16. November 2016

Wo wohnt Gott?

Von nst1

Viele Zeitgenossen, viele von uns sind Suchende. Doch die Christen reden zu wenig über Gott, bekennen ihren Glauben zu schüchtern! Solche Vorwürfe hört man immer wieder, auch in der Diskussion um die Eingliederung muslimischer Flüchtlinge und das „christliche Abendland“. In diesem Monat meldet sich dazu der „KM. katholischermedienverband e.V.“ mit der Aktion „Mein Gott.“ zu Wort, mit Artikeln über Personen auf der Suche, Orte, die Menschen bewegen, Leute, die um Gott ringen. Als Mitglied und Zeitschrift mit ökumenischer Ausrichtung und starkem Interesse am Dialog zwischen den Religionen schließen wir uns gern an: Wo wohnt Gott in unseren Ländern? – Was würden Sie sagen?

Ralf Schiefer aus Leverkusen
Behutsam öffnet Ralf Schiefer die riesige Tür zur Herz-Jesu-Kirche in der Leverkusener Innenstadt. „Na dann kommen Sie mal rein!“ Im Inneren der Kirche, die an eine Werkhalle erinnert, ist es angenehm kühl. Der Lärm der umliegenden Geschäfte verschwindet, als er die Tür wieder schließt. Er taucht seine Hand in die Schale mit dem Weihwasser und bekreuzigt sich. Dann kniet er vor dem Altar. Es dauert eine Weile, bis er wieder aufsteht. Dann schaut er auf die Monstranz mit dem Leib Christi: „Hier ist Gott gegenwärtig“, flüstert Schiefer. „Da ist er greifbar, fühlbar, riechbar, schmeckbar.“
Die Kirche gehört zu Schiefers Leben. Der 58-Jährige ist kein Priester. Diakon wollte er auch nicht werden – aber er ministriert bei der Messe. Und er betreibt das Kirchen-Café, mit dem die Gemeinde sich öffnen möchte, „ohne gleich mit der geballten Autorität der Amtskirche daherzukommen“. Aber es sei nicht leicht, Gott im Alltag Raum zu geben. Darum genießt Schiefer die wertvollen Momente, in denen es klappt. Einmal stapfte ein Mann in das Café: „Können Sie mit mir beten?“ Die direkte Ansprache empfand Schiefer damals eher befremdlich – dann ließ er sich trotzdem darauf ein. In dem Gebet erzählte der Mann, wie nutzlos er sich ohne Arbeit gefühlt hatte. Nun habe er wieder einen Job – und dafür wolle er Danke sagen. Während Schiefer erzählt, bekommt er glänzende Augen. Diese Freude habe ihn umgehauen: „In solchen Momenten ist Gott ganz nah.“

Anders als damals, als Schiefer auf diesem Krankenhaus-Flur saß und flehte, Gott möge seine Mutter nicht sterben lassen – noch nicht. Aber Gott half nicht. Die Schläuche, das Piepen, die Ärzte, die immer noch schlechtere Nachrichten hatten – das alles ließ Schiefer verzweifeln. „Mit Anfang 20 habe ich meinen Vater verloren; danach hatte ich nächtelang Albträume. Ich wollte das nicht noch einmal durchleben.“ Hinter all dem Krach konnte er Gott nicht mehr hören. Er zwang sich geradezu, trotzdem zu beten. Da erinnerte er sich an eine Lektion, die er schon einmal gelernt, vor lauter Angst jedoch wieder vergessen hatte: „Ich wollte meinen Willen durchsetzen. Es war wieder ich, ich, ich.“ Was seine Mutter dachte und fühlte, hatte er ausgeblendet. „Es war unglaublich hart, das Schicksal in Gottes Hände zu geben. Aber danach fühlte ich mich leichter.“ Manchmal begegnet Gott einem auch auf dem Krankenhaus-Flur.

Christopher Eing aus Ahaus
„Gott ist einfach überall“, sagt auch Christopher Eing. Der 17-Jährige ist Münsterländer durch und durch, sagt „dat“ und „watt“ und freut sich, wenn „der Oppa“ und „die Omma“ Kuchen für ihn haben. Antonia und Ernst Benölken haben den Schüler auf seinem Glaubensweg begleitet, ihm Gebete vorgelesen, wenn er bei ihnen übernachtet hat. In ihrem Haus hat Eing den Glauben erlernt, „zu Hause“ ist Gott dort jedoch nicht: „Ich glaube nicht, dass Gott irgendwo wohnt. Der ist einfach da – oder auch nicht.“

