10. Dezember 2009

Der ganze Groll verschwand.

Von nst_xy

Erfahrungsberichte

Meine 89-jährige Nachbarin war in unserer Siedlung gefürchtet. Viele versuchten, ihr so gut es ging, aus dem Weg zu gehen, da sie entweder mit den Kindern schimpfte, sich über böse Nachbarn beklagte oder uns von ihrem Balkon mit dem Feldstecher beobachtete. Auch ich blieb von ihren unwahren Anschuldigungen nicht verschont.
Eines Tages sah ich sie von Meiner Wohnung aus im Hof auf dem Boden sitzen. Ohne lange zu überlegen, eilte ich hinunter. Sie war gefallen und konnte nicht mehr aufstehen. Mit ihrer Erlaubnis rief ich die Ambulanz. Inzwischen hatte ein Nachbar uns gesehen und brachte eine wasserdichte Decke. Als die Ambulanz kam, bat mich die Frau, sie zu begleiten. Ich konnte ihre Hand halten und sie streicheln. Der ganze Groll, den ich früher auf sie hatte, verschwand.
Noch am gleichen Tag, spät abends, konnte die Frau auf eigenen Wunsch das Spital verlassen. Zum Glück hatte ich inzwischen meine Freundin, die direkt neben der alten Dame wohnte, über den Vorfall informiert. Sie nahm die Frau, die sehr verwirrt war, bei sich auf und sorgte an dem Abend für sie. Am nächsten Morgen rief eine andere Nachbarin den privaten Pflegedienst an und organisierte eine tägliche Betreuung. Auch für den Hund der Frau wurde gut gesorgt. Inzwischen ist sie total verwirrt und wohnt nicht mehr in der Siedlung. Uns Nachbarn aber hat die Sorge um sie näher zusammen gebracht. D.B.

Ob das Geld reichen würde?
Nach der Schule war ich in einem Teehaus, als eine alte Frau herein kam und um ein Glas heißen Tee bat. Man sah ihr an, dass sie arm war, und der Mann an der Theke weigerte sich, ihr den Tee zu geben. Er befürchtete, dass sie ihn nicht bezahlen konnte.
Ich hatte alles beobachtet und fragte mich: Was kann ich jetzt tun? In meinen Taschen fand ich noch ein wenig Geld, es war alles, was ich noch hatte. Aber ob es reichen würde, den Tee zu bezahlen? Weil ich weder den Mann noch die Frau bloß stellen wollte, ging ich zu dem Mann und flüsterte ihm zu: „Geben Sie der Frau den Tee. Ich werde zahlen!“ Dabei hielt ich ihm mein Geld hin. Überrascht blickte er auf und sah mich einen Moment schweigend an. Dann sagte er mir: „Nein. Ich lass dich nicht zahlen. Das wäre nicht richtig.“
Dann wandte er sich ab und gab der alten Frau, die noch geblieben war, um sich aufzuwärmen, den Tee. Anschließend kam er zu mir zurück. „Danke für deine Großzügigkeit! Aber es ist viel einfacher für mich als für dich, ihr den Tee zu schenken. Ich bin froh, dass du mir geholfen hast, das zu verstehen.“ Ich war total überrascht. Die Liebe ist also ansteckend! Man braucht wirklich nur den ersten Schritt zu tun.
John Paul (15), Pakistan

Mein Gott, wie reagiere ich jetzt?
Seit zwei Jahren herrschte zwischen mir und einer anderen Bewohnerin unseres Mietshauses eine Art „kalter Krieg“. Auslöser waren unsere unterschiedlichen Ansichten darüber, wie die Waschküche zu nutzen und zu putzen sei. Mehrmalige Versuche, mit ihr einen Neuanfang zu starten, waren fehlgeschlagen. Sie ging mir aus dem Weg, und wenn sich das nicht vermeiden ließ, erwiderte sie nicht einmal meinen Gruß.
Ich litt unter der Situation, wusste aber auch nicht, was ich tun sollte. Mir blieb nichts anderes übrig, als diesen Zustand Gott anzuvertrauen, in der Hoffnung, dass er mir eines Tages eine Möglichkeit geben würde.
Dann war ich bei Bekannten zu einem Empfang eingeladen. Als ich dort auch meine Mitbewohnerin sah, erschrak ich sehr: Mein Gott, wie reagiere ich jetzt? Ich konnte ihr doch nicht den ganzen Abend ausweichen! Und als ich sie im Gespräch mit zwei Männern sah, von denen einer ein lieber Bekannter von mir war, kam mir eine spontane, aber auch ein wenig verrückte Idee. Ich ging zu der Dreiergruppe, klopfte meinem Bekannten auf die Schulter und sagte ihm: „Du musst jetzt Friedensengel spielen. Wir zwei Frauen leben im selben Haus und sind schon zwei Jahre zerstritten. Ich möchte gerne wieder Frieden schließen.“ Die Frau war so überrumpelt, dass sie nichts erwidern konnte.
Die beiden Männer errieten sofort den Streitpunkt, und es gab einen heiteren Wortwechsel. Aber die Frau hatte sich noch nicht von meinem „Frontalangriff“ erholt. Ich spürte, ich musste noch einen Schritt auf sie zumachen: So wandte ich mich direkt an sie und sagte ihr, dass ich mich bemühen wollte, in Zukunft großzügiger zu sein, auch wenn mir das in Sachen Sauberkeit und Ordnung schwer fällt. Da strahlte sie mich an. Wir gaben uns die Hand zur Versöhnung. Bei einem Glas Wein standen wir noch lange beieinander.
Einige Wochen später klingelte sie bei mir und bat um Entschuldigung, weil ihre Wäsche noch nass sei und sie diese leider hängen lassen müsse, wo ich doch am nächsten Tag Wäsche hätte. Das hat mich überrascht und sehr gefreut. M.B.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2009)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und Email finden Sie unter Kontakt.
© Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München