10. Mai 2009

Vielsagendes Schweigen

Von nst_xy

Als den „blauen Himmel, der die Sonne umfängt” hat Chiara Lubich in einem mystischen Bild einmal eine tiefe Intuition über Maria zum Ausdruck gebracht: das Geschöpf, das seinen Schöpfer umfängt. Wer ist Maria? Diese Frage stellen sich besonders die Katholiken im Monat Mai. In dem folgenden Text aus dem Jahr 1959 nähert sich Chiara Lubich dieser Frage in einer Reihe von poetischen Vergleichen.

Unter den vielen Worten, die der Vater in seiner Schöpfung aussprach, war ein ganz einzigartiges.
Der Verstand konnte es nicht erfassen, nur das Herz vermochte etwas davon zu erahnen.
Nicht Glanz der göttlichen Sonne sollte es sein, sondern ein zarter Schatten, ein feiner, heller Wolkenschleier, der sich sanft vor die Sonne legt und ihre Strahlen dem Auge erträglich macht.
Nach göttlichem Ratschluss sollte das Wort Fleisch werden,
ein Wort, das WORT schlechthin auf Erden geschrieben werden.
Und dieses Wort bedurfte eines Untergrundes.
Die Harmonien des Himmels, einzigartig und unvergleichlich, verlangten voll Sehnsucht danach, aus Liebe zu uns unter unseren Dächern zu erklingen.
Und dazu brauchten sie einen Raum des Schweigens.
Der Hauptakteur der Menschheit, der den Jahrtausenden vor ihm Sinn verlieh und den Jahrtausenden danach Licht und Weg sein sollte, sollte auf der Bühne der Welt erscheinen.
Aber er brauchte einen makellos weißen Hintergrund, der ihn ganz zur Geltung kommen ließ.

Das großartigste Bild, das sich die Liebe Gottes ausmalen konnte, sollte sich majestätisch abzeichnen.
Und es brauchte ein Herz, in dem alle Farben der Tugenden fein abgestimmt bereit lagen für die Hand des Künstlers.
Dieser wunderbare Schatten, der die Sonne umfängt und hinter sie zurücktritt und sich in ihr wiederfindet;
dieser sich im Unendlichen verlierende Hintergrund, der das Wort, Christus, aufnimmt und doch in ihm aufgeht wie Licht im LICHT;
diese gewaltige Stille, die nicht mehr schweigt, weil in ihr die göttlichen Harmonien des Wortes erklingen, und so zum Grundton wird im ewigen Gesang des Paradieses;
diese majestätische Kulisse, die, schön wie die Natur, alle vom Schöpfer
in das Universum eingegossene Schönheit in sich vereinigt und dem menschgewordenen Sohn Gottes zum Kosmos wird und doch unbemerkt bleibt, weil sie ganz zurücktritt und den ins Bild rückt, der kommen sollte und gekommen ist, der wirken sollte und gewirkt hat;
diese Farbenpalette an Tugenden, dem Regenbogen gleich, der aller Welt den Frieden kündet, weil der FRIEDE in die Welt gekommen ist;
dieses Geschöpf, das in den Abgründen der Dreifaltigkeit ersonnen
und uns geschenkt ward: Dieses Geschöpf ist Maria.
Von ihr spricht man nicht, sie besingt man.
Über sie denkt man nicht nach, man liebt sie und ruft sie an.
Sie ist nicht Gegenstand des Studiums, sondern der Poesie.
Der Welt genialste Künstler haben Pinsel und Feder in ihren Dienst gestellt.
Jesus hat dem Wort Gestalt gegeben, dem Logos, dem Licht und der Vernunft Gottes;
Maria verkörpert die Kunst, die Schönheit, die Liebe.
Maria – Meisterwerk des Schöpfers. Für sie hat der Heilige Geist seiner Erfindungskraft freien Lauf gelassen, seine Schöpferkraft ausgegossen.
Wie schön ist Maria!
Nie wird man genug über sie sagen können.
Chiara Lubich
aus: Chiara Lubich, Maria. Mutter – Schwester – Vorbild, Verlag Neue Stadt, München 2004, Bestellen

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai 2009)
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