22. Oktober 2011

Die Gummistiefel standen schon im Flur.

Von nst_xy

Erfahrungsberichte

Als ich bei einer Flüchtlingsfamilie war, erzählte mir die Mutter ganz besorgt, dass ihr kleiner Sohn Gummistiefel bräuchte. Aber in der Kleiderkammer gab es die nicht. Außerdem brauchte die Tochter Knie- und Ellenbogenschoner. In der Schule hatten sie eine Projektwoche vor sich und wollten skaten. Aber nur die Kinder, die Schoner hatten, durften mitmachen. Nur gab es keine in den Geschäften, in denen die Asylanten mit ihren Gutscheinen einkaufen dürfen, und leihen konnte sie ihr auch niemand. Deshalb fragte mich die Mutter, ob ich nicht eine Idee hätte. Ich konnte ihr nur sagen, dass ich mich umhören würde, versprechen konnte ich allerdings nichts.
Abends erzählte ich alles meiner Mutter am Telefon. Sie antwortete spontan: „Gummistiefel haben wir im Kindergarten noch welche übrig und nach Knieschonern frage ich auch noch.” Als ich am nächsten Tag abends nach Hause kam, standen die Gummistiefel schon im Flur. Dann gab meine Mutter mir noch eine Tüte, darin waren neue Schoner. „Niemand hatte welche in der richtigen Größe. Und so habe ich welche für das Mädchen gekauft,” erzählte sie mir. „Es darf nicht sein, dass sie nur deswegen nicht an der Projektwoche mitmachen kann.”
Als ich die Sachen bei den Asylanten vorbeibrachte, sagte mir der Vater, dass seine Tochter von nichts anderem mehr gesprochen habe. Das Strahlen in den Augen der Kinder hat mich tief berührt. Nur schade, dass meine Mutter dieses Strahlen nicht sehen konnte. D.S.

Wir haben ihnen unser Haus überlassen.
Wegen vieler Umstrukturierungen in meinem Orden in Italien sollte auch das Haus geschlossen werden, in dem ich mich zuletzt befand.
Ich wurde gebeten, in ein Haus ganz in der Nähe umzusiedeln. Weil es so nah war, bat mich der Pfarrer meiner bisherigen Gemeinde, dort weiter mitzuhelfen, bis jemand anderes gefunden wurde.
Nach einiger Zeit kamen drei Schwestern aus einer indischen Kongregation. Eine von ihnen sprach gut italienisch, die anderen beiden nicht. Man bat mich, ihnen noch eine Zeit lang zu helfen, bis sie sich in der Gemeinde und im Ort auskannten. So begleitete ich sie zu Gesprächen in den Familien und zu Veranstaltungen mit Kindern und Jugendlichen. Dabei wurde mir nach und nach auch bewusst, dass ihnen im Grunde noch alles fehlte, auch eine Wohnung, in der sie auf Dauer bleiben konnten. Mir kam das Wort aus der Apostelgeschichte in den Sinn: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.” (Apg 4,32) So sprach ich mit den Mitschwestern meines
Ordens, und wir beschlossen, ihnen dann unser Haus und die gesamte Einrichtung zu überlassen. Das hat nicht nur die neuen Schwestern überrascht. Plötzlich fragten auch viele andere aus dem Ort nach, was sie tun könnten. Miteinander haben wir dann das Haus neu gestrichen und von oben bis unten geputzt. Nach kurzer Zeit war auch die Speisekammer reich gefüllt: Alle brachten etwas, von dem sie meinten, dass es den indischen Schwestern schmecken würde. Beeindruckt war ich, dass sie anstelle von Nudeln vor allem Reis eingekauft hatten.
Bevor ich dann den Dienst in der Gemeinde endgültig aufgab, bedankten sich die Schwestern bei mir und sagten, dass sie den Eindruck hatten, dass wir zusammen gehörten wie in einer Familie. Und ich denke, das haben auch die Menschen um uns herum gespürt. Sr. M.C.

Nächstes Mal trinken wir einen Kaffee.
Vor kurzem traf ich zwei kroatische Freunde auf der Straße und begrüßte sie freudig mit „dobar dan”. Kurze Zeit danach sprach mich eine junge Frau an, die uns offensichtlich beobachtet hatte, und wollte wissen, was ich mit ExJugoslawien zu tun hatte. Gerade von einer Erkundungsfahrt nach Bosnien heimgekehrt, erzählte ich ihr von meinen Eindrücken. Daraufhin sagte sie mir: „Mein Vater ist Serbe, aber er ist kein Mörder. Er hat alles verloren durch den Krieg.” Dann brach es aus ihr heraus: Ihr Vater habe sie nicht gewollt und sei schon ganz früh wieder zurück nach Serbien gegangen. Ihre Mutter habe sie auch nicht gewollt und so sei sie bei ihren gehörlosen Großeltern aufgewachsen. Ihre ganze Geschichte sprudelte nur so heraus, aber sie wirkte nicht verbittert. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie mir, dass sie einfach nur bewegt war durch diesen Moment. Sie wunderte sich über sich selbst und wie es dazu gekommen war, dass sie mir das alles erzählt hatte: „Wie lange habe ich nicht über diese Geschichte geredet! Wenn ich helfen kann in Bosnien, bitte melden Sie sich! Und demnächst gehen wir lieber mal einen Kaffee trinken, das ist auf dem Balkan unsere Art!” Ganz bewegt verließ sie mich. Auch für mich war es ein total inniger Moment! B.P.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2011)
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