Trotzdem hält er immer kurz inne, wenn er auf dem Weg zu seinem Lektoren-Dienst an dem Kreuz mit den zwei Buchen vorbeigeht, die vor der St.-Martinus-Kirche in Wessum stehen. „Doch, da habe ich Gott für mich schon ein bisschen festgemacht.“ Er sei von der beruhigenden Kraft beeindruckt, die von dem Trio ausgeht. „Ich glaube, ein Stein-Kreuz würde mich nicht so berühren. Steine sind eher kalt. Und das ist für mich nicht Gott. Denn Gott ist für mich ein wärmendes Wesen.“
Trotzdem erkenne er Gott auch in einer zerklüfteten Felslandschaft, einem rauschenden Wasserfall oder in seiner kleinen Cousine. „Wenn ich sehe, dass etwas so Wunderbares auf dieser Welt existiert, dann kann nur Gott darin wirken.“ Dann bekommt er immer dieses warme Gefühl, irgendwo im Brustbereich. Dann glaubt er, er könne über sich hinauswachsen. „Wenn ich dieses Gefühl habe, weiß ich, Gott ist bei mir.“ Das Gefühl sei aber relativ unzuverlässig und lasse sich nicht erzwingen: „Ich kann nicht bewusst nach Gott suchen. Denn meistens ist diese Suche vergeblich. Manchmal reicht aber schon ein Lächeln, um zu zeigen, dass Gott da ist.“

Darum hadert er auch ein bisschen mit der reinen Lehre. In der Heiligen Kommunion sieht Eing zum Beispiel eher ein Symbol für die Gemeinschaft – durchaus kraftgebend, glaubensstärkend, aber eine Inkarnation Gottes? Eher nicht. „Man kann Gott nicht greifen. Man kann Gott auch nicht BEgreifen. Gott ist einfach unfassbar.“ Aber zwischen seiner Kirche und seinem Glauben macht Eing ohnehin einen großen Unterschied.

Der Jesuit Medard Kehl schreibt im Buch „Hinführung zum christlichen Glauben“, dass Gott die Liebe ist: Die kümmernde Liebe vom Vater zum Sohn. Die vertrauende Liebe vom Sohn zum Vater. Und die vom Heiligen Geist beseelte Liebe der Menschen untereinander. „Ja! Das kann ich so unterschreiben.“

Anna Jürgens aus Tübingen
Gott ist die Liebe. Das könnte auch Anna Jürgens unterschreiben. Denn Gott ohne Gemeinschaft funktioniert für die 28-Jährige nicht. Deshalb findet sie Gott auch in den Begegnungen mit anderen Menschen. Nämlich dann, wenn ganz viel Wärme und Lebensfreude rüberkommen. Dabei sind es keineswegs bewusste Momente, in denen sie denkt: „Wow, hier ist jetzt Gott!“ Es handelt sich dann einfach um einen sehr wertvollen Moment – völlig zweckfrei. Erst im Nachhinein komme ihr manchmal der Gedanke, Gott könnte im Spiel gewesen sein.

Hin und wieder möchte sie Gott jedoch auch ganz gezielt aufsuchen. Dann geht sie raus – raus vor die Tür und rein in die Natur. Meist zieht es die Tübingerin dann an den Neckar. „Der Fluss, da kann ich mit Gott Zwiesprache halten.“ Beschweren sei in Ordnung. Auch, wenn man keine Antwort bekommt. Wenn sie auf das Wasser schaut, könne sie mit ihren Gedanken besser zur Ruhe kommen. Unnötigen Ballast lasse sie dann mit der Strömung davonziehen.
Bis zum Beginn ihres Studiums habe sie nie viel über ihren Glauben nachgedacht. Gott habe für sie so existiert, wie es ihre Eltern ihr beigebracht haben. Ein Kinderglaube. Im Studium kamen ihr erste Zweifel – harte Diskussionen und einige Todesfälle haben sie ins Grübeln gebracht. Was, wenn alles nur Zufall ist? „Dann wären fünf Jahre Theologie-Studium sinnlos gewesen.“ Es sei ihr manchmal schwergefallen, Gott einfach hinzunehmen: „Wir wollen immer alles in der Hand haben und dann muss es funktionieren.“ Mit Gott funktioniere das so aber nicht. An ihrer Vorstellung von Gott habe das jedoch nichts geändert. „Gott ist nicht kleinlich; er würde mich nicht bestrafen, wenn ich an ihm zweifle.“ Für sie ist Gott der Schöpfer, der Grund allen Seins, vor allem aber die Liebe. Das wäre er auch, wenn sie nicht an ihn glauben würde.

Gott entdecken und nach Gott suchen ist für Anna Jürgens aber ein himmelweiter Unterschied. Sie war auf Besinnungstagen, Exerzitien – eine Woche lang habe sie dort nach Gott gesucht. Sie wäre beinahe daran verzweifelt, während alle anderen Teilnehmer ihn gefunden hätten. „Gott ist ein Geschenk, für das ich nichts kann – auch wenn ich es nicht habe.“ Und selbst wenn die Zweifel groß seien, es ändere nichts an der Tatsache, dass Gott uns liebe. „Glaube ist keine Voraussetzung für die Liebe Gottes. Seine Liebe ist voraussetzungslos.“ Daran hält sie fest – egal wo.
Sabine Winkler, Michael Richmann

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(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November 2016)
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