20. Oktober 2016

Da ist einer, der hat ein Herz für mich!

Von nst1

Gerhard Horneber ist Lehrer „ mit Kopf und Herz, mit Händen und
Füßen “. Schule ist für ihn mehr als ein Job und Gemeinschaft nicht nur ein Wort.

 „Jedes Kind an unserer Schule hat ein Recht auf Frieden. Wie steht das bei dir, Maurus 1, mit dem Frieden?“ Gerhard Horneber hat dem 9-Jährigen die Frage nicht ohne Grund gestellt. Das entschiedene „Ich hab keinen Frieden!“ hat den Schulleiter an der evangelischen Lichtenstein-Rother-Grundschule 2 in Augsburg deshalb auch nicht wirklich überrascht. Überrascht hat ihn hingegen, dass weder er noch andere bisher mitbekommen hatten, wie schlecht es dem Schüler ging. Erst als seine Mutter auf die Leiterin der Mittagsbetreuung zugegangen war, kam es heraus: Maurus kam täglich von der Schule nach Hause, ging in sein Zimmer und blieb dort. „Ich will nicht mehr in die Schule. Der und der und der sind so gemein zu mir. Ich geh nicht mehr hin!“, hatte der Drittklässler seiner Mutter erzählt. Die war dann selbst auf die andern Jungs zugegangen, hatte versucht, sie zu ermahnen. Ohne Erfolg! „Mach bloß nichts mehr!“, hatte Maurus gebeten, „Sonst wird’s nur noch schlimmer!“ „Gottseidank“, so Horneber „hat die Mutter trotzdem einen Weg gesucht.“

Nach 40 Jahren als Lehrer ist der gebürtige Mittelfranke gerade in sein letztes Schuljahr gestartet. Unterrichtet hat er allerdings schon, als er noch selbst zur Schule ging: „In unserer zweiklassigen Schule hat mich der Lehrer schon früh dafür eingesetzt, Gruppen zu beaufsichtigen oder anderen etwas beizubringen. Und als ältester von sechs Geschwistern musst du schon früh Verantwortung übernehmen, sie manchmal – nicht nur zu deren Freude – auch anleiten.“ Da war es fast logisch, dass er sich nach dem Zivildienst entschied, „Volksschullehrer“ zu werden. Zu seinem beruflichen Werdegang gehören unter anderem sieben Jahre in der mobilen Erziehungshilfe mit der Betreuung verhaltensauffälliger Kinder und der Beratung von Lehrkräften: „Eine prägende Erfahrung dabei war die Einsamkeit gerade der engagierten Lehrer.“ Anschließend dann 14 intensive Pionierjahre als Schulleiter in Ansbach beim Auf- und Ausbau der dortigen Evangelischen Schule, von der ersten Klasse bis hin zum Hauptschulabschluss. Und zuletzt nun zehn Jahre in Augsburg, „an unserer im Vergleich kleinen Liroschule“.

Wenn Gerhard Horneber heute neue, junge Lehrerkollegen einführt, dann gibt er ihnen vor allem eines mit: „Zeigt den Kindern euer Herz! Erzählt ihnen etwas von euch.“ Dahinter steckt die Grundüberzeugung, dass das der Kern aller Pädagogik ist und noch vor aller Didaktik steht. „Die Kinder spüren das sofort! Da ist einer, der schaut auf mich, der hat ein Herz für mich!“

Eine weitere Überzeugung prägt seine Arbeit: dass Schule eine Lebensgemeinschaft ist, ein Organismus und nicht nur eine Organisation. Und wie jeder Organismus braucht auch dieser ein Herz, die Mitarbeiterschaft – „und das braucht Pflege!“

Deshalb setzt der Pädagoge viel daran, dass zunächst im Kollegium ein Miteinander und Füreinander entstehen kann. „Das multipliziert sich dann fast von selbst auf die Schüler.“ Deshalb nutzt Gerhard Horneber eine der Freiheiten der sogenannten „Privaten Schulen“: „Vor Schuljahresbeginn machen wir als Kollegium zwei vom Träger finanzierte Einkehrtage. Das ist Dienstpflicht für alle und am Anfang musste ich da schon ein wenig Überzeugungsarbeit leisten. Aber inzwischen ist allen klar: Das brauchen wir! Das tut uns gut!“ Eine Team bereitet diese beiden Tage mit Sorgfalt vor: Es geht um Persönliches (wie startet jeder, was bringt er aus den Ferien mit, welche Befürchtungen und Hoffnungen verknüpft er mit dem neuen Schuljahr), um Fachliches (mit einem pädagogischen Schwerpunktthema) und um Christliches (mit einer biblischen Besinnung, Liedern und Gebeten). Erst danach kommt das Organisatorische; eine gründliche Reflexion des letzten Schuljahres und die neue Planung. So formt sich der Organismus und wird dann durch die sechs bis acht Konferenzen im Lauf des Schuljahres genährt. Dort achtet der Schulleiter darauf, dass es beispielsweise durch Austauschrunden immer wieder gelingt, „Leben zu teilen!“

