Bild + Bild = Attraktion
Der russische Regisseur Sergej Eisenstein und seine Montagetheorie
Im Januar lief in sechs Schweizer Städten ein Stummfilm, den man getrost zum ganz alten Eisen der Filmgeschichte zählen kann: der Panzerkreuzer Potemkin. 1925 erschienen, wurde er seither immer wieder zum „besten Film aller Zeiten“ gekürt; noch 2005 lief auf der Berlinale eine restaurierte, ungekürzte Fassung – die „Berliner Fassung“.
Die Besonderheit dieses Films sind nicht brillante Schauspieler oder etwa ein intelligent komponierter Handlungsstrang, auch nicht die Musik, die auf Wunsch des Regisseurs von jeder Generation, die seinen Film sieht, eigens und zeitgemäß komponiert wird. Die Besonderheit liegt in der Philosophie, aus der er geschaffen wurde. Und diese ist untrennbar verwoben mit dem Produzenten und Regisseur: Sergej Michailowitsch Eisenstein.
Eisenstein wurde 1898 in Riga, im heutigen Lettland, geboren. Schon früh begeisterte er sich für marxistische Ideen und meldete sich 1918 freiwillig zur Roten Armee. Seine künstlerische Laufbahn begann Eisenstein als Bühnenbildner und Kostümzeichner am Proletkult-Theater in Moskau.
Die Russische Revolution führte in der entstehenden Sowjetunion zu neuen Entwicklungen auf allen Ebenen – auch in Kunst und Kultur. Eine durchweg sozialistische Kultur sollte den bürgerlichen Kunstbegriff ersetzen. Eisenstein begeisterte sich für dieses Ziel und wollte das Proletariat mit dem nötigen Rüstzeug für den Aufbau des neuen sozialistischen Staates versehen. Der Revolutionsfilm entstand.
All das liegt bald ein Jahrhundert zurück. Die Sowjetunion existiert nicht mehr. Die filmische Hinterlassenschaft Eisensteins jedoch ist geblieben, – denn er nutzte besondere und neue Montagetechniken: das Konzept der Attraktion. Dabei ging es ihm um Bilder, Schockeffekte und Sinnesreize, die durch ihre Aneinanderreihung gezielt Emotionen beim Zuschauer auslösen sollten. Die Montage von Farben, Linien und provozierenden Bildern sollte in den Zuschauern neue, übergeordnete Bilder und Vorstellungen hervorrufen. So lässt beispielsweise die Abfolge von einem Gesicht und einer Pistole auch ohne jegliche Übergänge das Motiv des Todes aufleben.
Während Eisenstein zunächst auf die sozialistische „Erziehung“ der Zuschauer durch gezieltes Provozieren von Emotionen setzte, wandte er sich später davon ab und entwickelte eine intellektuelle Form der Attraktionsmontage: die Intellektuelle Montage. Das revolutionäre Umdenken wollte Eisenstein jetzt nicht mehr durch Konditionierung, sondern durch Erkenntnis erreichen.
Zurück zum Panzerkreuzer Potemkin: In diesem frühen Film Eisensteins findet sich der Auslöser für seine Montagetheorien: drei steinerne Löwen auf der Treppe von Odessa. In der Montagesequenz wirkt es, als würde die Steinfigur sich von einem schlafenden zu einem brüllenden Löwen erheben – eine Metapher für den Aufstand der Matrosen und des Volkes gegen den Zaren.
Klara Sucher, Tobias Greber
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2009)
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