10. März 2010

Begrenzte Souveränität

Von nst_xy

Wann darf die Weltgemeinschaft einen Staat nicht mehr sich selbst überlassen?

Der Begriff von der begrenzten Souveränität eines Staates stammt vom langjährigen sowjetischen Partei- und Staatschef Leonid Breschnew. Er rechtfertigte damit 1968 das sowjetische Eingreifen in der Tschechoslowakei, um den Sozialismus in diesem Land zu retten. Die westlichen Regierungen lehnten diesen Begriff ab. Jedem Staat sollte das Recht zustehen, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Und doch kennen wir aus der jüngsten Geschichte Beispiele, die zeigen, dass ein Staat unter Umständen gar nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. So war etwa der Libanon über Jahre hindurch außerstande, für die innere Ordnung zu sorgen, was diesem Land einen Bürgerkrieg einbrachte, in dem Milizen und ausländische Mächte wie Israel und Syrien die Geschicke des Landes bestimmten. Seit 1991 ist Somalia in Ostafrika praktisch ein zerfallener Staat. Zwar gibt es dort eine Übergangsregierung, aber diese ist nicht Herr der Lage. Milizen haben das Sagen, und die Regierung muss tatenlos zusehen, wie sich die Kriminalität ausbreitet. Dazu gehört auch das Piratenunwesen am Horn von Afrika. Die internationale Gemeinschaft tut sich schwer, in die Angelegenheiten solcher Staaten einzugreifen, wohl aus falschem Respekt vor der Souveränität oder wegen ihrer unterschiedlichen politischen Interessen. Die UNO wäre in solchen Fällen wohl die berufene Organisation, aber sie erweist sich oft als allzu schwerfällig, um Entscheidungen zu treffen. Ein Hindernis ist meines Erachtens das Einstimmigkeitsprinzip, das für die fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates gilt. Um dem Piratenunwesen in Somalia beizukommen und vor allem Hilfslieferungen nach Somalia zu sichern, stellte die Europäische Union eine Seestreitmacht auf – mit begrenztem Erfolg. Erforderlich wäre eine internationale Truppe, die Piraten bis ins Landesinnere erfolgen könnte. Dazu kann sich aber die internationale Gemeinschaft nicht aufraffen: Zum einen wäre dies kostspielig, zum anderen scheuen sich die Staaten vor einem so weit reichenden Eingriff in die souveränen
Rechte Somalias, auch wenn diese Souveränität nur noch auf dem Papier existiert. Ein weiteres Beispiel eines begrenzt souveränen Staates ist Haiti. Lange vor dem schweren Erdbeben, das am 12. Januar die Hauptstadt Port-au-Prince nahezu völlig zerstörte, war Haiti ein schwacher Staat, der nur noch unter dem Schutz von UN-Blauhelmen existieren konnte. Durch das Erdbeben ist der letzte Rest an staatlicher Ordnung zusammengebrochen. Die Lage in Haiti zeigt, dass die internationale Gemeinschaft nicht nur zuschauen kann, wenn ein Staat soweit zerfallen ist, der seinen grundlegenden Pflichten gegenüber den Bürgern nicht mehr nachkommen kann. Zwar hat im Fall Haiti die noch amtierende Regierung dem Eingreifen ausländischer Truppen zugestimmt, aber sie tat es auch, weil keine Alternative in Sicht war. Doch welche Instanz kann und soll feststellen, ob ein Staat nicht mehr sich selbst überlassen werden darf? Im Falle einer Naturkatastrophe wie in Haiti ergibt sich – so meine ich – eine solche Feststellung aus den Umständen. Aber man sollte nicht so lange warten müssen wie in Haiti. In Staaten wie Somalia, wo der Staat praktisch
zerfallen ist, oder etwa Simbabwe, wo ein Regime das Land in den Ruin getrieben hat, sollte früher ingegriffen werden können. Die geeignetste Organisation dafür wäre meines Erachtens nur die UNO. Sie müsste dazu aber erst noch mit geeigneten Machtmitteln und anderen Entscheidungsprozessen ausgestattet werden. 

Klaus Purkott

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2010)
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