23. März 2017

Nicht allein unterwegs

Von nst5

Mit anderen unterwegs sein, Freuden und Nöte teilen, den Alltag aus der Spiritualität der Fokolar-Bewegung gestalten, in ein Netzwerk eingebunden sein: Das erleben viele Familien als große Hilfe. Wir haben bei drei Paaren nachgefragt.

„Der Weg mit Ehepaaren in Krisensituationen ist für uns zu einer Herzenssache geworden!“ Cornelia und Andi Bolkart aus Zürich haben drei erwachsene Kinder. Persönlich wie auch für ihre Partnerschaft haben sie schon vor vielen Jahren in der Spiritualität der Einheit eine Kraftquelle entdeckt, wertvolle Impulse auch für ihr Familienleben erhalten. Bei Freizeiten, Seminaren, Wochenendkursen, in Gesprächen haben sie das mit anderen geteilt. Oft ergaben sich dann persönliche Gespräche – auch über die Nöte in den Partnerschaften. Immer häufiger begleiteten die beiden dann Ehepaare:Durch Zufall konnten wir vor einigen Jahren an einer Intensivwoche für Ehepaare in schwierigen Situationen teilnehmen. Ein äußerst intensives Erlebnis, sowohl von der Gruppendynamik her, aber auch ganz persönlich als Paar für uns. Diese fundamentale Erfahrung hat uns nicht mehr losgelassen.“ Es folgten viele Einsätze, die Organisation von Seminarreihen, die Begleitung einzelner Paare „auf gleicher Augenhöhe“ und eine professionelle Ausbildung. 1

„Für uns ist das eine immer neue Herausforderung, weil wir mit den Ehepaaren einsteigen in ihre Risse, Wunden, Verletzungen. Eine wichtiger Schritt der Arbeit ‚zu viert’ besteht darin, den Verletzungen des Paares einen NAMEN geben zu können.“ Oft zeige sich dabei, dass es nicht eigentlich um Kommunikationsschwierigkeiten gehe, sondern um Unbearbeitetes aus der Kindheit. „Wenn das herauskommt und benannt wird“, so Bolkarts, „kann ein erstes Verständnis für den anderen und daraus eine neue Vertrauensbildung entstehen. Die Krise wird überschaubarer und kann im weiteren Weg zur Chance werden.“ Ein neues Verständnis füreinander könne entstehen und die Bereitschaft zum Wagnis, sich einander ungeschützt zu zeigen. „Die immer gleiche Beziehungslandschaft aus Opfergefühlen, Schuldzuweisungen und Buße-Tun verändert sich allmählich; die beiden finden ein neues Terrain, auf dem sie wieder in ein ‘Wir-Bewusstsein’ hineinfinden. Nicht selten erleben wir eine neue Verliebtheit in den Paaren.“
Von Bolkarts ist dabei eine aktive, urteilsfreie Zurückhaltung gefordert, „weil die eigentliche Lösung nur im Ehepaar selbst liegt. Immer aufs Neue sehen wir uns mit der Herausforderung konfrontiert, auch unseren unterschiedlichen Sichtweisen auf den Grund zu gehen und ihnen einen Namen zu geben. Manchmal ist dies eine intensive Arbeit unter uns, für die wir den richtigen Moment und den geeigneten Raum finden müssen. Gleich zu Beginn eines jeden Jahres legen wir dazu einen Abend pro Monat fest, der nur uns gehört.“

Begegnung von Familien, die sich an der Spiritualität der Einheit und an Werten orientieren, die über alle Barrieren hinweg Geschwisterlichkeit fördern. – Foto: privat

