Jeder kann etwas ändern!
Die Finanzmärkte brauchen schärfere Regeln. Das bestreitet auch der Eichstätter Sozialethiker André Habisch nicht. Doch er bezweifelt, dass sich ethische Fragen vor allem auf dem Regulierungsweg lösen lassen.
Herr Habisch, oft wurde die Gier als Hauptursache der Finanzkrise genannt. Was sagt der Sozialethiker dazu?
Habisch: Sicherlich gab es persönliches Verschulden im Sinn von ungezügeltem Streben nach Gewinn. Außerdem hatte sich offenbar in den Einrichtungen eine Kultur gebildet, die hemmungslose Gewinnmaximierung belohnte. Im Grunde geht es aber um das Kernproblem der Globalisierung: Der Nationalstaat kann nur innerhalb seiner territorialen Grenzen regeln und ordnen, während die wirtschaftlichen Austauschprozesse international ablaufen. Auf nationaler Ebene gibt es funktionierende Regulierungsinstrumente. Diese Instrumente fehlen hingegen im internationalen Bereich. Außerdem fehlt der Sinn für das globale Gemeinwohl.
Was bedeutet das konkret?
Habisch: Wir müssen dieses internationale Ordnungsproblem in den Griff bekommen. Dabei besteht allerdings auch die Gefahr, dass man zu stark reguliert und dann vielleicht auch erwünschte Investitionen nicht zustande kommen. Nur weil wir jetzt eine Krise haben, bedeutet das ja nicht, dass vorher alles schlecht war. Eine hohe weltwirtschaftliche Dynamik bringt auch große Entwicklungspotenziale. So haben China und Indien wirtschaftliche Entwicklungsprozesse auch zu menschenwürdigeren Verhältnissen verholfen. Unerwünschte Spekulationsgewinne und Auswüchse,
wie das unverantwortliche Weiterreichen von risikoreichen Zertifikaten, müssen jedoch unterbunden werden. Dabei ist die Frage der Risikohaftung ganz zentral; viele Kredite wären nie aufgenommen worden, wenn die Kreditgeber das damit verbundene Risiko selbst hätten tragen müssen.
Tut sich denn international etwas in dieser Richtung?
Habisch: Sicher. Beispielsweise hat die international besetzte „Larosière-Kommission“ konkrete und, wie ich finde, brauchbare Überlegungen vorgelegt. Man macht dort nicht den Fehler, alles zentral regulieren zu wollen, sondern spricht von einer „multilevelgovernance“. Es soll also auf verschiedenen Ebenen angesetzt werden: bei der einzelnen Bank, die sich selbst reguliert, auf nationaler und auf internationaler Ebene. Die Konzepte sind da. Die Frage ist, ob sie im internationalen Raum durchsetzbar sind.
Wie schätzen Sie die Chancen dafür ein?
Habisch: Die Chancen, dass man zu Änderungen kommt, sind recht gut, auch wenn es vor allem aus den angelsächsischen Ländern schon wieder Stimmen gibt, die sagen es sei alles gar nicht so schlimm gewesen. Wichtig ist, nicht aus dem Auge zu verlieren, dass rechtliche Regelungen nur das eine sind. Darüber hinaus müssen wir wirtschaftlich erfolgreichen Personen die Anerkennung verweigern, wenn der Erfolg mit Instrumenten und auf Wegen erreicht wurde, die nicht akzeptabel und für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung nicht hilfreich sind. Die Vorgänge sind sehr komplex.
Wie kann der Einzelne sich da einbringen?
Habisch: Ein ganz wichtiger Lerneffekt der Krise vor allem in Deutschland müsste darin bestehen, dass die Verbraucherin und der Verbraucher ihre Verantwortung nicht einfach an den Staat und andere Regulierungsinstanzen abtreten. Sie müssen kritischer als bisher überlegen, wen sie unterstützen und wem sie ihr Geld anvertrauen. Dadurch werden Anreize geschaffen, auch im Finanzsektor entsprechende Produkte zur Verfügung zu stellen. Auch dort bestimmen Angebot und Nachfrage das Verhalten. Kritische Kundennachfrage bewirkt Anpassungen des Angebotes.
Muss der Verbraucher sich dann durch Berge von Unterlagen durcharbeiten?
