16. Dezember 2015

Energiewende auf Basis der Sonne

Von nst1

Wenn die Sonne als Primärenergie angesehen und das Klima nicht nur rein physikalisch betrachtet wird, ist eine Energiewende möglich. Davon ist der Energieexperte Bodo Wolf seit Jahren überzeugt.  Dann geht es auch nicht mehr nur um die Vermeidung von Kohlendioxid, sondern um ein neues Zeitalter der solaren Stoff und Energiewirtschaft. In der Umwelt-Enzyklika Laudato Si’ sieht er sich bestätigt.

Herr Wolf, als Energieexperte haben Sie aufgejubelt, als Sie die Umwelt-Ezyklika des Papstes gelesen haben. Warum?
WOLF: Weil hier zum ersten Mal das Oberhaupt einer Weltkirche selbstzerstörendes Fehlverhalten der Menschen unter sich und gegenüber der Schöpfung, auch in der Energiewirtschaft aufzeigt und klar sagt: „Wir wissen, dass die Technologie, die auf der sehr umweltschädlichen Verbrennung von fossilem Kraftstoff … beruht, fortschreitend und unverzüglich ersetzt werden muss.“ Außerdem äußert sich der Papst zur Überbetonung wissenschaftlicher Spitzenleistungen und mahnt die Macht des Geldes an. Diesen Mut zur Klarheit habe ich von der Kirche nicht erwartet.
Bisher sagen die Klimadogmatiker: Um die Umwelt zu retten, müssen wir den Kohlendioxid-Ausstoß verringern, damit die Erde sich nicht um mehr als zwei Grad erwärmt.

Na ja, den Klimawandel gibt es.
WOLF: Natürlich. Aber die Ansätze greifen zu kurz. Man geht davon aus, dass der Bilanzkreis die Strahlungsenergie der Erde ist. Darin spielt die Energiefreisetzung aus Kohle, Öl und Erdgas keine Rolle. Kernenergie und Geothermie sind demnach nicht relevant für die Erderwärmung, weil kein Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen wird.
Aber Primärenergie ist die Sonne! Es geht nicht um die Vermeidung von CO2, sondern um den Eintritt in ein neues Zeitalter, das durch den Aufbau einer solaren Stoff- und Energiewirtschaft gekennzeichnet ist. Wir müssen den Kosmos als Bilanzkreis nehmen! Darin ist die Erde selbst ein Energieumwandler. Sie bekommt Energie von der Sonne, wandelt diese über physikalische und chemische Energieträger letztlich in Wärme um und gibt sie an den Weltraum ab. Die Abstrahlung der Energie steht in Wechselbeziehung mit der Materie der Erde. Deren Bausteine sind die chemischen Elemente und die stehen direkt oder indirekt über ihre Energiepotenziale in Wechselbeziehungen. Es geht also nicht um „tote Materie“, sondern um einen Kreislauf mit ständigem Stoffaustausch.

Aber worauf beruht denn die heutige Klimalehre?
WOLF: Vereinfacht: Es sind rein physikalische Modelle. Demnach bekommen wir von der Sonne eine Leistung. Davon wird ein Teil gleich von den Wolken, ein anderer an der Erdoberfläche wieder in den Weltraum reflektiert. Ein weiterer Teil wird in der Atmosphäre und im Wasser absorbiert und der Rest trifft auf die Landfläche der Erde. Dort wird letztlich alles in Wärme umgewandelt und wieder abgestrahlt. Wenn man auf dieser Basis eine Energiebilanz erstellt, fehlen bis zu 0,9 Watt pro Quadratmeter. Und wenn man nach der Ursache für diese Negativbilanz fragt, wird die mit einem vom Kohlendioxid verursachten Treibhauseffekt erklärt, der die Energie zurückhält.

