21. Oktober 2016

Bin ich ein WIR-Mensch?

Von nst1

Wer bin ich? Was macht mich aus? Wer will ich sein? Fragen der Identität beschäftigen uns vor allem, wenn wir mit Menschen zusammenkommen, die anders sind.  Erst im Kontakt mit Menschen anderer Länder wird mir bewusst, dass ich Deutscher bin. Erst im Zusammensein mit Menschen anderer Kontinente wird für mich bedeutsam, dass ich Europäer bin. Die Andersartigkeit muss nicht nur Sprache, Nationalität oder Hautfarbe, sondern kann auch eine andere Art zu denken oder sich zu verhalten betreffen.

Wir brauchen eine Identität, um einen Standpunkt zu finden, auf andere eingehen und mit ihnen zusammenarbeiten zu können. Vieles bringt uns jedoch dazu, das „Ich“ in uns übermäßig zu pflegen und zu stärken: Werbung, Konkurrenzdenken in Schule und Arbeitswelt, Reden von Politikern, ein starkes Sicherheitsbedürfnis…

Der Kölner Unternehmer und Politikberater Werner Peters kritisiert, dass immer mehr Lebensbereiche nur noch nach ihrer Wirtschaftlichkeit bewertet werden. Es fehlt eine gemeinsame ethische Basis, die den Menschen ganzheitlich im Blick hat, erklärt er in unserem Interview. Ich-Bezogenheit, Konsum und Unterhaltung allein könnten kein erfülltes Leben ausmachen. Dazu gehöre vielmehr, dass man auch mal über sich und die eigenen Interessen hinausgeht und etwas für jemand anderen tut.

Ulrike Reinhard verwirklicht das schon. Für die Projekte, die sie angeschoben hat, hat sie sich in die Probleme anderer hineinversetzt. Aber Lösungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen entwickelt sie nicht allein, sondern nur mit den Betroffenen zusammen: eine Netzwerkerin, die ganz unterschiedliche Menschen für ein gemeinsames Ziel zusammenbringt.  In den Namen ihrer Projekte taucht öfter das englische „WE“ auf; es sind WIR-Initiativen. Sie sind darauf aus, einzubeziehen und nicht auszusondern.

Nicht selten begegnet uns ein „wir“-Gefühl, das ich im Gegensatz zu den WIR-Projekten zuvor bewusst in kleine Buchstaben setze. Es schafft ein „wir“ auf Kosten des „ihr“. Es will die eigene Identität in strikter Abgrenzung zu anderen stärken. Es lebt einzig daraus, dass es andere heruntermacht und daher die Grundlage des Zusammenlebens zerstört.

,Neben Frau Reinhard begegnen uns weitere „WIR-Menschen“ Karin Pütz, zum Beispiel die mit einer Erfindung die wirtschaftliche Selbstständigkeit von Afrikanern fördern will. Gerhard Horneber, Leiter einer Schule in Augsburg. Wie viel Zeit und Kraft er investiert, um dort die Gemeinschaft zu stärken, damit sich jeder entwickeln und wohlfühlen kann, imponiert uns.

Die NEUE STADT versteht sich als „WIR-Zeitschrift“: Unsere Artikel rücken die „WIR-Fähigkeiten“ vieler Menschen ins Licht. Das soll Sie in Ihrem Alltag ermutigen und unterstützen. Wir in der Redaktion möchten selbst „WIR-Menschen“ sein, erleben aber auch, dass das nicht immer einfach ist und uns nicht immer gelingt. Zum Glück birgt jeder Artikel, jeder Tag und jede Begegnung eine neue Chance!

Ihr

Clemens Behr

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2016)
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