15. März 2009

the same procedure …

Von nst_xy

Alle Jahre wieder geht im osten der Gashahn zu

Es könnte als Hintergrund für einen Thriller von Frederick Forsythe dienen: Regelmäßig zum Jahreswechsel – und damit immer im tiefsten Winter – dreht die russische Firma Gazprom ihrem ukrainischen Kunden Naftogaz den Hahn zu. Sie will ihn so zwingen, ausstehende Rechnungen zu bezahlen. Das tun die Ukrainer aber nicht, weil ihnen der Preis zu hoch ist. Da Gazprom jedoch das ukrainische Leitungssystem braucht, um auch die EU-Staaten zu beliefern, ist der zugedrehte Hahn nur virtuell. Gazprom beliefert die anderen Kunden in vollem Umfang, aber die Lieferung kommt nur teilweise am Ziel an, obwohl die Ukrainer beteuern, sie hätten nichts abgezweigt.
Bis hierher handelt es sich um einen Streit zwischen zwei Unternehmen. Doch nun tritt die Politik auf den Plan; denn Gazprom und Naftogaz sind staatseigene Unternehmen, in denen Politiker das Sagen haben.
Sie entscheiden, ob, wann und unter welchen Konditionen das Gas wieder strömt. Bei der Schlichtung des letzten Gasstreits war die EU beteiligt – insbesondere die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Seit 1973 sind die Länder Westeuropas im Gasgeschäft mit der Sowjetunion. Etwa 80 Prozent des für Westeuropa bestimmten russischen Gases fließt über die Druzba-Pipeline durch die Ukraine und Polen. Der Rest kommt über eine Leitung durch Weißrussland.
Jahrzehnte lang ging auch alles gut – selbst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991. Weil sich in der Ukraine ein russlandfreundliches Regime etablierte, bekam das Land russisches Gas zu Vorzugspreisen. 2004 schloss der russlandfreundliche Regierungschef Viktor Janukowitsch einen Vertrag mit dem großen Nachbarn, demzufolge die Ukraine bis 2009 Gas zu deutlich unter dem Marktpreis liegenden Gebühren beziehen sollte.
Doch mit der orangenen Revolution Ende 2004 wurde Janukowitsch aus dem Amt gefegt. Die neuen Machthaber, Viktor Juschtschenko und Julia Timo-schenko, orientierten sich nach Westen, in Richtung NATO und EU – verständlicherweise sehr zum Missfallen Russlands. Nun benutzten die Russen den Gashahn als Druckmittel gegen die Nachbarn: Im Frühjahr 2005 verlangte Gazprom von der Ukraine plötzlich statt der bisher vereinbarten 50 Dollar pro Tausend Kubikmeter 160 Dollar; im November desselben Jahres forderten die Russen dann den Weltmarktpreis von 220 bis 230 Dollar.
Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko bewilligte schließlich eine Erhöhung auf 90 Dollar; mehr sei seiner Wirtschaft nicht zuzumuten. Damit war der erste Gasstreit 2005/2006 vorprogrammiert, weitere Auseinandersetzungen folgten. Letztlich gaben die Russen immer nach, da ihre Wirtschaft auf die Einnahmen der EU-Abnehmer nicht verzichten kann.
Die EU ihrerseits machte massiv Druck auf die Russen, weil sie durchschnittlich 40 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland bezieht. Dabei sind einige Länder etwa in Osteuropa nahezu gänzlich vom russischen Gas abhängig, während andere auch aus Norwegen oder Algerien Gas beziehen.
Um diese Abhängigkeit zu verringern sind mehrere Projekte im Gespräch: Die Nabuko-Pipeline soll Gas vom Kaspischen Meer aus Turkmenistan, Kasachstan und Aserbeidschan nach Europa bringen. Doch Gazprom war schneller und band die genannten Staaten vertraglich an ihr eigenes Projekt „South stream”, durch das Gas an der Ukraine vorbei nach Europa fließen soll. In die gleiche Richtung zielt die Ostsee-Pipeline, die Gazprom zusammen mit deutschen Firmen bauen will.
Alle diese Pläne stecken noch in den Kinderschuhen und werden sich erst langfristig auswirken. Mittelfristig wird Europa weiter auf russisches Gas angewiesen sein. Deshalb wird der EU – so meine ich – nichts anderes übrig bleiben, als den Ukrainern aus der Schuldenpatsche zu helfen. Andernfalls müssen wir auch künftig zum Jahreswechsel aus dem Osten hören: „The same procedure as every year” – das selbe Gas-Theater wie jedes Jahr.
Klaus Purkott

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2009)
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