In der Liroschule sind größere Konflikte selten. Den von Maurus hat der Schulleiter in Absprache mit der Klassenlehrerin selbst übernommen. „Zunächst habe ich dem Jungen einen Auftrag gegeben: ‚Überleg dir bis morgen, was nicht mehr sein soll.’“ Und da kam dann eine ganze Liste zusammen: „Beständige Sticheleien mit Worten und Taten, die einem stillen, scheuen Kind zusetzen können. Und für Maurus waren sie effektiv zu viel.“ Horneber hat dann die fünf betroffenen Jungs dazu geholt. Ihm war klar, dass es eine engagierte Ansage brauchte: „Reden wir nicht lange drum rum. Maurus hat seinen Frieden verloren und er soll ihn wiederfinden.“ Die Fünf haben dann auch sofort alles zugegeben, die Liste sogar noch ergänzt. Es gelang Maurus zu sagen, dass er traurig, verletzt, wütend und immer hilfloser war. „Und die fünf Jungen hatten nicht gedacht, dass ihr verhalten ihn so treffen würde.“ Damit lag alles auf dem Tisch. „Und jetzt?“, fragte Gerhard Horneber. „Da müssen wir uns bei dem Maurus entschuldigen.“

Wenn in der Augsburger Schule etwas vorgefallen ist, gehört zur „Praxis der Wiedergutmachung“ ein Entschuldigungsbrief und ein kleines Geschenk. Das wird in aller Form übergeben, mit der Ansage, was man falsch gemacht hat, und der Frage, ob der andere die Entschuldigung annehmen kann. „Maurus konnte das. Er war ja heilfroh, dass alles mal raus war“, beschreibt Horneber die Gefühlslage des Schülers. Der Schulleiter beendete die Aussprache feierlich: „Ich hielt meine Hand hin und jeder von ihnen legte seine rechte drauf. Am Schluss umschloss ich alle Hände mit meiner zweiten: ‚So, jetzt haben wir alles ausgesprochen. Maurus hat euch auch vergeben. Aber dass ihr es schafft, ihn jetzt gut zu behandeln, wird nicht so leicht sein. Wir beten, dass Jesus euch die Kraft gibt, dass es gelingt.“

Um das zu unterstützen, kamen die sechs Jungen zwei Wochen lang jeden Morgen beim Schulleiter und erneuerten den Friedensschluss. Nach dem Unterricht überprüften sie dann wieder kurz zusammen, wie es gegangen war. „Maurus fand seinen Frieden wieder. Und mit ihm auch seine Familie. Und die fünf Klassenkameraden merkten, ‚dass er eigentlich ganz in Ordnung war.’“

„Alle in einem Boot – miteinander und füreinander“.

Dieses Motto beschreibt die Gemeinschaft an der Liroschule. Und an ihrem ersten Schultag werden die 24 Erstklässler ins rote Schulboot aufgenommen. Die acht „Bordregeln“, die auf der „Goldenen Regel“ 3 aufbauen und in allen Klassenzimmern aushängen, sowie feste Rituale wie die „Praxis der Wiedergutmachung“ oder der gemeinsame halbstündige Wochenabschluss aller Klassen am Freitag nähren das Gemeinschaftsleben. Und sie bilden die Basis, damit auch Situationen wie die mit Maurus durchgetragen werden können. Horneber weiß, dass das alles nicht selbstverständlich ist und geht „mit großer Dankbarkeit“ in sein letztes Schuljahr. „Ich hab das gern gemacht – mit Herz und Kopf, mit Händen und Füßen. Jetzt schließt sich ein Kreis und das ist gut so!“
Gabi Ballweg

1) Name von der Redaktion geändert
2) www.liroschule.de
3 „Alles was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ (Matthäus 7,12)

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2016)
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