20. Januar 2009

Der Weisheit auf der Spur

Von nst_xy

Am 1. Dezember wurde die Hochschule der Fokolar-Bewegung in Loppiano eingeweiht. Die neue Universität möchte Studienzentrum und Lebensschule zugleich sein – und so zusammenführen, was bisher noch getrennt ist: Lehre und Leben.

Keine Frage! Spannung und Freude lagen in der Luft. Schließlich ist es nicht alltäglich, wenn eine neue Universität eingeweiht wird. Dass an so einem Tag auch ein wenig Anspannung auf den Gesichtern der Professoren geschrieben steht, ist nicht verwunderlich. Noch dazu, wenn die Festgäste aus der ganzen Welt angereist sind, darunter Rektoren und Kanzler von Universitäten aus Indien, den USA, Venezuela, Thailand, Südafrika, von den Philippinen, Kenia, Costa Rica und verschiedenen Ländern Europas.
Zusammen mit Vertretern aus den verschiedenen Kirchen, aus Politik und Gesellschaft in Italien sowie Angehörigen unterschiedlicher Religionen waren sie am 1. Dezember in die internationale Fokolar-Siedlung Loppiano bei Florenz gekommen, um bei der Einweihung des neu gegründeten Hochschul-Institutes „Sophia – Für eine Kultur der Einheit“ dabei zu sein.
Ihren Lehrbetrieb hat die junge Uni bereits am 13. Oktober mit 40 Studentinnen und Studenten aus 16 Ländern aller fünf Kontinente aufgenommen. Und auch auf den Gesichtern dieser „Erstsemester“ spiegelte sich die besondere Stimmung dieses Tages wider.

In den Grußbotschaften und Festreden war von „großer Hoffnung“, einem „wahr gewordenen Traum“ und einem „lange erwarteten Moment“ die Rede.

Zahlreiche Vertreter aus Wissenschaft und Kultur brachten zum Ausdruck, welche Hoffnung sie auf das neue akademische Institut setzen: Der Präsident der italienischen Abgeordnetenkammer, Gianfranco Fini, erwartet sich, dass Dialog auf allen Ebenen gefördert wird; Ugo Amaldi, Physik-Professor an der Universität in Mailand und langjähriger Mitarbeiter am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf, wünscht sich, dass die Universität ein „Ort des Vertrauens“ wird, an dem das konstruktive Gespräch über aktuelle ethische Fragen zwischen Wissenschaftlern, Bürgern und Politikern möglich wird; Papst Benedikt hofft, dass die neue Hochschule auf der Basis christlichen Glaubens eine erweiterte und vollständigere Sicht des Wissens fördert, auf den Dialog mit anderen Religionen und Kulturen ausgerichtet ist und den intellektuellen und geistigen Wachstumsprozess der jungen Menschen begünstigt.

Fast alle Grußbotschaften unter strichen, wie notwendig es sei, die verschiedenen menschlichen Wissens- und Lebensbereiche wieder zu einer ganzheitlichen Sicht zusammen zu führen.

Diesen vielfältig ins Wort gebrachten Erwartungen konnten sich dann auch die Zuschauer, die den Festakt über Internet in allen Teilen der Welt verfolgten, kaum entziehen. Dem einen oder der anderen mag sich dabei durchaus auch die Frage aufgedrängt haben, wie die gerade entstehende, noch sehr kleine Universität das alles denn bloß leisten soll.
Fast verblüffend war deshalb dann die Antwort, die aufblitzte, als der neue Rektor der Universität, Piero Coda, das Wort ergriff: „Von Anfang an waren die Jünger überzeugt, dass in Jesus, dem Wort des Lebens, dem Wort des Vaters schlechthin, uns Menschen jenes Leben angeboten wird, das Licht für alles ist.“ Das, so fuhr der Theologieprofessor fort, sei über die Jahrhunderte hinweg die Erfahrung vieler großer Persönlichkeiten in der Kirche gewesen und von Anfang an auch die von Chiara Lubich und der von ihr gegründeten Fokolar-Bewegung.
So gehen die Ursprünge des Instituts zurück auf eine fast paradox anmutende Erfahrung der    Fokolar-Gründerin: Obwohl sie auf der Suche nach der Wahrheit war und diese im Philosophie-Studium zu finden glaubte, brachte sie eines Tages ihre Bücher auf den Speicher. Chiara Lubich hatte die klare Aufforderung Jesu vernommen, die Wahrheit nicht in Büchern zu suchen, sondern ihm – der Mensch gewordenen Wahrheit – zu folgen. Dieser Einladung konnte sie sich nicht entziehen, genauso wenig wie der Zusage, die sie gleichzeitig in sich hörte: „Ich werde euer Lehrer sein!“
Die Erfahrung, die Chiara Lubich auf der Basis des gelebten Evangeliums zusammen mit ihren ersten Gefährtinnen machte, war stark und beeindruckend. Dieses Leben warf Licht auf alle Bereiche ihres Lebens, nichts war davon ausgeschlossen. So war sie schon bald davon überzeugt, dass daraus auch eine neue Art des Studiums und eine neue Doktrin entstehen werde, die alle Wissensbereiche einschließt.

