16. Dezember 2016

„Sieht so der Nikolaus aus?“

Von nst1

Rund um den 6. Dezember ist er vielerorts unterwegs – der Nikolaus. Auch in Schneppenbach, einem Ortsteil des Marktes Schöllkrippen im unterfränkischen Landkreis Aschaffenburg.

Wie lange er schon in die Gewänder des beliebten Bischofs schlüpft, kann Günter Wollinger gar nicht so genau sagen. „Schon in meiner Heimatstadt bei der katholischen Jugend boten wir an, dass man einen Nikolaus bestellen konnte“, erinnert sich der Pensionär. „Wir fuhren dann mit dem Auto zu der Adresse. Ein ‚Engelchen’ nahm die Geschenke und die Liste mit den guten und den schlechten Taten in Empfang. Mit mir kam noch ein Knecht Ruprecht.“
Jahre später fragten die Erzieherinnen des Kindergartens in seinem neuen Wohnort den Lehrer, ob er nicht als Nikolaus vorbeikommen könne. Der stellte sofort klar: „Nur, wenn ich mich vor den Kindern anziehen darf!“ Das löste Befremden aus. Aber Günter Wollinger blieb kompromisslos: „So oder gar nicht!“ Viel zu verwundert hatte er immer wieder festgestellt, wie viele Kinder und sogar Erwachsene noch große Angst vor dem Nikolaus hatten. „Und ich wollte ihn nicht als Erziehungsapostel missbrauchen.“

Günter Wollinger geht deshalb in Alltagskleidung in die Kindergärten. Die Nikolaussachen hat er in einem großen Karton dabei. Wenn er dann fragt: „Wer bin ich denn?“, kommt meist die einstimmige Antwort: „Der Nikolaus!“ Darauf fragt der Pensionär nach: „Sieht so der Nikolaus aus?“ – „Nein!!!“ Und weil ihn in dem kleinen Ort viele Kinder kennen, schieben sie hinterher: „Du bist doch der Wollinger!“ Das ist für den ein guter Einstieg. Langsam erzählen die Kinder, was sie vom Nikolaus wissen.
„Wenn wir dann über die Kleider des Bischofs sprechen, darf ein Kind in meinem Karton nachschauen und etwa den Bart herausholen. Den ziehe ich ihm dann an, wenn es will.“

Foto: privat

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Meist lachen da erst mal alle laut. „Die Kinder sehen mit dem großen Bart wie kleine Zwerge aus.“ Viele wollen natürlich den Bart ausprobieren, bevor ihn „der Nikolaus“ bekommt. Auch den flauschigen Pelzbesatz seines Umhangs dürfen die Kinder berühren, bevor er ihn anzieht. Und es freut Günter Wollinger, dass die Kinder von Jahr zu Jahr weniger Berührungsängste haben. Trotzdem, so staunt der Pädagoge, bleibt ihnen da etwas Faszinierendes: „Am Anfang in Alltagskleidern wissen sie, dass ich der Wollinger bin. Aber wenn ich dann angezogen bin, bin ich für sie ganz klar der Nikolaus!“ Einmal fragte ihn ein Junge, der ihn kannte: „Kannst du mir dann mal deine Rentiere zeigen?“ Und er kam sogar später, als Günter Wollinger sich in einem Nebenraum wieder umgezogen hatte, noch mal: „Jetzt kannst du mir aber deine Rentiere zeigen.“
Zusammen mit den Kindern spielt „der Nikolaus“ dann eine Legende über seinen Vorgänger nach: „Da habe ich zwei zur Auswahl, damit sich das nicht immer wiederholt.“
Die eine: Wie der Bischof von Myra mitbekommen hatte, dass ein Vater in seiner Not seine drei Kinder verkaufen wollte, weil er nichts mehr zu essen für sie hatte. „Was kann man denn da tun?“, fragt Nikolaus sich mit den Kindern, und gemeinsam sammeln sie in dem großen Sack Lebensmittel – die der Nikolaus nachts durchs Fenster ins Zimmer der armen Familie wirft. Bei der zweiten Legende geht es darum, wie der Bischof den Kapitän eines vollbeladenen Getreideschiffes des Kaisers dazu überredet, den hungernden Menschen seiner Stadt etwas von der Ladung abzugeben. Und wie dem Kapitän am Schluss trotzdem nichts von seiner Ladung fehlte. „Beide Geschichten sind gut zu spielen und sagen den Kindern etwas vom echten Nikolaus und seinem Leben für andere“, erklärt Günter Wollinger seine Wahl.

