10. Juli 2009

Wir kommen nur gemeinsam in den Himmel

Von nst_xy

Dass es heute nicht eine calvinistische und eine zwinglianische, sondern eine evangelisch-reformierte Kirche gibt, verdanken die Reformierten Johannes Calvin, dessen 500. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird. Die Einheit der Kirche war dem Genfer Reformator bei allen Auseinandersetzungen seiner Zeit ein wichtiges Grundanliegen.

Reformierte haben zu ihren Kirchenvätern ein eher nüchternes Verhältnis. Sie sehen sie – bei aller Anerkennung für ihren Dienst am Evangelium – als Kinder ihrer Zeit mit ihren persönlichen Schwächen und zeitgebundenen Begrenzungen. Zudem kennt die reformierte Kirche viele Väter: Calvin mag der bekannteste sein, aber sein Wirken ist nicht denkbar ohne seinen besten Freund, den ersten Genfer Reformator Wilhelm Farel. Das Gleiche gilt umgekehrt für Zwingli: ohne seinen Nachfolger Heinrich Bullinger hätte sich die Reformation in Zürich kaum durchgesetzt. In Basel bahnte Oekolampad der Reformation den Weg, in Bern Haller, in St. Gallen Vadian, in Chur Comander, und von Genf aus brachte John Knox die Reformation in den angelsächsischen Raum.

Calvin ist ein Reformator der zweiten Generation. Der Bruch mit der katholischen Kirche war bereits eine Tatsache, und die Protestanten waren zur Kirche wider Willen geworden; denn das Bestreben der Reformatoren galt der Erneuerung der ganzen Kirche und nicht der Gründung einer neuen Konfession. So rechtfertigt sich Calvin 1539 im Brief an Kardinal Sadolet: „Seit dem neuen Aufgang des Evangeliums, das gestehe ich, sind heftige Leidenschaften aufgebrochen, von denen man früher unbehelligt blieb. Doch unseren Freunden wird das ganz zu Unrecht angelastet, hatten sie bei all ihrem Tun doch nur ein Ziel: den Glauben zu erneuern und die durch Zwietracht auseinander gerissenen und zersprengten Gemeinden wieder zu wahrer Einheit zu sammeln.“

Calvin hat wie kein anderer Reformator um diese Einheit gerungen. Er war überzeugt, in der Einheit mit der alten, ursprünglichen Kirche zu stehen.

Und wenn schon der Bruch mit der römischen Kirche nicht mehr zu heilen war, so setzte er sich umso mehr für die innerprotestantische Einheit ein. 1552 schrieb Calvin an den englischen Reformator Thomas Cranmer, der eine Zusammenkunft der Kirchenführer der Reformation plante, er würde voller Freude zehn Ozeane überqueren, um die Einheit der Kirche zu fördern. Wenige Jahre früher hatte er diese Leidenschaft für die Einheit unter Beweis gestellt, indem er immerhin fünfmal knappe 300 Kilometer von Genf nach Zürich reiste, um sich mit Heinrich Bullinger in der Abendmahlsfrage zu streiten und schließlich im Consensus Tigurinus von 1549 auch zu einigen.

„Der Anfang der Einigungsverhandlungen war rein zum Verzweifeln“, schrieb Calvin noch ein Jahr zuvor in einem Brief an Freunde. Und an Heinrich Bullinger schrieb er im gleichen Frühling: „Obwohl mir nun eine innigere Gemeinschaft mit Christus im Sakrament, als du sie in deinen Worten ausdrückst, feste Überzeugung ist, so wollen wir deswegen nicht aufhören, denselben Christus zu haben und in ihm eins zu sein. Vielleicht wird es uns doch einmal gegeben, uns zu vollständigerer Übereinstimmung zusammenzufinden.“ (Calvin Studienausgabe Bd 4, S. 2f).

Im Glauben an diesen gemeinsamen Christus ließ Calvin nicht locker und rettete damit die innerreformierte Einheit. Allerdings besiegelte dieser Konsens den endgültigen Bruch mit der lutherischen Kirche.

