dazu, sich „durch sechs Bücher über Quantenphysik zu fressen. Das ist schweißtreibend, aber wenn ich da nicht mitreden kann, kommen wir im Gespräch nicht weiter.“

Dialog in diesem Sinn entsteht nicht aus Einmalevents, sondern braucht Ausdauer, Treue und Offenheit. Das bestätigen Franz Kronreif auch seine Kontakte in den Jahren 2007 bis 2014, als er am Zentrum der Fokolar-Bewegung in Rom für den Dialog mit Menschen nichtreligiöser Weltanschauung zuständig war. Der Dialog bleibt für ihn etwas sehr Zerbrechliches – „Du gehst über einen Schwebebalken in luftiger Höhe.“ – und Geheimnisvolles: „Nicht selten erfassen sie zentrale christliche Inhalte tiefer als gläubige Christen.“ Wie etwa Faruk, ein bosnischer Atheist und Politiker, der seinen Freunden erklärte: „Für uns Atheisten ist das, was die Fokolare sagen, wenn sie von Jesus in der Mitte 1) sprechen, ein Unsinn. Doch muss ich zugeben, dass das mit ihnen zusammen Wirklichkeit ist.“

Man hört Respekt und Achtung, wenn Franz Kronreif von seinen Freunden spricht und unterstreicht: „Sie haben uns sehr viel zu geben. Nicht zuletzt brauchen wir sie, damit wir selbst unsere eigene Botschaft besser verstehen können.“
Gabi Ballweg

1) Nach der Zusage Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20)

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai 2015)
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