8. November 2009

Sulyap heißt Hoffnungsschimmer

Von nst_xy

Die Bewohner der kleinen Sozialsiedlung Sulyap im Überschwemmungsgebiet des Großraums Manila hatten mehrfach Glück: Erst vor einem Jahr bekamen sie ein neues Zuhause, und weil ihre Häuschen auf einer Anhöhe stehen, bleiben sie auch noch von der verheerenden Flutwelle Ende September verschont. Dieses Glück im Unglück war den Leuten von Sulyap eine Verpflichtung.

Die Bewohner von Sulyap haben alle die Flut überlebt. Doch um sie herum herrschten Zerstörung und Tod. In den benachbarten Vierteln wurden ganze Häuser von den Fluten mitgerissen. Manche Familien überlebten, weil sie sich an einen Bananenbaum im Garten klammern konnten. Andere mussten sich auf die Dächer flüchten und dort im Dauerregen ausharren. Die Bewohner der Siedlung Sulyap haben überlebt, und ihre Häuser stehen noch. Es sind 30 an der Zahl, ganz neue einstöckige Häuser mit einer Grundfläche von gerade einmal 54 Quadratmetern. Sie sind in den letzten Jahren im Stadtviertel Barangay Bagong Silangan in der philippinischen Metropole Quezon City entstanden.

Quezon City ist mit knapp drei Millionen Einwohnern die größte Stadt auf den Philippinen. Sie gehört zur Region Metro Manila und liegt auf der Hauptinsel Luzón in direkter Nachbarschaft zur Hauptstadt Manila.

Die 30 Häuser wurden gebaut mit Geldern des Projekts „Jeder Familie ein Zuhause“, einer internationalen Patenschaftsaktion der Familien in der Fokolar-Bewegung (s.u.). Ausgewählt aus einer Liste von Hunderten von bedürftigen und wohnungslosen Familien, haben die ersten 30 Familien in der kleinen Siedlung erst vor gut einem Jahr ihre neuen Heime bezogen. Von der Planung her sollen dort insgesamt 100 Häuser gebaut werden. Sulyap heißt die kleine Ansiedlung, zu deutsch: Hoffnungsschimmer.
Damit die Familien nach dem Einzug nicht sich selbst überlassen sind, werden sie weiterhin begleitet und betreut. Zuständig dafür ist das Sozialzentrum „Bukas Palad“ (dt: „Offene Hände“), in dem viele Freunde der Fokolar-Bewegung ehrenamtlich engagiert sind. Als am Samstag, 26. September, der Taifun Ketsana den Großraum Manila mit sintflutartigen Regenfällen überzog und sich die Katastrophe abzeichnete, stimmten sich die Helfer sehr schnell untereinander ab und bildeten unterschiedliche Einsatzgruppen. Jugendliche, Familien, Freunde und Bekannte bereiteten Mahlzeiten zum Verteilen vor, richteten tausende von belegten Broten her, sammelten Kleidung und Decken und machten sich auf den Weg nach Sulyap.

Zu ihrer großen Freude fanden sie alle Bewohner der 30 Häuschen am Leben.

Doch nicht nur das: die Bedürftigen hatten bereits ihrerseits Notleidende aufgenommen. Bis zu drei zusätzliche Familien kamen in den Häuschen unter, einige brachten auch ihre Haustiere – Schweine und Hunde – mit. „Als die Flut kam, gingen unsere Männer sofort hinaus, um Nachbarn aus den reißenden Bächen zu retten“, berichtet Teresa Bejo, die Vorsitzende der Hauseigentümervereinigung von Sulyap. Gut 1500 Menschen in der unmittelbaren Umgebung von Sulyap wurden von den Wassermassen in Mitleidenschaft gezogen und verloren Hab und Gut; 26 kamen ums Leben. Die Bewohner von Sulyap – selbst alle bedürftig – nahmen auf, wen sie aufnehmen konnten, insgesamt 155 obdachlos gewordene Nachbarn.
Als die rund 60 Helferinnen und Helfer von Bukas Palad am Sonntag eintrafen, warteten Hunderte von Flutopfern auf Hilfe. „Das Wichtigste, was wir den Leuten zu geben haben, ist unsere Zuwendung“, hatten sich die Helfer vorgenommen. Mit dieser Einstellung ging das Verteilen der ersten Hilfsgüter an über 300 Familien dann auch schnell, aber ohne Drängelei und Chaos vonstatten. Einige gaben ihre Hilfspakete sogar an Personen weiter, die noch schwerer betroffen waren als sie selbst.
Trotzdem kam irgendwann der Moment, wo die mitgebrachten Hilfsgüter zu Ende waren. „Gerade als wir den Leuten sagen mussten, dass wir nichts mehr zum Verteilen hatten“, so berichtet Lito Bulan, der Projektkoordinator von Sulyap, „kam uns der Himmel zu Hilfe.“ Ein Autokonvoi mit Hilfsgütern stand plötzlich vor der Siedlung. Eine Gruppe von Prominenten aus Manila hatten ihn zusammengestellt und waren in Richtung der am Schlimmsten betroffenen Stadtteile aufgebrochen. Doch der kleine Konvoi aus sieben voll bepackten Geländewagen riss auseinander. Die hinteren vier Autos verloren den Anschluss und verfuhren sich. Das etwas erhöhte Gelände, auf dem sie mit ihren Wagen wenden wollten, war Sulyap. Und weil sie sahen, dass den Leuten dort gerade die Hilfsgüter ausgingen, beschlossen sie, ihre Minivans an Ort und Stelle auszupacken.