Diese Spaltung wurde erst 1973 in der Leuenberger Konkordie mit der gegenseitigen Abendmahls- und Kanzelgemeinschaft überwunden. Diese Passion für die Einheit gründet für Calvin im Zeugnis des Neuen Testaments. In seiner Auslegung des Epheserbriefs bekennt er: „Weil wir alle zu einem Erbteil und zu einem Leben berufen seien, ergibt sich daraus, dass wir das ewige Leben nicht anders gewinnen können, als wenn wir untereinander einmütig leben in dieser Welt.“ Vereinfacht könnte man mit Calvin festhalten: Wir kommen nur gemeinsam in den Himmel!

Calvin sorgte sich in Genf unermüdlich und in vielen Kämpfen um den Aufbau und die Einheit der neuen Kirche. „Wir müssen dergestalt auf die Einheit der Kirche sinnen, dass wir wahrhaftig überzeugt sind, selbst in sie eingefügt zu sein. Denn wenn wir nicht mit allen übrigen Gliedern zusammen unter unserem Haupte, Christus, zu einer Einheit zusammengefügt sind, so bleibt uns keine Hoffnung auf das zukünftige Erbe.“ (Institutio IV.1.2).

Seine Vision von Kirche war Welt umfassend. Calvin ließ sich weder lokal noch konfessionell auf eine „Genfer Kirche“ einengen.

Wiederum in seiner Rechtfertigung an Kardinal Sadolet schreibt er: „Kirche ist die Gemeinschaft aller Heiligen, welche, über den ganzen Erdkreis und durch alle Zeiten zerstreut, doch durch die eine Lehre Christi und den einen Geist verbunden ist und an der Einheit des Glaubens und brüderlicher Eintracht festhält und sie pflegt. Dass wir mit dieser Kirche in irgendeinem Punkt uneins wären, bestreiten wir entschieden. Wie wir sie vielmehr als Mutter verehren, so wollen wir auch in ihrem Schoß bleiben.“

Reformierte im Besonderen und Evangelische im Allgemeinen sollten sich diese visionäre Leidenschaft für die Einheit der Kirche(n) zu Herzen nehmen. Im Gegensatz zu Calvin leben wir in einer Zeit, welche vom Geist der Ökumene geprägt ist. Wir können über alle Grenzen hinweg heute schon bekennen, „denselben Christus zu haben und in ihm eins zu sein“. Von dieser gemeinsamen Basis aus lassen sich Schritt für Schritt, in zähem Ringen und in unerschütterlicher Hoffnung und gegenseitiger Achtung die noch bestehenden Hindernisse überwinden.
Peter Dettwiler

Der Autor ist Ökumene-Beauftragter der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Zürich

Johannes Calvin
wird am 10. Juli 1509 in Noyon, 100 Kilometer nördlich von Paris, geboren. Sein Vater ist Notar des Domkapitels, und seine Ausbildung erhält Calvin zunächst in Noyon und ab 1523 in Paris. 1528 geht er als Magister der freien Künste nach Orleans, um Rechtswissenschaft zu studieren, und kehrt danach zurück nach Paris, wo er sich dem Studium der Literatur widmet.
Ab 1535 lebt Calvin in Basel und schreibt ein Vorwort für die französische Übersetzung des neuen Testaments. Schon 1536
erscheint in Basel die Erstausgabe seiner Christianae Religionis Institutio (Unterricht in der christlichen Religion).
Nach einem kurzen Aufenthalt in Genf lebt Calvin zunächst in Straßburg und wird im September 1541 zurück nach Genf gerufen. Dort legt er dem Rat der Stadt eine Kirchenordnung vor, in der vier Ämter vorgesehen sind: die Pastoren, die Lehrer, die Ältesten und die Diakone. Damit fällt dem Laienelement eine aktive und verantwortliche Rolle bei der Leitung der Gemeinde zu. Für die Durchsetzung seines Gemeindeideals muss Calvin fünfzehn Jahre innerhalb des genfer stadtstaates kämpfen.
In seiner Theologie ist calvin der Mann der zweiten reformatorischen Generation, der größte schüler luthers, dem er seine entscheidenden theologischen Erkenntnisse verdankt. Zugleich ist er der Theologe, der – wie keiner sonst – den Wittenberger Reformator verstanden und von dessen reformatorischem Ansatz her ein selbständiges und einheitliches theologisches System entworfen hat.
Johannes Calvin stirbt am 27. Mai 1564 in genf. Er wird auf dem allgemeinen Friedhof beerdigt. Ein Grabstein wird – so hatte er es angeordnet – nicht gesetzt. seine letzte Ruhestätte bleibt damit unbekannt.
gba

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2009)
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