20. Januar 2009

Jeder sah nur seinen standpunkt.

Von nst_xy

Erfahrungsberichte

Auf unserem Grundstück standen beim Parkplatz Sträucher, die im Sommer wunderbar blühten. Wegen einer Baustelle sollten sie weichen. Zwar hatten wir noch ein wenig Zeit bis es mit dem Bau losging, trotzdem wollten wir das bald entscheiden. Aber wir fanden einfach keinen anderen Platz, der meinem Mann und mir gleichermaßen geeignet erschien.
Es war keine Lösung in Sicht. Deshalb war ich sehr erstaunt, als ich nach einiger Zeit im Garten arbeitete und neben der Terrasse doch einer der Sträucher eingepflanzt worden war. Ich war wütend! Das war meiner Meinung nach ein völlig unmöglicher Platz für den Strauch. Außerdem zog er viele Bienen an, die uns dann sicher beim Essen stören würden. Und überhaupt! Ich war sauer, weil mein Mann diesen Strauch gepflanzt hatte, ohne mir vorher davon zu erzählen. Am liebsten hätte ich den Strauch einfach ausgerissen!
Ich atmete tief durch und nahm mir vor, ruhig mit meinem Mann darüber zu sprechen. Das Gespräch verlief dann aber nicht besonders gut. Jeder sah nur seinen Standpunkt. Da wir nicht weiter kamen, ging ich in die Küche, um mit dem Kochen zu beginnen. Das ganze ließ mir keine Ruhe. So versuchte ich, mich innerlich mit Gott kurz zu schließen, ihm meine Ratlosigkeit und Ohnmacht hinzuhalten. Langsam wurde ich ruhiger. „Wie konnte ich bloß so auf meinem Standpunkt beharren?“, begann ich mich zu fragen und plötzlich ahnte ich, wie wichtig meinem Mann diese Pflanze war. Dann kam mir die Idee, sie in einen Topf zu pflanzen. So wäre es vielleicht leichter, einen Platz dafür zu finden.
Beim Essen erzählte ich von meinen Überlegungen. Meinem Mann gefiel die Idee. Wir entschuldigten uns gegenseitig und zogen froh los, um den Topf zu kaufen.
B.B.

Einer bleibt allein zurück.

Seit vier Jahren bin ich in einem Fahrradverein. Wir trainieren regelmäßig und intensiv, oft auch in den Bergen. Dabei fährt natürlich jeder gerne ganz vorne mit. Logischerweise gibt es immer einen, der zuletzt fährt, aber manchmal verliert auch einer ganz den Anschluss und fährt mit Abstand hinter allen her. Ich weiß, wie hart das ist, weil man sich dann nur noch ganz schwer motivieren kann, weiter zu machen.
Wenn es mir auffällt, erinnere ich mich an die „goldene Regel“ aus dem Evangelium: „Tu den anderen, was du von ihnen erwartest.“ Das hilft mir, nicht nur daran zu denken, dass ich ganz vorne dabei sein möchte, sondern mich in den anderen hinein zu versetzen. Und so habe ich es einige Male geschafft, mit hinten zu bleiben und gemeinsam mit dem Nachzügler weiter zu fahren.
Dann komme ich natürlich nicht so schnell vorwärts und es ist mühsam, erst wieder einen neuen Rhythmus zu finden. Aber ich war wirklich erstaunt, weil dann nicht nur der andere Radfahrer froh war, sondern auch ich. Viele Freundschaften sind so gewachsen.
L.B. (15 J.)

Was ändert das jetzt?

Für Untersuchungen musste ich in die Klinik. Früh morgens begann es: eine Nummer ziehen, dann warten, bis ich zur Anmeldung aufgerufen wurde. Dort erhielt ich eine andere Nummer für die erste Untersuchung und wieder saß ich in dem riesigen Wartesaal.
So bekam ich mit, wie viele ältere Menschen ankamen und nicht wussten, wohin sie sich wenden sollten. Nach einiger Zeit gingen sie zur Anmeldung, um nachzufragen. Meist bekamen sie nur knapp und unwirsch zur Antwort, dass sie erst eine Nummer ziehen mussten.
Der Apparat dafür war wirklich unglücklich platziert und nicht deutlich gekennzeichnet. So erhob ich mich und fragte beim Pförtner nach, ob er nicht ein Hinweisschild anbringen könnte. Aber er gab mir nur zur Antwort, dass das nicht seine Aufgabe sei. Wir diskutierten kurz, dann ließ er mich einfach stehen. Zunächst war ich wütend. Dann beschloss ich, die Wartezeit zu nutzen und setzte mich in die Nähe des Apparats. Für jeden Neuankömmling zog ich die Nummer und hielt sie ihm entgegen.
Nach einiger Zeit kam ich mir lächerlich vor, alle Augen waren auf mich gerichtet. Dann fragte auch noch ein Mann, warum ich das denn mache, schließlich könne die Klinik ja ein Schild anbringen.
Zunächst wollte ich in seine Beschimpfungen einstimmen. Aber dann kam mir: „Und was ändert das?“ Freundlich erklärte ich ihm, dass ich nachgefragt hatte, man aber wohl im Moment nichts machen könne. Deshalb hätte ich beschlossen, die Wartezeit zu nutzen.
Inzwischen wurde meine Nummer aufgerufen, und so ging ich zum Untersuchungszimmer. Nach etwa zweieinhalb Stunden kam ich wieder am Wartesaal vorbei und sah erfreut, dass neben dem Apparat ein Mann saß, der den Neuankömmlingen jeweils eine Nummer entgegen hielt.
S.B.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2009)
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