18. Juli 2011

Andere Töne im Konzert des Lebens

Von nst_xy

Die Einschränkungen des Alters sind für viele Menschen schwer zu akzeptieren. Der 80-jährige Franz Knittel leidet an einer Parkinsonerkrankung und kann doch einen roten Faden entdecken, der sich durch sein Leben zieht.

Dass ich da nicht das Paradies vorfinde, war klar!” Franz Knittel sagt das nüchtern, aber auch mit einem Anflug von Humor. Als er vor neun Jahren seinen Freiburger Bischof um die Versetzung in den Ruhestand bat, war der damals 72-Jährige schon seit 47 Jahren Priester. Zuletzt hatte er acht Jahre in Hechingen in einer „Vita comunis”, einer Arbeits- und Lebensgemeinschaft, mit zwei Mitbrüdern gewohnt. Weil sich einer von ihnen aus gesundheitlichen Gründen den Anforderungen der großen Pfarreiengemeinschaft mit etwa 10 000 Katholiken nicht mehr gewachsen fühlte, „haben wir zusammen überlegt, was als Nächstes dran sein könnte”; für Franz Knittel der Schritt in den Ruhestand. Aber wo sollte er den verbringen?
Schon in seinen ersten Jahren als Priester hatte der heute 80-Jährige die Spiritualität der Fokolar- Bewegung kennengelernt und sein Leben daran ausgerichtet. Deshalb war Franz Knittel schnell klar, dass er am liebsten zusammen mit anderen Pfarrern in einer „Vita comunis” leben wollte, „zumal das in
den aktiven Jahren oft nur schwer möglich war”.
Relativ schnell ergab sich dann der neue Bestimmungsort: Ottmaring bei Augsburg. Vier Pfarrer lebten dort bereits zusammen in einem Haus im Ökumenischen Lebenszentrum. Fokolar-Priester aus ganz Deutschland hatten das Gebäude in den 70er-Jahren zusammen geplant.

„Das Umfeld war mir deshalb nicht unbekannt,” erzählt der Ruheständler, der sich damals aktiv in die Planung eingebracht hatte und später regelmäßig dort zu Gast war.

Trotzdem hat Franz Knittel die neue Umgebung doch auch als fremd erlebt; „es war nicht das Heimkommen in vertrautes Gelände”. Und auch wenn er wusste, wer mit ihm zusammen sein würde, „ausgesucht hatten wir uns nicht!” Dass beim Wechsel in den neuen Lebensabschnitt persönliche Sympathien nicht den Ausschlag gegeben hatten, empfand er sehr befreiend: „Je älter man wird, umso mehr wandelt sich auch das äußere Erscheinungsbild und damit das, was einen am anderen fasziniert. Man entdeckt auch die Grenzen aneinander.” Hier stockt er kurz und fährt dann augenzwinkernd fort: „Manches wird dann Materie zum Ertragen, zur Geduld!”
Die neue Etappe hielt außer den neuen Hausgenossen für Franz Knittel noch eine weitere Überraschung bereit. Bei seiner Verabschiedung vom aktiven Dienst kam eine ihm bekannte Ärztin auf ihn zu: „Mit Ihnen ist etwas. Ich erlebe Sie wie mit angezogener Bremse.” Auch wenn der Pfarrer bis dahin meist gesund war, ging er diesem Hinweis nach. Parkinson, lautete die schockierende Diagnose! Dazu zu stehen, war ihm peinlich – auch dass der schon vorher abgesprochene Umzug nun vielleicht als Alterssicherung erscheinen könnte. Er hatte seine Entscheidung ja nicht getroffen, weil er ein „warmes Nest” suchte.
Die inneren Umbrüche jener Monate deutet Franz Knittel nur an. „Ich habe mein Leben immer verstanden als Einsatz für Christus, wie für einen Freund. Das war der Grund, warum ich Priester werden wollte. Wenn du dich gesund fühlst und Kräfte hast, kannst du dieses ,Leben für’ im Einsatz für kranke und notleidende, für junge und suchende Menschen verwirklichen, auch im Ermutigen und Konfliktlösen, im Aufbau der Gemeinde genauso wie im Verkündigen des Wortes.” Beim knappen Streifzug durch sein Leben kann man erahnen, dass Franz Knittel keiner war, der die Hände in den Schoß legte oder vor Schwierigkeiten zurückschreckte. „Dabei hab ich mich immer ehrlich und leidenschaftlich bemüht, alles im Blick auf das Testament Jesu – dass alle eins seien – zu leben, und auch erfahren, wie mein pastorales Bemühen dadurch eine besondere Sinnspitze erfahren hat. Aber dann kommt der Moment, wo auch die anderen Töne im Konzert des Lebens durchklingen.”
Ohne zu zögern, aber mit der ihm eigenen Bedächtigkeit und Tiefe, fährt Franz Knittel fort: „Mein jetziger, von der Krankheit gezeichneter Zustand gibt mir die Chance, meine Freundschaft mit Jesus auf neue, andere Weise unter Beweis zu stellen. ,Leben für’, also meine bleibende priesterliche Berufung gewinnt jetzt ein anderes Gesicht.” Bei diesen Worten wird er still, scheint fast in sich hineinzublicken, um dann strahlend fortzufahren: „Der Schauplatz verlagert sich nach innen. Aber der rote Faden zieht sich durch! Ich muss mich deswegen jetzt nicht neu definieren.”
Ob ihm das denn auch mal schwer falle? „Natürlich!” So hat er nicht ohne Schwierigkeiten lernen müssen, mit den Medikamenten umzugehen.

