10. März 2010

Bank für Zeitguthaben

Von nst_xy

Eine Münchner Initiative bietet Bürgern die Möglichkeit, Stunden, die sie für kleine soziale Dienste investiert haben, auf einem Zeitkonto anzusparen. Dieses Zeitguthaben kann dann – sofort oder erst im Alter – für Hilfe im Haushalt oder einfache Pflegearbeiten wieder  eingelöst werden.
Bei Neumayers klingelt es an der Tür. Schäferhund Tobi springt der Besucherin aufgeregt entgegen: Er scheint zu wissen, dass Sabine Schauerte für ihn gekommen ist. Einmal in der Woche geht sie mittags eine Stunde mit Tobi spazieren. „Eine Riesenentlastung“, seufzt Brigitte Neumayer erleichtert. „Mit drei kleinen Kindern schaffe sie es einfach nicht, jeden Tag einen ausführlichen Spaziergang mit dem Hund zu machen.“ Die beiden Frauen sind Mitglieder der ZeitBank – einem sozialen Netzwerk, über das kleine Dienste im Haushalt, in der Pflege, im Garten oder mit Kindern ausgetauscht werden können. Für den Hunde-Spaziergang bekommt Sabine Schauerte eine Stunde auf ihr ZeitBank-Konto überwiesen. „Die ZeitBank ist ein soziales Projekt unterhalb der professionellen Schwelle“, erklärt Joyce Mayer, Mitbegründerin des Münchener ZeitBank-Modells. Sie sitzt in einem kleinen Mansardenbüro eines Münchener Kulturzentrums und erläutert das Ziel der Initiative: „Es geht darum, Hilfe im Pflegebereich und in der häuslichen Versorgung zu organisieren und auf der Basis von Geben und Nehmen mit anderen auszutauschen. Wir arbeiten nicht für den Profit, sondern für das Gemeinwohl.“Das bedeutet: Jeder stellt für eine bestimmte Zeit seine Fähigkeiten in einem bestimmten Arbeitsbereich zur Verfügung und kann dafür die Angebote anderer beanspruchen. Die Zeit, die man investiert, wird von einem einfachen ComputerSystem erfasst, das an das OnlineBanking erinnert. Wenn man dann Nachhilfestunden für die Kinder braucht, eine Hose kürzen lassen will oder Hilfe beim Frühjahrsputz der Fenster sucht, kann man die auf dem ZeitBank-Konto angesparten Stunden wieder „ausgeben“. Noch steckt das Modell in den Kinderschuhen, aber Joyce Mayer denkt schon in größeren Dimensionen: „Solche Bürgerinitiativen müssen an vorhandene Strukturen andocken, sonst bleiben sie Utopien. Ideal wäre, wenn die Anlaufstellen der ZeitBank in München einen festen Platz in den Sozialbürgerhäusern hätten. Dort könnten auch die Computer stehen für Menschen, die keinen Internetanschluss haben.“ Sie hofft, dass sich nicht nur Privatpersonen, sondern auch soziale Einrichtungen in das System einbinden lassen. Ein Altenheim könnte auf diese Weise zum Beispiel ehrenamtliche Helfer für Aus?üge oder Veranstaltungen gewinnen und im Austausch Fortbildungsangebote und praktische Schulungen für die P?ege von Angehörigen bieten.Nur wer selbst Mitglied der ZeitBank ist und seine Zeit und Fähigkeiten zur Verfügung stellt, kann auch Angebote nutzen. Allerdings kann man angespartes Guthaben natürlich einem anderen ZeitBank-Mitglied überweisen. Wenn die ZeitBank irgendwann auch bundesweit vernetzt wäre, könnte ein Münchner mit seinen Diensten Zeit ansparen und sie beispielsweise dem hilfsbedürftigen Vater in Bremen überweisen, der dann dafür vor Ort beispielsweise einen Einkaufsdienst in Anspruch nehmen könnte. Auch vererben kann man sein Guthaben, allerdings nur an Familienangehörige ersten Grades. Und die müssten, um die geerbte Zeit zu nutzen, selbst Mitglied der ZeitBank werden.Wie bei jeder Bank muss man sich bei der Aufnahme einem kleinen Prüfverfahren unterziehen: Verlangt wird die Vorlage des Personalausweises, und bei bestimmten sozialen Dienstleistungen ist ein Führungszeugnis unbedingt erforderlich. Das sei aber Sache der Nutzer oder einer sozialen Einrichtung, die die Leistungen der ZeitBank-Mitglieder in Anspruch nehme, betont Joyce Mayer: „Wir bieten eigentlich nur das Buchungsinstrument und einen Maßstab zur Bewertung der Leistungen“. Der Wert der Arbeit liegt in der