Nach und nach hat sich der Aktionsradius über Schneppenbach ausgedehnt. Er geht inzwischen auch in Schulen oder zu Familien nach Hause. Aber immer nur zu seinen Bedingungen – damit er nicht zum Angstmachen missbraucht wird. Dabei kommt er selbst immer wieder ins Staunen: „Einmal war ich zu einer sehr schwierigen ersten Klasse eingeladen. Die Lehrerin hatte ihre Mühe, die Kinder im Zaum zu halten. Und auch zu mir war einer schon auf dem Weg in die Klasse so frech, dass ich gespannt war, wie es gehen würde. Und dann passierte etwas, das ich noch nie erlebt hatte: Bevor ich wegging, tanzten alle mit mir im Klassenzimmer um das Pult. Da war ein Funke übergesprungen!“
Aber warum nur zu den Kindern gehen? Als Nikolaus kann man jedem Gutes tun, ist Günter Wollinger überzeugt. „So kaufe ich jedes Jahr etwa 120 kleine Schoko-Nikoläuse, stecke sie in einen Sack und besuche verschiedene Stellen.“ Die Angestellten der Gemeinde warten meist schon auf ihn. Und selbstverständlich geht er auch beim Bürgermeister vorbei – egal, ob der gerade eine Sitzung oder Besprechung hat. Auch die Banken besucht er: „Keine Angst, dies ist kein Überfall. Ich bin nur der Nikolaus.“ Die Angestellten dort mahnt er augenzwinkernd, gut mit dem Geld der Kunden umzugehen, und schenkt ihnen dann auch etwas. Für Günter Wollinger ist der Nikolaus-Einsatz kein Stress, „eher eine Chance, Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen.“
Zu einer „liebgewonnenen Tradition“ ist so auch der Besuch bei einem kranken Bekannten geworden. Der sitzt im Rollstuhl und „freut sich wie ein kleines Kind“, wenn der „Heilige Nikolaus“ persönlich zu ihm kommt. „Wir erzählen Geschichten von früher und ihm kommen beim Lachen oft die Tränen“, erzählt „Nikolaus Wollinger“.

Foto: privat

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Apotheke, Post, Metzger, Blumengeschäft und Bäcker – wo auch immer sein Weg vorbeiführt, überall macht der unterfränkische Nikolaus kurz Halt. Einmal fiel ihm auch der Kiosk auf, den er bis dahin als Nikolaus noch nie besucht hatte. Als er eintrat, meinte die Besitzerin: „Sie haben sich sicher verirrt, bei mir gibt es keine Kinder.“ „Doch! Gerade zu Ihnen wollte ich“, war seine Antwort. An den Tischen saßen einige Personen und einer sagte: „Ah, heute kommt der Weihnachtsmann zu uns.“ Günter Wollinger war versucht, ihm entschieden den Unterschied zu erklären. Aber dann sah er die Zeitung mit der Schlagzeile: „Heute kommt der Nikolaus!“ Wollinger schmunzelt: „Ich fuhr ihn entrüstet an: ‚Kannst du nicht lesen, ich bin der Nikolaus!’ Aber trotzdem bekommst du von mir einen Schoko-Nikolaus.“ Der Mann darauf verschämt: „Kann ich auch einen für mein Enkelchen bekommen?“
Weil in Schöllkrippen immer mehr auf den Besuch des Nikolauses warten, muss der sich etwas überlegen, damit er gut gerüstet ist: „Wenn meine Frau und ich im Herbst in Urlaub auf eine Nordseeinsel fahren, nehme ich neben vielen Büchern auch grob vorgeschnittenen Karton für etwa 150 Nikoläuse mit. Die fertigen wandern später in die Nachbarschaft, ins Lehrerkollegium … und einige nehmen den Postweg. So kann ich vielen eine Freude machen und ich selbst bin an den kalten Abenden beschäftigt“, erzählt er lachend.
Routine wird der Einsatz für Günter Wollinger auch nach vielen Jahren nicht. Immer erlebt er Neues: „Viele Autofahrer winken mir zu. Einmal hupte einer mehrmals und gab mir zu verstehen, dass ich auf ihn warten sollte. Er parkte und rannte zu mir herüber: ‚Darf ich ein Selfie mit Ihnen machen? Mein Sohn glaubt nicht mehr an den Nikolaus. Jetzt kann ich ihm den Beweis liefern!’“
Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2016)
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