Am Anfang hatte Franz Knittel sie im Wissen um die Nebenwirkungen „wie Feinde” empfunden. Erst nach und nach hat er gelernt, dass „sie mir nicht nur helfen zu überleben, sondern auch den Alltag einigermaßen normal zu bewältigen”. Deshalb „sehe ich sie jetzt als Hilfsgesellen”.

Das verändert vieles, auch wenn die Einnahme im Zwei-StundenRhythmus mit vielen Fragezeichen verbunden bleibt.
Die gesundheitliche Situation bringt auch mit sich, dass der kontaktfreudige Mann nun seltener angefragt wird für Aufgaben, Gottesdienste oder anderes. Dass er daran nicht nagen muss, dafür ist er dankbar. „Das äußerliche Verschwinden hilft mir, die innere Ausrichtung zu rf nden.” Dabei kann Franz Knittel die Zurückhaltung anderer durchaus nachvollziehen: „Die haben mich auch mit Schwächen erlebt, oder dass ich sagen musste, ich kann jetzt nicht!” Sehr entlastend erlebt er, wenn die Menschen ihm gegenüber so normal wie möglich bleiben. „Alle gewollte Rücksichtnahme tut eher weh!”
Trotz des klaren Blicks für die eigene Situation und der verständnisvollen Rücksichtnahme seiner Umgebung erlebt Franz Knittel auch die Versuchung, sich zurückzuziehen in ein neues Hobby, die Malerei. In einer Spezialklinik für Parkinsonpatienten hatte ein Therapeut es gut verstanden, ihn bei aller „Anfänglichkeit und Schlichtheit der Versuche” zu motivieren.
Ein gewisses Talent war offensichtlich vorhanden. So konnte Franz Knittel mit seinen „Werken” bei seinem 80. Geburtstag sogar eine kleine Vernissage zugunsten eines Projekts in Tansania verwirklichen.
Für ihn selbst ist das Malen eine Art Therapie, die hilft, Farben und Formen wahrzunehmen. Trotzdem spürt er die Notwendigkeit, sich immer wieder der Frage zu stellen: „Lebst du das für deinen Frustrationsausgleich oder für die anderen? Sicher ist es richtig, die eigenen Talente zu entfalten, aber sie sollen auch Geschenk werden für andere.” Um das rechte Maß zu finden, hilft ihm seine tief verwurzelte und über lange Jahre gewachsene Freundschaft: „Jesus wartet in vielen Gesichtern auf mich; in meiner Umgebung, aber auch in mir, in der täglichen Erfahrung des Nicht-mehr-Könnens, der Einschränkung und des Loslassens.” Die Herausforderung besteht nun darin, schnell „zu schalten” und den Freund in den verschiedenen Gesichtern zu erkennen. „Das wird im Alter nicht leichter! Aber es ist meine Identität. Ich brauche innerlich nicht ein anderer zu werden, ich muss nur wachsen in der Erkenntnis, im Vertrauen, in der Liebe!”
Und mit Blick auf „seinen Freund” geht Franz Knittel zuversichtlich in jeden Tag: „Da ist der immer neue innere Anruf: Komm, Freund! Ich in dir. Du in mir. Was auch immer kommt!”
Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2011)
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