Was bedeutet das nun für die gerade eingeweihte Hochschule? Sie soll ein Studienzentrum sein, das gleichzeitig Lebensschule ist.

„Beziehung“ ist das Schlüsselwort für die neue Universität, die sich selbst als „Laboratorium für menschliche und kulturelle Entwicklung“ versteht und Studium und menschliche Erfahrung miteinander in Verbindung bringen will. Die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden soll die Grundlage dafür sein, dass die unterschiedlichen Wissensbereiche ebenfalls miteinander in Beziehung treten.
Was sich noch theoretisch anhört, wird sich in der Praxis beweisen müssen. Trotzdem – die Universität startet nicht aus dem Nichts. Vorangegangen ist seit 2001 eine jährliche Sommerschule, zu der Studentinnen und Studenten aus der ganzen Welt für vier Wochen zusammen kamen. Die Erfahrungen daraus sind Grundlage für den Lehrbetrieb der Uni, die einen europaweit anerkannten Master- oder Doktoratsabschluss anbietet: Neben einem abgeschlossenen Bachelor-Studium müssen die Studenten auch die Bereitschaft mitbringen, sich auf den besonderen Stil des Instituts „Sophia“ einzulassen. Dazu gehört ein „Pakt der gegenseitigen Annahme auf geistlicher und intellektueller Ebene“, die Orientierung an einem regelmäßig wechselnden „Wort des Lebens“ aus der Schrift und der Austausch darüber sowie die Bereitschaft, die eigene Entwicklung regelmäßig im Miteinander auf den Prüfstand zu stellen.
Elisabeth, 22 Jahre, kommt aus Belgien und ist eine der Erstsemester der „Sophia“. „Bei einem Abendessen“, so erzählt sie, „haben wir uns die Köpfe heiß geredet über den Feminismus, wie wir ihn verstehen, was er in der Kultur der anderen bedeutet. Wir wollten unbedingt eine Gemeinsamkeit finden, aber das gelang uns nicht. Und am Ende haben wir fast gestritten. Am nächsten Morgen haben wir dann bei einer unserer morgendlichen Austauschrunden da rüber gesprochen. So lernen wir, uns auch in unserer Unterschiedlichkeit anzunehmen.“

Die Bereitschaft offen zu sein füreinander und für die Denkweise des anderen, unabhängig von Kultur, Religion und jeder bisherigen Erfahrung, bleibt nicht ohne Folgen, wie auch die Philosophiestudentin Sara aus Italien bestätigt:

„Ich könnte diese ersten Wochen kennzeichnen mit dem Wort ‚Zerstörung’. Das Gedankengebäude, das mich bisher ausmachte, wird in Frage gestellt, zerstört. Aber ich erlebe auch, dass die einzelnen Teile in dem, was jetzt langsam wieder neu aufgebaut wird, enthalten sind – aber anders! Leben und Kultur gehen Hand in Hand.“
Zusammenbringen, was getrennt ist: die unter schiedlichen Wissensund Studienbereiche, Leben und Lehre. „Das ist ein anspruchsvolles Unterfangen,“ gesteht auch Rektor Piero Coda ein, „aber auch sehr faszinierend!
Die Zeit dafür war reif. Es braucht keine weiteren spezialisierten Fakultäten, sondern Orte, an denen man das Wissen wieder in Verbindung setzt – im Respekt vor den einzelnen Disziplinen.“
„Unsere Studenten sollen entdecken,“ so Maria Emmaus Voce, die als Präsidentin der Fokolar-Bewegung auch Vizekanzlerin der Universität ist, „dass jeder Wissensbereich mit den anderen verbunden ist, und dass die Grundlage allen Wissens die Weisheit ist. Das bedeutet: mit der Sicht Gottes auf die Menschen und alle menschlichen Wirklichkeiten schauen.“ Damit erklärt sich auch der Name der neu errichteten Universität der Fokolar-Bewegung: „Sophia (deutsch: Weisheit) – Für eine Kultur der Einheit“
Bei all dem ist man geneigt dem Rektor zuzustimmen: ein anspruchsvolles Unterfangen – aber auch ein sehr faszinierendes in einer Welt, die mehr von Aufsplitterung und Nebeneinander, denn von Miteinander gekennzeichnet ist.
Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2009)
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