20. Januar 2009

„Afrika ist mein Leben“

Von nst_xy


Auf keinen Fall wollte Reginamaria Eder Ärztin werden. Dass sie dennoch diesen Beruf ergriffen hat, ist nur eine der vielen spannenden Wendungen in ihrem Leben.

Was Afrika für mich ist?“ – Reginamaria Eder wiederholt die Frage, wohl um eine Denkpause zu gewinnen. Doch dann hält sie inne, und die Bilder, die vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen, bewegen die 53-jährige Ärztin offenkundig sehr. – „Afrika ist mein Leben“, sagt sie schließlich. Und sie sagt es so sehr von innen heraus, dass man das Gespräch am liebsten beenden möchte; mehr kann Reginamaria Eder über sich, über ihre jahrzehntelange Arbeit auf dem schwarzen Kontinent nicht sagen. In der Tat wird sie mit all dem, was sie in den folgenden Stunden berichten wird, diesen einen Satz nur mit Inhalt füllen.

Ihr erster Afrikabesuch sollte für die damals 18-jährige Abiturientin Reginamaria nur die Lücke bis zum Studienbeginn füllen. Lehrerin für Mathe und Griechisch wollte sie werden. Ihre Tante, Ärztin im damaligen Rhodesien, hatte sie eingeladen, und so macht Reginamaria ihre ersten Afrika-Erfahrungen: einfachste Lebensumstände, Apartheid, nur elementarste medizinische Versorgung. Obwohl sie keinesfalls Ärztin hatte werden wollen, bewirbt sie sich noch von Rhodesien aus für ein Medizinstudium. Die Umstände sagen ihr, dass Gott das von ihr will; und wie zur Bestätigung bekommt die im schwäbischen Riedlingen geborene Abiturientin auch sofort einen Studienplatz. Ebenso klar ist damit aber auch, dass dieses Studium nur einem Ziel dient: als Ärztin nach Afrika zu gehen.
Doch die Klarheit wird nicht lange anhalten; denn da ist noch ein anderer Lebensstrang, dessen Richtung die angehende Ärztin herauszufinden sucht: Immer stärker gewinnt Reginamaria Eder den Eindruck, zu einem Leben ganz für Gott berufen zu sein. Als Schülerin hat sie einen großen Jugendaufbruch durch die Fokolar-Bewegung erlebt und war von der Radikalität des Fokolar-Lebens fasziniert. So scheint ihr der Platz als „Gottgeweihte“ in einer Fokolar-Gemeinschaft das zu sein, wo Gott sie haben will.

Afrika oder das Fokolar?, ist nun die Alternative. Nach heftigem inneren Ringen fällt die Entscheidung für ein Leben im Fokolar. Ungläubig überrascht ist die junge Ärztin dann allerdings, als sie nach ihren Vorbereitungsjahren auf das Gemeinschaftsleben ausgerechnet in ein Fokolar nach Afrika geschickt wird: „Es war das vom Evangelium versprochene ‚Hundertfache’.“
Es folgen drei Jahre im Krankenhaus von Fontem, einem Projekt der Fokolar-Bewegung im Norden Kameruns, drei äußerst harte Jahre: Reginamaria verausgabt sich völlig und leidet zunehmend unter Malaria-Attacken, die ihr ein normales Arbeiten als Ärztin verwehren. Vor allem aber führt sie ein äußerst schmerzlicher Klärungsprozess hinsichtlich ihres Lebenswegs ganz unerwartet wieder aus dem Fokolar hinaus.

Dramatischer kann der Weg eines Menschen, der auf Gott zu hören versucht, kaum sein: Zuerst der innere Ruf nach Afrika, dann das Loslassen Afrikas für das Fokolar, schließlich geht es im Auftrag des Fokolars nach Afrika, und letztendlich in Afrika dann das Fokolar – und damit die tragende Lebensperspektive – wieder zu verlieren!

In der Folgezeit muss Reginamaria Eder ihr Leben neu sortieren: Sie spürt weiterhin, dass ihr Platz auf dem schwarzen Kontinent ist. Geblieben sind ihr auch die drei Lebensziele, die sie schon seit der Jugendzeit geprägt haben: ganz für Gott, ganz für die Kirche, ganz für die Einheit, also für ein Leben aus der Spiritualität des Fokolars.
Am Ende dieses Suchprozesses finden wir die Ärztin 1993 wieder in Kamerun, in der Hauptstadt Yaoundé. Finanziert vom deutschen Hilfswerk Misereor übernimmt sie im Auftrag der dortigen Bischofskonferenz die Koordination des kirchlichen Gesundheitswesens – und damit die Verantwortung für 182 über das ganze Land verstreute Krankenhäuser.

