20. Mai 2015

Wort des Lebens Mai 2015

Von nst1

Für den anderen einstehen

Weil Gott uns zuerst geliebt hat, können auch wir – besonders in schmerzlichen und schwierigen Situationen – anderen nahe sein, uns schützend vor sie stellen, uns um sie kümmern. So werden wir glaubwürdige Zeugen der Liebe Gottes.

„Gott aber, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht.“ (Epheser 2,4f)

Als der Herr dem Mose auf dem Berg Sinai erschien, sagte er über sich selbst: „Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue.“ 1) Für die barmherzige Liebe Gottes gebraucht die hebräische Bibel das Wort rahamim, das an den Mutterschoß erinnert, jenen Ort also, aus dem das Leben hervorgeht. Wenn Gott sich als barmherzig bezeichnet, macht er deutlich, dass er sich mit mütterlicher Sorge um jedes seiner Geschöpfe kümmert: Er liebt es, ist ihm nahe, beschützt es, kümmert sich um es.

Auch Jesus hat von der Liebe Gottes gesprochen und ihn uns als „Vater“ geoffenbart, der uns nahe ist, alle unsere Bedürfnisse kennt, bereit ist, zu verzeihen und uns alles zu geben, was wir brauchen: „Er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ 2) Gottes Liebe ist wirklich „voll“ und „groß“, wie es der Epheserbrief beschreibt, aus dem das „Wort des Lebens“ für diesen Monat stammt.

„Gott aber, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht.“

Dieser Satz von Paulus ist geradezu ein Ausruf der Freude über das Außerordentliche, das Gott an uns getan hat: Wir waren gestorben, und er hat uns wieder lebendig gemacht.

Mit dem einleitenden „aber“ unterstreicht Paulus den Kontrast zu der tragischen Verfasstheit der menschlichen Existenz, die er zuvor beschrieben hat: Von Schuld und Sünde niedergedrückt, war die Menschheit gefangen in ihren egoistischen Begierden, stand unter dem Einfluss der Kräfte des Bösen und war in offenem Ungehorsam Gott gegenüber. Sie hätte den Zorn Gottes verdient gehabt. Gott aber – so beschreibt es Paulus voll Erstaunen – straft die Menschen nicht, sondern schenkt ihnen das Leben zurück. Er lässt sich nicht vom Zorn leiten, sondern von Erbarmen und Liebe.

Jesus hatte dieses Handeln Gottes bereits anklingen lassen in den Gleichnissen vom barmherzigen Vater, der den auf Irrwege geratenen Sohn mit offenen Armen wieder aufnimmt 3); oder vom guten Hirten, der dem verlorenen Schaf nachgeht und es auf seinen Schultern nach Hause zurückbringt 4); oder vom guten Samariter, der sich um den Mann kümmert, der unter die Räuber gefallen ist 5).

Doch Gott, der barmherzige Vater, um den es in den Gleichnissen geht, hat uns nicht nur vergeben, sondern uns in seinem Sohn Jesus Christus die Fülle seines göttlichen Lebens geschenkt. Deshalb ruft Paulus voller Freude aus:

„Gott aber, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht.“

Dieses „Wort des Lebens“ müsste eigentlich bei uns die gleiche Freude und Dankbarkeit auslösen wie bei Paulus und den ersten christlichen Gemeinden. Auch gegenüber jeder und jedem von uns hat sich Gott „voll Erbarmen“ gezeigt, mit seiner „großen Liebe“, bereit zu vergeben und uns wieder voll und ganz zu vertrauen. Es gibt keine Situation von Sünde, Schmerz und Einsamkeit, in der er nicht gegenwärtig ist, sich an unsere Seite stellt, uns auf unserem Weg begleitet, uns Mut macht, uns wieder aufrichtet und uns die Kraft gibt, neu anzufangen.

Wenn Gott uns gegenüber „voll Erbarmen ist“ und uns seine „große Liebe“ zeigt, dann sollten auch wir barmherzig sein mit den anderen. Wenn er auch die „Bösen“ liebt, diejenigen, die ihm feindselig gestimmt sind, dann sollten auch wir lernen, die zu lieben, die nicht liebenswert, ja sogar unsere Feinde sind. Hat Jesus nicht gesagt: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden“ 6)? Hat er uns nicht aufgefordert, „barmherzig (zu sein), wie es auch euer Vater ist“ 7)? Auch Paulus lädt seine „von Gott geliebten“ und „auserwählten“ Gemeinden dazu ein, sich „mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld“ 8) zu bekleiden.

Wenn wir die Liebe Gottes erkannt und daran geglaubt haben, dann können auch wir eine Liebe praktizieren, die dem anderen – besonders in schmerzlichen und schwierigen Situationen – nahe ist, für ihn einsteht, sich schützend vor ihn stellt, sich um ihn kümmert.

Wenn wir so leben, werden wir glaubwürdige Zeugen der Liebe Gottes sein und den Menschen, mit denen wir zu tun haben, dabei helfen zu entdecken, dass Gott auch ihnen gegenüber „voll Erbarmen“ ist und ihnen seine „große Liebe“ zeigt.
Fabio Ciardi

1) Exodus 34,6; 2) Matthäus 5,45; 3) vgl. Lukas 15,11-32; 4) vgl. Lukas 15,3-7; 5) vgl. Lukas 10,30-37; 6) Matthäus 5,7; 7) Lukas 6,36; 8) Kolosser 3,12

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai 2015)
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