19. Juli 2017

Mehr Geschlossenheit

Von nst5

Offener Brief an Nevzat Yaşar Aşikoğlu,

Sehr geehrter Herr Aşikoğlu,

die DİTİB stand Mitte Juni massiv in der Kritik, weil sie sich ebenso wie der Islamrat nicht der Demo in Köln von Muslimen gegen islamistischen Terror anschloss. Ihr „Nein“ wirkte heftig, auch weil gerade über 300 Imame der „Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich“ mit einer Erklärung gegen Extremismus in die Offensive gegangen waren. Die DİTİB isoliere sich immer mehr und hätte die Chance vertan, ein klares Signal des Zusammenhalts zu senden: Derartige Reaktionen klangen, als sollten Sie zum Mitmachen genötigt werden. Aber niemand kann verpflichtet werden, Zeichen zu setzen! Eine Teilnahme ist nur glaubwürdig, wenn sie freiwillig geschieht.

Sie hatten Ihre Gründe, sagten, Forderungen nach „muslimischen“ Anti-Terror-Demos griffen zu kurz, stigmatisierten Muslime und verengten den Terrorismus auf sie. Die Aktion sei im Ramadan für fastende Muslime unzumutbar, Absprachen hätten gefehlt; Sie vermuteten Effekthascherei als Motiv und bedauerten, die Muslime würden erfahrungsgemäß nach nur wenigen Wochen wieder aufgefordert, sich vom Terrorismus zu distanzieren. – In der Tat ist zu wenig bekannt, dass Sie jeden Terroranschlag der letzten Zeit – ob in London, Teheran oder unter koptischen Christen in Ägypten – klar verurteilt haben.

Hinter den Forderungen, Muslime sollten sich vom gewalttätigen Islamismus abgrenzen, scheint mir jedoch auch etwas anderes zu stecken. Zum einen geht es nicht nur um Terrorismus. Es geht auch um islamische Minderheiten, die Gewalt anwenden, Gruppen ausgrenzen, in Parallelgesellschaften leben oder sich anderweitig gegen die demokratische Grundordnung stellen. Daher sollten sich islamische Verbände klar gegen extreme Muslime in unserer Gesellschaft positionieren. Und das möglichst gemeinsam.
Zum anderen ist bekannt, dass bei Kriegen wie im Jemen, im Irak, in Syrien – bei aller Mitschuld westlicher Akteure – auch Muslime gegen Muslime kämpfen: Der alte Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten lässt sich immer noch politisch instrumentalisieren! Hinzu kommen Spannungen zwischen stark traditionsverbundenen und liberalen Strömungen. Auch die Muslime im deutschsprachigen Raum sind von unterschiedlichen Kulturen, Glaubensrichtungen und –strömungen geprägt und untereinander nicht immer tolerant. Warum ziehen die verschiedenen Verbände und Glaubensrichtungen bei Themen, die sie doch als Muslime gemeinsam interessieren müssten, so wenig an einem Strang? Stattdessen vermitteln sie eher den Eindruck, sich untereinander nicht ganz grün zu sein; jeder Verband, jede Richtung beansprucht die Deutungshoheit über den Islam für sich.
Sie suchen mit der DİTİB den Dialog mit Christen und Juden: Damit schlagen Sie wertvolle Pisten für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander ein! Wo aber bleibt die Geschlossenheit unter den Muslimen? Wo der innerislamische Dialog? Sollte es da mehr als vorsichtige Ansätze geben, dringt das zumindest zu wenig durch. – Es muss keine gemeinsame muslimische Demo sein, aber: Sichtbare Zeichen muslimischer Einheit, also einer versöhnten islamischen Vielfalt, täten dem Islam in unseren Breiten wie auch der Gesellschaft als ganzer gut!

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr,
Redaktion NEUE STADT

Nevzat Yaşar Aşikoğlu
Der 1962 im türkischen Sivas geborene Theologe und Universitätsprofessor für Religionspädagogik ist seit 2014 Vorstandsvorsitzender des DİTİB-Dachverbands (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.). Der Verband hatte Mitte Juni die Teilnahme an einer muslimischen Demonstration gegen Terrorismus in Köln abgelehnt. Die Zahl der Teilnehmer blieb weit unter den erwarteten 10 000. Weitere muslimische Demonstrationen waren in anderen Städten geplant.

www.ditib.de

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2017)
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