14. März 2018

Die Feinde lieben?

Von nst5

 „ Liebe“ kann vieles bedeuten: Vom „ bloßen“ Gefallen finden an einer Sache über romantische Gefühle und heroischen Einsatz für andere bis hin zu Sex.  Wenn es aber heißt, den Nächsten oder die Feinde zu lieben: Wie kann das gehen? Was ist hier mit „ lieben“ gemeint? Ist das eine andere „ Liebe“ als in sonstigen Zusammenhängen?

Clemens Metzmacher
Diplom-Psychologe und Supervisor, Dresden
Mir gefällt es, Liebesfähigkeit als Vermögen zu verstehen, in Verbindung mit anderen zu sein und sie gleichzeitig ganz frei zu lassen. Das heißt je nach Beziehung etwas ganz anderes. Zuerst steht die Frage, ob ich überhaupt in Verbindung gehen möchte zu meiner oder meinem „Nächsten“. Hier kann „lieben“ heißen: „Verbinde dich.“
Schwieriger wird es, wenn ich andere als „Feinde“ wahrnehme. Dann bin ich innerlich in einer sehr engen Beziehung, auch wenn ich das nicht will. Nur nehme ich mich als abhängig Reagierenden wahr, als Opfer oder Täter. Ich verhalte mich entsprechend mit einem eingeschränkten Verhaltensrepertoire von Verteidigung oder Angriff. Dies geschieht auf beiden Seiten, sodass eine Dynamik entsteht, die alle Beteiligten unfrei macht.
Die Aufforderung „liebe deine Feinde“ ist psychologisch sehr schlau, denn sie heißt „werde frei“ oder „aktiviere deine vollen Verhaltenskompetenzen“, was auch beim anderen Neues freisetzen kann. Dazu gehört, die eigenen Verletzungen zu würdigen, hinter ihnen die Bedürfnisse wahrzunehmen, sie als Wunsch ernst zu nehmen und sich mit ihnen nicht vom anderen abhängig zu machen: Liebe dich selbst. Die Haltung, dass alle Beteiligten gute Gründe für ihr Verhalten haben, kann dabei hilfreich sein. Aber wenn man in einem Konflikt „drin steckt“, ist dies natürlich sehr schwer.

Johannes Wehr
Schulleiter und Familienvater, Memmingen
Denke ich an Familie, kommt mir nicht gleich „Liebe deine Feinde“ in den Sinn. Dennoch: Es gibt immer wieder Zerrüttungen. Eheleute können zu Feinden werden. Erbstreitigkeiten bringen Geschwister auseinander. Manchmal hatten sie sich längst auseinandergelebt, manchmal geht mit den Erbfragen der Streit erst los. Ein wesentlicher Aspekt ist das Gefühl, hintergangen oder nicht gerecht behandelt worden zu sein. Um dies zu verhindern, müsste sich jede Familie – speziell die Geschwister – im Vorfeld Zeit nehmen: verschiedene Erbmöglichkeiten durchsprechen, alte Kränkungen klären, damit sie nicht hochkochen.
Was aber, wenn der Streit ausgebrochen ist? Das Gespräch suchen scheint mir der Königsweg zu sein. Sich austauschen, wo man sich gekränkt fühlt, wie jeder die Sachlage interpretiert. Wenn ich verstehe, wie und warum der andere so und nicht anders handelt, öffnet sich mir eine Tür. Vielleicht zu neuen Wegen im Umgang miteinander.
Ist kein Gespräch möglich, weil ein Geschwisterteil es ablehnt oder mir kein ehrlicher Dialog gelingt? Hier kann die Vermittlung durch einen Dritten hilfreich sein. Klappt auch das nicht, heißt es, am letzten Verbindungsfaden festzuhalten: dem Wunsch nach einem besseren Miteinander, nach Versöhnung. Allein das ist schon eine Keimzelle der „Feindesliebe“.

Matthäus Appesbacher
Kath. Priester, Bischofsvikar i.R., Salzburg
Vor Jahrzehnten musste ich als kirchlicher Schulamtsleiter einem Pädagogen die Unterrichtserlaubnis entziehen, konnte ihm aber helfen, in einem anderen Bereich sein Vertragsverhältnis zu erhalten. Er trat aus der Kirche aus und schrieb mir Jahre später unter anderem: „Schade, dass du nicht schon längst verreckt bist” – Der Mann hat offensichtlich unter der Entscheidung sehr gelitten und Hass entwickelt. Ich spüre sonderbarerweise bis heute kein Beleidigtsein oder Rachegefühl, eher tiefes Mitleid. Es ist reines Geschenk Gottes, pure Gnade und nicht meine Leistung, von Gedanken des Richtens verschont zu bleiben. Versuchungen und Ansätze dazu tauchen manchmal auf.
Trotz der Verletzungen nicht nachtragen, verzeihen, gar Schritte auf den anderen zu wagen in Richtung Versöhnung: Feindesliebe fordert uns noch mehr heraus als Nächstenliebe, ja, menschlich überfordert sie uns! Für mich ist sie ein Wunder. Wir können sie nur mit Gottes Hilfe erlangen. Der Rückhalt einer Gemeinschaft, die auf ihn setzt, kann eine Hilfe sein. Nur durch Beten erhalten wir das Geschenk der Barmherzigkeit: etwa mit dem „Jesusgebet“ („Jesus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner“) oder gemeinsam zu zweit oder dritt, wie Jesus es empfohlen hat 1.

1 Vgl. Johannes 18,19-20

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(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2018)
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