Rebecca und Görge Temme haben im September 2014 geheiratet. Die beiden leben in Köln und stecken gerade mitten im Start in ihr Berufsleben. Schon als Jugendliche und in ihren Familien hatten sie die Spiritualität der Einheit kennengelernt, ihr Leben daraus gestaltet. Am Anfang haben sie oft darüber gesprochen, wie sie ihre Beziehung mit Gott leben. „Wir wollten verstehen, wie wir denken, ein gemeinsames Grundverständnis entwickeln.“ Ihren Alltag prägen die grundsätzliche Bereitschaft, auch nach Streit immer wieder neu anzufangen und – so Rebecca – „die kleinen, bewussten Taten der Liebe, wie ich sie schon als Kind versucht habe, zu leben.“
Nach der Hochzeit – beide noch an der Uni – haben sie sich, wie schon zuvor, mit und für andere Jugendliche engagiert: „Es war gut, dass wir uns gemeinsam einsetzen, dabei auch miteinander Schwierigkeiten und Hindernisse überwinden konnten.“  Inzwischen haben sie den Eindruck, dass etwas Neues ansteht. „Im Vergleich zu vielen unserer Freunde sind wir jeweils nicht mehr nur uns selbst Rechenschaft schuldig, haben eine Wahl getroffen und  eine Brücke überschritten.“ Die Teilnahme an Familienfreizeiten genießen die beiden deshalb. „Da können wir einfach Familie Temme sein, einen neuen – unseren – Platz finden.“ Außerdem wünschen sie sich noch mal neu einen Raum zum Ausloten: „Einfach um zu verstehen, wie das geistliche Leben, das wir bisher als Einzelne und mit anderen Jugendlichen gelebt haben, nun in unserer Familie seinen Platz findet – auch mit Austausch und Gespräch.“ Mit fünf Paaren wollen sie sich deshalb regelmäßig treffen. Beim ersten Mal konnten die beiden nicht dabei sein – und sind deshalb gespannt, wie sich das entwickeln wird.

„Die Paare sind auf uns zugekommen“, so Barbara und Wolfgang Cremer aus Bornheim, „ob wir diesen Weg nicht mit ihnen teilen wollen.“ Dass sie sich an Cremers wandten, kommt nicht von ungefähr. Das Ehepaar lebt in vielfältigen Beziehungsgeflechten. „Was sich auf unserem gemeinsamen Weg am meisten gewandelt hat, ist genau dieses Verständnis von Familie: Das sind nicht nur wir zwei oder wir fünf. Wir leben als Familie eingebunden in ein großes Netzwerk – in der Fokolar-Bewegung, der Arbeit, der Nachbarschaft, dem Chor, … – und möchten uns immer wieder öffnen, da sein, Zeit und Leben mit anderen teilen. Das beschenkt uns sehr!“
Familie im weitesten Sinn liegt Cremers am Herzen. Denn, so Wolfgang:
„Was ist Familie heute? Menschen unterschiedlicher Couleur, die sich auf- und miteinander einlassen. Christliche Ehe ist eine Seltenheit geworden. In unserem Umfeld erleben wir Paare, deren Lebensform eine andere ist, die aber trägt; sie leben auch in schwierigen Zeiten miteinander. Dies möchte ich sehen mit der Bereitschaft, zu entdecken: Da ist noch mehr! Dann entwickeln sich Dinge, die ich nicht geahnt hätte.“ Und Barbara ergänzt: „Wir versuchen so zu leben, dass wir in der gegenseitigen Liebe, mit Jesus unter uns 2 verstehen, wie unser Weg ist. Und ich sehe, wie andere Paare versuchen, ihren Weg zu gehen – davor hab’ ich Respekt. Auch wenn das nicht immer unser Weg ist. Ich hab’ auch durch die Jahre mit unseren Kindern – durch die Umstände, die sie mitgebracht haben und den Umgang mit den Ämtern – gelernt, dass die Wege nicht immer gerade sind. Ich vertraue immer darauf, dass Gott mein Glück will und dass er das auch für andere will, die bewusst ihren Weg gehen.“

Die Spiritualität der Einheit empfinden Cremers als Geschenk, „als Sahnehäubchen“: „Wir haben die gleichen Schwierigkeiten wie andere Paare. Aber wenn es die harten Tiefen gibt, du menschlich nichts mehr hast, dann kommt da eine dritte Dimension ins Spiel: Warum haben wir geheiratet, was haben wir uns da versprochen? Damit ist dann noch nichts gelöst, aber es ist ein tragfähiger Boden, auf dem wir wieder neu anfangen können. Und wenn das gelingt, ist das ein Geschenk!“

1 Im Institut Centro Logos/Caserta (Italien) gegründet von Rino Ventriglia, Psychotherapeut und Neurologe.
2 Nach der Zusage Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Matthäus 18,20).

Familien
haben sich 1967 in der Fokolar-Bewegung zur Initiative „Neue Familien! zusammengeschlossen. Sie richten sich an der Spiritualität der Einheit aus und möchten jene Werte weitergeben, die die universale Geschwisterlichkeit fördern. Ihr Lebensstil orientiert sich am Evangelium. Die natürliche gegenseitige Liebe in den Familien sehen sie als Modell für die Menschheitsfamilie. Sie treffen sich in Familienkreisen, zu Freizeiten, Seminaren, bei regionalen und internationalen Begegnungen.

www.famiglienuove.org (italienisch und englisch)

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2017)
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