19. September 2017

Passiert

Von nst5

Aus dem Leben mit dem Wort 

Mittags am Bahnhof – wie immer großer Trubel. Dann plötzlich ein bekanntes Gesicht. „Wir kennen uns. Aber woher?“ Da erst realisiere ich, dass sie als buddhistische Nonne gekleidet ist. Karin.
Oft war ich am buddhistischen Tempel vorbei gekommen. Immer wieder hatte ich diese Gemeinschaft dann Gott anvertraut, mich gefragt, wie ich Brücken bauen kann. Und dann – ganz unvermittelt – erkennst du, dass dein Gebet erhört wurde.
Wir stellten fest, dass wir auch einen Kurs zur Sterbebegleitung gemeinsam gemacht hatten, sie in „zivil“. Dort habe sie wahrgenommen, dass ich Christin sei. Während die Menschen vorbeieilten, erlebten wir einen tiefen Dialog über das Leben und unsere Werte.
U.G.

Seit gut vier Jahren bin ich freiwillige Helferin in einem Pflegezentrum. Heute schaute ich zu einer Frau, die mir seit einigen Wochen anvertraut ist. Danach ging ich in den Raum der Stille. Sofort wurde ich auf zwei Frauen aufmerksam. Mutter und Tochter. Die Tochter wollte die Mutter überzeugen, keine Medikamente mehr zu nehmen. Die Ärzte könnten nicht mehr helfen. Sie erwähnte auch die Möglichkeit einer Sterbehilfe.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sprach die beiden an. So konnte ich auf eine Palliativ-Care-Organisation hinweisen, die Schwerkranke und Sterbende begleitet. Mit Interesse hörten sie zu; die Situation entspannte sich und die Tochter notierte sich die Kontaktdaten. Beim Weggehen bekreuzigte ich mich sehr bewusst.
D.S.

Ich wollte gerade die Balkonblumen gießen, als ein Afghane aus dem Nachbarhaus rief: „Bitte komm! Problem.” Die drei hatten zwei neue Mitbewohner bekommen. Einer hatte einem Afghanen mit dem Kopf die Nase gestoßen. Ich kam in eine von Vorurteilen „kochende Küche”, konnte nur zuhören und versuchen, beschwichtigend einzuwirken. Nach eineinhalb Stunden Gebrüll wagte ich zaghaft anzumahnen, dass eine Entschuldigung angebracht wäre. Zwei Tage später besuchte ich sie wieder, brachte einen Nachtisch und ein Kartenspiel mit. Die Neuen hatten sich eingesperrt. Erst nach längerem Klopfen öffneten sie. Ich weiß, dass ich nicht die Herzen ändern kann. Aber ich kann alles Gott übergeben.
Einige Zeit später bekam ich von Bekannten tolle Kapuzenshirts und brachte sie zum Ausprobieren zu „meinen Buben”. Auch die Neuen lud ich ein. Am Schluss sagte der Kopfstoßer: „Danke, Papa.”
G.W.

Illustration: (c) elfgenpick.com

Ich komme aus Ägypten un bin seit Jahresbeginn in Berlin. Zur Vorbereitung meines Masterstudiums stieg ich in einen laufenden Deutschkurs ein. Dort traf ich auf etwa 20 junge Leute aus aller Welt, darunter eine Gruppe arabisch sprechender, mit denen ich mich sofort verstand. Schnell bemerkte ich einen jungen Mann, der allein saß und von der arabisch sprechenden Gruppe ignoriert wurde. „Wer ist das?“, fragte ich. „Er kommt aus Israel. Mit dem sprechen wir nicht.“
In der Pause ging ich zu ihm und stellte mich vor. Als er sagte, dass er aus Israel komme, merkte ich, dass er auf meine Reaktion gespannt war. Ich fragte gleich nach, aus welcher Stadt. So wich sein Misstrauen und wir kamen ins Gespräch.Nach der Pause fragten mich die anderen: „Du sprichst mit dem Juden?“ – „Ja. Er studiert hier mit uns und ist einer von uns. Ich spreche mit jedem Menschen, auch wenn ich die Politik seines Landes nicht unterstütze.“ – „Wir sind jetzt seit drei Monaten zusammen und auch er spricht nicht mit uns“, entgegneten meine arabisch sprechenden Kollegen.
Am nächsten Tag standen wir zusammen im Hof und er lief an uns vorüber. „Hallo, wie geht’s?“, fragte ich ihn. Er blieb stehen. Das war die Gelegenheit, ihn den anderen vorzustellen. „Das ist mein Freund“, sagte ich. „Wusstet ihr, dass er aus Tel Aviv kommt?“ So kamen wir ins Gespräch. Heute gibt es keine Schranken mehr zwischen uns, jeder spricht mit jedem und wir lernen alle gemeinsam.
K.G.

Als ich nach der Pause in die Klasse kam, saßen die anderen schon an einer Gruppenarbeit. Meine Freunde winkten mir, dass ich zu ihnen kommen kann. Als ich Stift und Block von meinem Platz nahm, sah ich Joshua, der noch allein war. Wie fast immer. Er sah auf und fragte mich: „Willst du mit mir arbeiten?“ Da war schnell der Gedanke: „Was würde Jesus tun?“ Aber ich dachte auch, wie viel Spaß ich mit meinen Freunden haben würde. Und dann: „Aber er braucht einen Partner.“ So sagte ich meinen Freunden: „Ich werde mit Joshua arbeiten. Okay?“ Sie schauten erst überrascht, dann grinsten sie. Ich fühlte mich sofort wie ein Außenseiter. So wie Joshua. Da dachte ich: „Los, mach schon! Jesus hat sich für andere eingesetzt.“
E.C.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2017)
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