Die Hilfsgüter waren dreimal soviel wie das, was die Leute von Bukas Palad bereits verteilt hatten. Weitere 800 notleidende Familien konnten mit dem Nötigsten versorgt werden.

Die Hilfsbereitschaft derer, die selbst gerade einmal das Nötigste haben, hat Schlagzeilen gemacht. Unter dem Titel „Hoffnungsschimmer – Arme helfen Armen“ berichtete der „Philippine Daily Inquirer“, eine der zwei größten Tageszeitungen der Philippinen, über die außergewöhnliche Aktion. Und wenige Tage später erschien im „The Philippine Star“, der anderen großen Tageszeitung, ein Bericht von einer der Beteiligten an der wundersamen Irrfahrt des Hilfskonvois. Seitdem reißen die Hilfslieferungen, die in Sulyap ankommen, nicht mehr ab.
Mit dieser Unterstützung konnten sich die Bewohner von Sulyap und die freiwilligen Helfer um ein tiefer liegendes Viertel kümmern. Was sie dort zu sehen bekamen, übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen. Wo am Tag vorher noch Baracken gestanden hatten, war nun nur noch ein Meer von Schlamm zu sehen.
Neben dem Verteilen von Hilfsgütern galt es vor allem, den Betroffenen zuzuhören: Da war der Mann, der sich 24 Stunden lang an einem Baum festgehalten hatte. Ein anderer hatte versucht, schwimmend sein Haus zu erreichen und Gott nur um die Kraft gebeten, dort anzukommen, um seine Familie beschützen zu können. Als er ankam, war sein Haus weggeschwemmt, aber die Familie klammerte sich an eine Bananenstaude im Garten. Ein anderer dagegen hatte acht Familienmitglieder verloren.
Solche Schicksale hinterließen auch in den Helfern ihre Spuren: „Ich glaube“, so sagte einer der Jugendlichen, „dass ich in meinem Leben eine ganze Menge in Ordnung bringen muss. Vor allem möchte ich verstehen, wofür ich mein Leben einsetze.“

Nach der unmittelbaren Soforthilfe stehen nun mittelfristige Aktivitäten an.

Noch immer beherbergen die 30 Familien von Sulyap Gäste in ihren kleinen, aber sicheren Häuschen: vor allem Mütter mit Säuglingen.
Projektkoordinator Lito Bulan plant die Errichtung von 50 „Not-Baracken“, von denen jede mit rund 1000 Euro zu finanzieren ist. Ein kleiner genossenschaftlich organisierter Supermarkt soll entstehen, damit sich die Leute günstig mit dem Nötigsten versorgen können. Und die Helfer wollen eine Arbeitsvermittlung einrichten, damit die Flutgeschädigten möglichst bald aus eigener Kraft zu ihrem Lebensunterhalt beitragen können.
Das Beispiel von Sulyap zeigt, welche Kreise ein gutes Werk ziehen kann. Noch vor kurzem war Sulyap nur ein Hoffnungsschimmer. Aber das Dunkel, das über die Umgebung hereingebrochen ist, hat daraus einen weit leuchtenden Hoffnungsstrahl gemacht.
Joachim Schwind

Das Projekt „Jeder Familie ein Zuhause“
ist erwachsen aus der Patenschaftsaktion der Familien der Fokolar-Bewegung. Die Aktion fördert mit Hilfe von 98 Sozialprojekten weltweit über 18 000 Kinder. Dabei versteht es sich von selbst, dass es nicht möglich ist, einzelne Kinder zu unterstützen, ohne ihr familiäres Umfeld einzubeziehen. So müssen beispielsweise auch die Wohnverhältnisse ein Minimum an Lebensqualität zulassen.
Mit 10 000 Euro kann ein neues häuschen gebaut werden. Es handelt sich um kleine Reihenhäuser mit je fünf Wohneinheiten. Die Bewohner zahlen eine bescheidene Miete, die wiederum in den Fonds für neue Häuser einfließt.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November 2009)
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