23. Mai 2017

Von der Autobahn zum Feldweg

Von nst5

Von einem, der ständig Schmerzen hatte. Was ihm half und wie er lernte, damit zurechtzukommen.

Bei mir ist von den Lendenwirbeln über die Brustwirbel und – seit letztem Sommer – bis in die Halswirbel alles kaputt. Damit ist man extrem eingeschränkt, kann sich nicht mal mehr einen Schuh zubinden, weil man einfach nicht mehr runterkommt. Und ich habe sehr vieles ausprobiert – beim Orthopäden, mit Therapien, vielen Medikamenten; auch eine Reha. Aber das hat alles nichts gebracht.
Dann kam ich zur Schmerztherapie. Und das ist Luxus pur – für einen, der ständig Schmerzen hat. Da wird der Schmerz nicht nur betäubt und nicht nur da hingeschaut, wo er herkommt. Der ganze Körper wird gesehen! Von verschiedenen Experten gemeinsam. Schon nach sechs Wochen war ich praktisch schmerzfrei.
Ich hab’ mich einfach darauf eingelassen. Und dann hat das echt gewirkt! Gerade das autogene Training – Musik und totale Entspannung – hat mir extrem gutgetan. Und das kann ich auch einfach mal zwischendurch machen. Denn Stress ist echt Gift, wenn man Schmerzen hat. Da muss man sich auch mal zurücknehmen und sagen: „So, jetzt geb’ ich mir die fünf Minuten. Und dann bin ich ‚re-settet’!“. Aber wenn man merkt, dass es guttut, macht man es.
Ich war so der Typ, der lieber alles selbst gemacht hat, bevor es jemand verkehrt macht. Aber das geht gar nicht mehr. Man muss im Team spielen. Und das musst du selber erkennen. Es nützt ja nichts, wenn du dann wieder da liegst und kannst nicht mehr. Das Leben geht trotzdem weiter. Deshalb ist diese ganzheitliche Schmertherapie auch eine Art Selbstfindung. Es geht darum, die breite Autobahn des Schmerzes zu einem schmalen Feldweg zu machen. Denn der Schmerz ist immer auf eine Art da und das hält man dann auch aus und muss damit leben.
Man lernt, Warnsignale im Körper zu erkennen und dass Schmerz nicht gleich Schmerz ist, und welchen davon ich auch mal übergehen kann. Ein kleiner Stich in die Seite etwa sagt mir: „Jetzt ist Schluss!“ Dann hilft bei mir Wärme am besten. Wenn ich das übergehe, wird es schlimm. Aber wenn man einmal solche Schmerzen hatte, macht man das nicht mehr.
Bis im letzten Sommer die Geschichte mit den Halswirbeln auftauchte, hatte ich alles einigermaßen im Griff. Natürlich musste ich auch voll viel umstellen. Ich war überall im Bekanntenkreis, wo ein guter Handwerker gefragt war, an vorderster Front. Und das gern. Aber das geht nicht mehr! Da ging für mich schon eine Art Lebensqualität verloren. Das hat mich am meisten gekostet und kam auch nicht bei jedem gut an. Aber das war mir egal.
Ich bin immer gelaufen, war auf dem Cross-Trainer, hab mit Hanteln gearbeitet und durch Muskelaufbau auch vieles abgefangen. Aber jetzt durch die Geschichte mit den Halswirbeln kann ich so gut wie keinen Sport mehr machen. Gymnastik kommt mir – bei allem Respekt – noch wie eine Art Altmännersport vor. Da will ich noch nicht rein. Aber da find ich noch eine Lösung, da bin ich sicher.
Dankbar bin ich für das Verständnis meines Arbeitgebers und der Kollegen. Denn es gibt einfach Arbeiten, bei denen ich mich zurückziehen muss. Da hat man das Gefühl, sich rauszuziehen, nicht mehr Teil des Ganzen zu sein. Aber inzwischen find ich andere Möglichkeiten, meinen Teil einzubringen.

Steffen Hößelbarth
48, ist gelernter Zimmermann und Dachdecker. Mit 22 hatte er seinen ersten Bandscheibenvorfall und hat seitdem „ mal mehr, mal weniger“ Schmerzen. Mit 35 musste er deshalb seinen Beruf wechseln und ist im IT-Bereich einer großen Behörde tätig.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai/Juni 2017)
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