Und das sehen Sie anders?
WOLF: Es greift zu kurz. Dabei werden die Stoffaustauschprozesse auf der Erde nicht berücksichtigt, etwa was im natürlichen Kohlenstoffkreisprozess der Flora und Fauna passiert. Dort ist die Sonnenenergie die Antriebskraft. Wir haben gelernt, dass Energie und Materie nicht verlorengehen. Durch natürliche Verrottung und Verbrennung gehen diese nur in einen anderen Zustand über.
Die Bausteine des natürlichen Kohlenstoffkreisprozesses sind CO2 und Wasser (H2O); über die durch Sonnenenergie getriebene Photosynthese entsteht Kohlehydrat, das Biomasse bildet. Die verrottet, wird zyklisch genutzt oder hat unter der Erde fossile Brennstoffe gebildet. Verrottung, Nutzung und Verbrennung fossiler Brennstoffe setzen CO2 und H2O frei. Durch die Sonnenenergie werden diese wieder aufbereitet, es entstehen erneut Kohlehydrate und Sauerstoff; da geht nichts verloren.
Beim Übergang von der Pflanzen- zur Tierwelt wird zusätzlich Stickstoff eingebunden. Damit hat man alle Bausteine, die im natürlichen Kreislauf unter spezifischen Bedingungen zu Kohle, Öl und Gas führen können. In der Energiewirtschaft gelten sie als Primärenergie, sind aber nur Zwischenprodukte des natürlichen Kohlenstoffkreisprozesses, die durch gezielten Einsatz von Biomasse oder solar-regenerativer Energie jederzeit hergestellt werden können. Die Behauptung, es gibt keinen Ersatz für Öl, ist also falsch. Aus Biomasse kann neben Gas und Öl industriell auch Kohle produziert werden; das entsprechende Verfahren ist die hydrothermale Carbonisierung. Das macht jedoch nur dann Sinn, wenn wir die dafür notwendige Energie aus solaren Energiequellen ziehen.

Und so könnten wir das Energieproblem in den Griff bekommen?
WOLF: Diese sehr knapp skizzierten natürlichen Kreisläufe sind der Lauf der Natur. Die fossilen Brennstoffe sind so entstanden. Wir setzen heute durch Verbrennung die Sonnenenergie frei, die seit 300 Millionen Jahren von der Natur eingebunden wurde.
Die Natur ist in einem von der Temperatur abhängigen labilen Gleichgewicht. Sie wird abgekühlt durch die Umwandlung der Sonnenenergie mit CO2 und Wasser in Flora. Sie wird erwärmt durch die Rückumwandlung von Biomasse mit Sauerstoff in CO2 und H2O unter Freisetzung von Wärme. Wichtig ist, unbeirrt in der Kausalität Ursache-Wirkung-Folgen zu denken. Die Freisetzung von CO2 durch Verbrennen fossiler Brennstoffe ist also zwangsgekoppelt an die Freisetzung von Wärme und deren Folge, nicht Ursache.
Die Überlegenheit des Menschen besteht darin, dass er Fremdenergie nutzen kann. Aber durch seine Eingriffe bringt er das natürliche Wärmegleichgewicht durcheinander. Und die Wärmepuffer der Erde sind letztlich die Biomasse und das Wasser der Weltmeere, insbesondere das Eis an den Polkappen. Wenn Eis schmilzt, nimmt es Wärme auf; wenn Wasser gefriert, gibt es Wärme ab. Diese Vorgänge werden von den aktuellen Klimamodellen nicht erfasst.
Wenn wir in Kraftwerken fossile Energieträger verbrennen, entsteht immer eine Restwärme, die wir nicht technisch nutzen können. Diese wird in die Luft oder über Kühler in Flüsse, Seen oder Meere geleitet. Aber sie geht nicht verloren, sondern führt dazu, dass die Meere sich erwärmen, das Eis an den Kappen dünner wird und die Kühlflächen in den globalen Luft- und Wasserkreisläufen schrumpfen, sodass die Luft und das Wasser aus ihren Kreisläufen zwangsläufig wärmer zurückkommen.
Ursache der Erderwärmung ist also nicht das CO2, sondern die Freisetzung der in Brennstoffen gebundenen Energie durch den Menschen. Deshalb leistet auch die Energie aus atomaren Brennstoffen und Geothermie, obwohl sie keine CO2-Emissionen verursacht, ihren Beitrag zur Erderwärmung. Es wird Zeit, den physikalischen Klimamodellen eine Energiebilanz der Erde gegenüberzustellen. So zeigt sich der Zusammenhang zwischen den Biomasse- und Kältepotenzialen der Erde. Je mehr wir Biomasse und ihre Derivate Kohle, Öl und Gas durch Verbrennung reduzieren, umso mehr schrumpfen die Kältepotenziale (Eis, Permafrost) der Erde und umso mehr steigen zwangsläufig die Temperaturen der globalen Luft- und Wasserkreisläufe.