Was sie in den folgenden sechs Jahren leistet, wird noch heute in Kamerun als die „Ära Dr. Eder“ bezeichnet: der Aufbau und die Vernetzung von Koordinationsteams in 19 Diözesen; ein funktionierendes Kommunikationssystem nicht nur mit ihrem Büro, sondern auch unter den Krankenhäusern; die Entwicklung eines landesweiten Bestell- und Verteilungssystems für Medikamente, das weitestgehend gegen Korruption und Diebstahl resistent ist.
Möglich ist diese Sisyphus-Arbeit, weil Reginamaria Eder selbst in ein Netz integriert ist: In der Zwischenzeit hat sie ihr geistliches Zuhause, ihre Berufung, bei den so genannten „Freiwilligen Gottes“ gefunden: Frauen und Männer, die aus der Spiritualität des Fokolars leben und den Geist der Einheit besonders in die gesellschaftlichen Strukturen hineinbringen wollen.
Gemeinsam mit einigen afrikanischen Freiwilligen startet Reginamaria Eder nebenbei auch zwei weitere Projekte: Aus dem Wunsch, ein Unternehmen der „Wirtschaft in Gemeinschaft“ zu gründen, entsteht nach vielen Anläufen eine Hühnerfarm; und aus der Begegnung mit einer verwahrlosten 11-Jährigen wächst ein Sozialprojekt für Straßenkinder, und zwar ausschließlich Mädchen.

Erfolg hat Neider – und so wird Dr. Eders Vertrag überraschenderweise nicht verlängert. Die Ärztin muss innerhalb eines Monats ihre Arbeit an das Team übergeben und die Koordinationsstelle ohne Leitung hinterlassen. Was kaum jemand geglaubt hätte: Das System hält und funktioniert bis heute.

Wieder ist alles offen. Reginamaria Eder überbrückt die Zeit des Wartens auf eine Klärung damit, dass sie im Auftrag des Würzburger missionsärztlichen Instituts in ganz Deutschland      Sommerakademien zum Thema „Medizin in den Tropen“ organisiert. Doch dann macht sie ein Bischof aus Zentralafrika ausfindig, reist eigens nach Deutschland und bittet sie, in seinem Land den gleichen Job zu übernehmen, den sie auch in Kamerun hatte.
„Ich wusste, dass Zentralafrik problematisch ist“, erinnert sich Reginamaria Eder. „Aber ich hatte keine Ahnung, wie menschen- und gottverlassen dieses Land wirklich ist.“ Im Jahr 2000 beginnt sie mit ihrer Arbeit in der Zentralafrikanischen Republik, einem Land, das auf fast allen internationalen Skalen ganz unten rangiert: Über 50 Prozent Analphabeten; bis zu 35 Prozent der Bevölkerung sind HIV-infiziert; die meisten Menschen haben durchschnittlich alle zwei Tage etwas zu essen; die öffentlichen Gehälter sind 42 Monate im Rückstand; es herrschen vielerorts bürgerkriegsähnliche Zustände; allein zwischen 1996 und 2003 gab es sieben Umstürze, die immer ein unsägliches Maß an Gewalt, Zerstörung und Anarchie mit sich brachten.
Was unter diesen Umständen entsteht, ist unglaublich: Reginamaria Eder schafft es, ein Koordinationsteam für das kirchliche Gesundheitswesen aufzubauen. Mit dessen Hilfe kann sie nach dem letzten Umsturz 2002 die zusammengebrochene Gesundheitsversorgung im Land wieder in Gang bringen.
Von 158 Kliniken können 133 ihren Betrieb wieder aufnehmen; die anderen sind zerstört. Zeitweise bezieht sie auch das staatliche Gesundheitswesen mit ein und durfte zu Recht als „Schattengesundheitsministerin“ bezeichnet werden.

Hoffnungsvoll ist auch Dr. Eders EVA-Programm: ein Kurs zur Lebens- und Liebeserziehung. Etwa 280 Kursleiter haben in wenigen Jahren 30 000 Teilnehmern ein von christlichen Werten geprägtes Verständnis von Liebe und Sexualität vermittelt. Die daraus erwachsenen Verhaltensänderungen sind wohl eines der wirkungsvollsten Präventionsprogramme gegen Aids.

Zurzeit ist Reginamaria wieder in Deutschland. Als Koordinatorin verschiedener aus dem Ausland finanzierter Hilfsprogramme war sie in einem Land, wo viele ums nackte Überleben kämpfen, ins Fadenkreuz zu vieler Begehrlichkeiten und damit in höchste Lebensgefahr geraten. Dass sie die laufenden Projekte nicht zu Ende bringen konnte und viele Mit arbeiter gewissermaßen im Stich lassen musste, empfindet sie als Scheitern. Aber sie weiß auch, dass sie für Afrika noch längst nicht so viel gegeben hat, wie sie von diesem Kontinent empfangen und lernen durfte. Und deshalb wartet sie auf den nächsten Auftrag!
Joachim Schwind

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2009)
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