Zeit, die investiert wird. Das ist sozusagen die „Währungseinheit“ der ZeitBank. Damit bekomme auch der eigene Einsatz neue Wertschätzung. Das sieht auch Helga Hirsch aus Schwabing so. Sie ist Zeit-Bank-Mitglied seit den Anfängen im Jahr 2007 und nebenbei auch noch Kontenadministratorin bei der ZeitBank. Außerdem hat sie in ihrer Nachbarschaft kräftig Werbung gemacht. Jeder habe etwas anzubieten, sagt die Siebzigjährige: vom Begleitdienst bei Arztbesuchen über kleinere Fahrdienste für  Nachbarn ohne Auto bis hin zur Hilfe bei Computerfragen oder der Pflege von Haustieren während der Ferien. Inzwischen sind es schon 20 Personen, die in ihrem Stadtviertel Dienste austauschen. Gerade hat sie einer Nachbarin versprochen, deren Silber zu putzen. „Ich stelle ihr dann über das Computersystem eine Rechnung für die geleisteten Stunden, und wenn sie die Rechnung per Mausklick bestätigt, werden die Stunden bei ihr abgezogen und meinem Konto zugeteilt.“ Helga Hirsch hat viele Ideen für ZeitBank-Angebote und bewirbt ihre Dienste in der eigenen „Marktzeitung“. Sechs Annoncen kann dort jedes Mitglied schalten und so den anderen mitteilen, welche Dienste sie abrufen können. Die Marktzeitung kann sich jeder auf der Internetseite der ZeitBank (www.zeitbank.net) anschauen und über das Computersystem dann Kontakt mit den Anbietern aufnehmen. Als soziales Projekt baut die ZeitBank auf dem Vertrauen ihrer Mitglieder auf. Doch es gibt auch Werkzeuge, um die Leistungen der anderen zu bewerten. Wie bei vielen Online-Shops kann der „Käufer“ die Leistung des „Verkäufers“ benoten und auch Bemerkungen hinterlegen, die dann für alle anderen Nutzer einsehbar sind. Das professionelle Level der Dienste soll bewusst niedrig angesetzt sein, sagt Joyce Mayer: „Wir fördern keine Schwarzarbeit und wollen keine Konkurrenz zur lokalen Wirtschaft oder zum Handwerk sein.“ Die ZeitBank ersetze aber auch nicht die Arbeit der Wohlfahrtsverbände. Sie versteht sich vielmehr als ein soziales Netzwerk, durch das jedes Mitglied eigene Dienste einbringen kann und im Austausch gleichwertige Dienste nutzen kann. „Wir sind nicht dazu da, billige Putzfrauen zu organisieren“, stellt die promovierte Historikerin aus der Verlagsbranche klar.Um den Nutzern die Sicherheit zu geben, dass sie ihr angespartes Zeitguthaben auch nach einigen Jahren noch nutzen können, bräuchte es eine staatliche Anerkennung der ZeitBank und ein breites Netz an Nutzern. „Wir arbeiten daran“ sagt Joyce Mayer lächelnd. Zusammen mit Fachleuten aus dem Bank- und Versicherungswesen, Betriebswirte,Juristen und EDV-Spezialisten hat sie die Grundstruktur der ZeitBank erarbeitet. Etwa 1000 Kunden wären nötig, um allen Teilnehmern ausreichend Nutzungsmöglichkeiten zu bieten und auch um Schwächen der Computersoftware entdecken und verbessern zu können. Im Moment sind es gerade einmal 70 Personen, die die ZeitBank nutzen. „Wir sind in der Testphase, und da braucht es Geduld und Menschen, die einfach anfangen und ausprobieren“, sagt Joyce Mayer. Die Zeit-Bank habe ein großes Potential und sei ein attraktiver Rahmen, in dem Arbeitssuchende neue Berufsfelder kennen lernen und testen könnten. Gerade für kleine Reparaturen im Haushalt, die für die Geldwirtschaft absolut unrentabel seien, werden Anbieter gesucht. In Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit könne die ZeitBank Arbeitsförderungsmaßnahmen anbieten und bei Weiterbildungsmaßnahmen mitarbeiten. Ihr Traum wäre, dass sich auch Schüler und Studenten für die Idee begeistern ließen; das würde das Angebot enorm bereichern und die Idee schneller über die Stadtgrenzen hinaus verbreiten. Bei Familie Neumayer ist der Anfang schon gemacht – sobald die Kinder groß genug sind, wird nicht nur Vierbeiner Tobi von den Zeit-Bank-Angeboten profitieren.

Andrea Fleming

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2010)
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