Habisch: Nicht unbedingt! Qualitäts- und Gütesiegeln oder auch Einrichtungen wie die „Stiftung Warentest“ werden dabei helfen. Sie bewerten Unternehmen nach professionellen Gesichtspunkten und vergeben Indizes für verantwortliche Unternehmungsführung. Unternehmen achten darauf, dass sie in diesen Indizes vertreten sind und orientieren ihr Verhalten daran.
Ist die Marktwirtschaft überhaupt noch das richtige System?
Habisch: Ganz eindeutig! Die Marktwirtschaft beruht auf christlichen Wertüberzeugungen. Zur Freiburger Schule der Nationalökonomie, die in Deutschland das Konzept der sozialen Marktwirtschaft entwickelt hat, gehörten engagierte evangelische Christen wie Walter Eucken und andere. Eine soziale Marktwirtschaft, die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens garantiert, gleichzeitig aber dem Einzelnen die Freiheit lässt, sowohl als Anbieter als auch als Nachfrager, ist ein ethisch qualifiziertes Projekt. Der Ökonom Franz Böhm hat gesagt, die Marktwirtschaft sei kein Naturgewächs, sondern eine Kunstpflanze. Sie müsse ständig gepflegt und angepasst werden. In der Finanzkrise müssen nun die Rahmenbedingungen wiederum angepasst und vor allem globalisierungsfest gemacht werden.
Wie steht es mit der oft zitierten Selbstverpflichtung der Unternehmer?
Habisch: In diesem Bereich tut sich sehr viel. Das hängt auch damit zusammen, dass die Unternehmen ihre Verantwortung nicht mehr auf einen regulierenden Staat übertragen können. Aus eigener ethischer Überzeugung, aber auch, weil der gesellschaftliche Druck wächst, sind sie gezwungen, sich ihrer Verantwortung stärker zu stellen. Es gibt interessante Ansätze und Plattformen: so zum Beispiel seit 1999 den „Global Compact“, einen Pakt der Vereinten Nationen mit der Wirtschaft. Kofi Annan hat ihn als globales Netzwerk ins Leben gerufen, um die unternehmerische Mitverantwortung für die Ziele des 21. Jahrhundert einzufordern. Es gibt weiterhin die Grundsätze für verantwortungsbewusstes Investment („Principles of Responsible Investment“), die von Finanzmarktfachleuten formuliert wurden, oder die Finanz-Initiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP-FI), die Vertreter namhafter Versicherungen und Banken vereinigt. All diese Initiativen haben innerhalb der Finanzwelt noch nicht den Stellenwert, der ihnen zukommt. Aber hier werden Prozesse eingeleitet, die helfen, Ordnungspolitik und markttaugliche Instrumente unter den Bedingungen des 21. Jahrhundert neu zu formulieren.
Sie sind optimistisch gestimmt!
Habisch: Ich denke, es gibt keinen Grund, in Schockstarre zu verfallen. Uns stehen viele Chancen offen! Vor allem geht es um ethische Erneuerung. Da sind wir gefordert, jeder und jede. Dazu ermutigt auch die Enzyklika „Caritas in Veritate“ in ganz neuer Weise. In diesem Prozess haben auch neue Wirtschaftsweisen oder Unternehmensformen ihre Bedeutung, wie sie sich beispielsweise in den geistlichen Gemeinschaften entwickeln, aber vielleicht noch nicht allgemein übertragbar sind. Sie unterstützen einen kulturellen Wandel. Schließlich ist die Finanzkrise nicht nur eine Zahlungskrise, sondern vor allem eine Kulturkrise.
Das heißt aber auch, dass es um einen langwierigen Prozess geht.
Habisch: Sicher! Wenn man sich klar macht, wie revolutionär die Globalisierung ist, dann muss man sich Zeit geben. Man kann ethische Handlungsbereitschaft auch kaputt machen, indem man sich immer wieder an Idealen misst, die vielleicht erst der übernächste Schritt sein können. Gerade in einer christlichen Tradition darf man eine gewisse Gelassenheit haben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Gabi Ballweg
André Habisch
geb. 1963, ist seit 1998 Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sozialkapitaltheorie, Gesellschaftspolitik, Wirtschafts- und Unternehmensethik. Habisch studierte Katholische Theologie sowie Volkswirtschaftslehre. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensethik in Eichstätt und habilitierte 1998 in Würzburg im Fach Sozialethik. André Habisch ist verheiratet und hat drei Kinder.
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2009)
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