Was muss man also anstreben?
WOLF: Wissenschaftlich und auch verfahrenstechnisch können wir längst neben dem natürlichen Kohlenstoffkreislauf – der dem Leben, der Ernährung dient und den wir für energetische Aufgaben nicht missbrauchen sollten – und der direkten Nutzung regenerativer Energien einen energetischen Kohlenstoffkreislauf aufbauen. Daraus könnten wir unsere Energieversorgung decken. Aber nur, wenn wir uns von der alten Energielehre frei machen.
Wir müssen eine solare Stoff- und Energiewirtschaft aufbauen, die die Erde nicht erwärmt, weil sie nur soviel Wärme abgibt, wie sie praktisch Sonnenenergie als Antriebsenergie aufgenommen hat.
Zweigleisig wird man keine bezahlbaren Lösungen finden. Und während die Sonne auch in Zukunft keine Rechnung schickt, sodass mit fortschreitender technischer Entwicklung die Energiepreise gesenkt werden können, werden die Kosten der fossilen Energie steigen und schwer zu prognostizieren sein. Die Energiewende ist somit auch Voraussetzung für die Senkung der Energiekosten.
Wir brauchen Strom, wir brauchen Wärme, wir brauchen Mobilität. Und wir brauchen die gesamte industrielle Produktion. Aber all das auf Sonnenenergiebasis in Form von Strahlung, Wind- und Wasserkraft. Und das geht! Wir müssen dafür nur unser Wissen neu ordnen, entsprechende gesetzliche Weichen stellen und die Energieeffizienz weiterentwickeln. Wir müssen uns von den Fesseln, die wir uns selber auferlegt haben, befreien. Und in dieser Richtung denkt meines Erachtens auch der Papst mit seiner Enzyklika.

Aber man hört immer, dass die regenerativen Energien noch nicht so weit sind …
WOLF: Leider bestand und besteht Führung oft darin, dass man Menschen Angstszenarien vermittelt und ihnen dann sagt: „Macht mit, damit das nicht eintritt!“ Aber Angst behindert Kreativität. Genauso oft verschanzt man sich hinter dem Markt, der alles schon regeln wird. Aber solange so viele Machtinteressen Einzelner, ganzer Konzerne und der Finanzwirtschaft, dahinter stecken, wird sich allein gar nichts regeln und der Papst sagt zu Recht: „Politik und Unternehmertum reagieren langsam, weit davon entfernt, den weltweiten Herausforderungen gewachsen zu sein.“ So hat man etwa vernachlässigt, bezahlbare standortunabhängige Stromspeicher mit großer Leistung und Kapazität zu entwickeln, die die Integration der regenerativen Energie in bestehende Energieversorgungssysteme ermöglicht, ein Gegeneinander der Energiesysteme vermeiden und die volkswirtschaftlichen Aufwendungen des Ausbaues der elektrischen Netze deutlich reduziert würden.
Es gibt bereits Patente und Erfahrungen – nicht nur in kleinen Versuchen, sondern im industriellen Maßstab. Um die letzten Fragen zu lösen, müssen wir Freiräume schaffen und dann brauchen wir den Mut, das in großem Stil umzusetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!
Gabi Ballweg

Bodo Wolf,
Jahrgang 1940, Ingenieur und Ingenieurökonom der Fachrichtungen Gaswirtschaft, Gaserzeugung und Energetik, spezialisiert in Prozessverfahrenstechnik der Grundstoffindustrie, war seit 1960 in der Kohle- und Energiewirtschaft tätig, zunächst in der Produktion, dann in der industriellen Forschung und Entwicklung. Seit 1990 ist er selbstständiger Unternehmer in der Energieforschung und technischen Entwicklung für den Aufbau einer solaren Stoff- und Energiewirtschaft.
Wolf ist Träger des Deutschen und Europäischen Solarpreises, „Ökomanager des Jahres 2005“, Erfinder und Inhaber mehrerer industriell genutzter Patente.

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2015)
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