18. Oktober 2011

Urlaub hoch 2 – Per Fahrrad zum Weltjugendtag

Von nst_xy

Eine Gruppe aus Österreich ist von Barcelona aus nach Madrid gefahren. 965 Kilometer in zehn heißen Tagen waren eine enorme Strapaze. Aber die „Biker” erinnern sich auch an un­vergessliche Glücksmomente.

Dienstag, 9. August
Ankunft auf dem Flughafen Barce­lona: Zwölf junge Leute und drei Erwachsene; zwei weitere fahren das Begleitfahrzeug mit dem Ge­päck. Alle sind gespannt auf das, was sie erwartet, fröhlich, packen mit vereinten Kräften die Fahr­räder aus, setzen sie zusammen, pumpen die Reifen auf. Dann heißt es warten: Der VW-Bus klappert Autowerkstätten ab, um eine Er­satzschraube für die Gangschal­tung zu finden. Endlich können die Radler in die Pedalen treten: 30 km bis Castelldefels, bei 27 Grad und einer angenehm leichten Brise.
Um 23 Uhr kann es in zwei Räumen eines Pfarrhauses ans Schlafen gehen. „Ich bin ein bissel besorgt”, schreibt Elisabeth Rei­chel aus dem Fokolar in Wien in ihr Tagebuch. „Schon jetzt zeichnet sich ab, dass einige konditionell Schwierigkeiten haben. Und morgen haben wir 145 km vor uns!”

Mittwoch, 10. August
5 Uhr Aufstehen, Frühstück, 6 Uhr soll es losgehen. Ehe alle bereit sind, wird es 7. Die Truppe landet unerwartet auf einer Schnellstraße. Alternativen scheint es nicht zu geben, also weiter auf dem Seiten­streifen, schön hintereinander und hoch konzentriert. Es geht bergauf, es ist heiß, der Asphalt wie ein zusätzlicher Brennofen. „Es wird kaum mehr gesprochen”, schreibt Elisabeth später über diese Mittags­stunden. „Pausen machen wir nur, um kurz Luft zu holen.”
Zwei biegen ab, um einen an­deren Weg zu suchen. Eine andere Gruppe ist weit voraus und nicht mehr zu sehen. Die Polizei winkt die übriggebliebenen Radler von der Straße. Sie kommen an einen Kreisverkehr und wissen nicht weiter. Es ist zum Heulen.
Die Hitze macht allen zu schaffen. „Wir müssen sehen, dass wir Schatten bekommen, fragen Leute nach dem Weg. In einem Laden kaufen wir Cola und lehnen uns an die kühle Betonwand.”
Dank des Begleitfahrzeugs geht alles gut aus. Zwei Mitfahrer, die am Ende ihrer Kräfte sind, können einsteigen, bevor ein 500-Höhenmeter-Anstieg beginnt.
Der Zielort Tivissa entpuppt sich als „wildromantischer Ort hoch oben am Berg, uralte Häuser, ganz enge Gässchen. Dazu die Weite des Landes, wunderschön, und eine Sternennacht. Drei Frauen und zehn Mädchen von der Pfarrei emp­fangen uns. Um 22 Uhr gibt es ein dreigängiges Abendessen, liebevoll hergerichtet.”

Donnerstag, 11. August
Wieder 5 Uhr aufstehen, wieder sind 140 km zu bestreiten. „Wir sind sehr diszipliniert”, vermerkt Elisabeth, „machen nur kurze Pausen. Diesmal sind wir wirklich um 13 Uhr am vereinbarten Ort.”
19 Uhr 30: Noch 30 km sind zu fahren, doch auf einer Strandpro­menade an der Mittelmeerküste ist der Teufel los, die Radler kommen kaum vorwärts. Im Getümmel plötzlich ein Unfall: Andi fährt seiner „Vorderfrau” auf und verletzt sich. Der Begleitbus nimmt ihn mit.
Gegen 23 Uhr bei einem Cam­pingplatz am Ziel. Der Ortspfarrer – älteren Semesters und schlecht zu Fuß – wartet seit dem Nach­mittag auf sie. Mit eingeschal­teter Warnblinkanlage und einem Schild „Austria” steht er mitten auf einer Kreuzung. „Andi kollabiert fast, blutet immer noch und hat Schmerzen”,weiß das Tagebuch. „Der Pfarrer erklärt sich bereit, ihn ins Krankenhaus zu bringen: Er habe sich heute nichts anderes vor­genommen als für uns da zu sein! Dann geht es in seinem klapprigen Auto in furchterregendem Tempo in die nächste Stadt.”

Freitag, 12. August
Andi muss nicht stationär aufge­nommen werden und auch nicht mit dem Flugzeug nach Hause. Aber der Arzt erteilt vier Tage Radfahrverbot, damit alles verheilen kann. Die Be­gleiter im VW-Bus bekommen Ge­sellschaft. „In dieser Auszeit hab ich versucht, mich so gut es ging nütz­lich zu machen”, erzählt Andreas Chmielowski. „Mit ihnen einkaufen fahren, einen Platz für die Mittags­pause suchen und alles vorbereiten, bis die Radler kommen.”
Im Rückblick findet Andreas den Unfall toll und weiß auch, dass sich das komisch anhört: „Aber er hat uns zusammengeschweißt. Keiner hat mich im Stich gelassen, alle haben sich um mich gekümmert. So eine Gemeinschaft kenne ich aus der Schule nicht: dass Leute so freundlich sind, ohne etwas von dir zu erwarten!”

Auch Elisabeth merkt, dass die Aufmerksamkeit füreinander wächst: „Sophie erklärt Peter, dass er niedertouriger fahren muss, um Kräfte zu sparen. Lisa tauscht mit Barbara das Fahrrad, weil ihres einfacher zu fahren ist.”

Barbara Strodl erinnert sich, dass sie noch nie so oft ans Aufgeben ge­dacht hat: „Ich pack’s nicht mehr! Warum tu ich mir das überhaupt an? Es war eine Grenzerfahrung.” Einmal musste sie trotz Gefälles kräftig treten, weil der Gegenwind so stark war. „Dann hat noch meine Wade wehgetan und ich hab nur ge­dacht: Mein Gott, hilf mir! Später hat mich ein Mädchen überholt; ich konnte mich in den Windschatten hängen und musste auf einmal sogar bremsen, um ihr nicht ins Hinterrad zu fahren. Das hat mich überwältigt: Zuerst wollte ich kom­plett aufgeben, und ein paar Augen­blicke später war alles ganz leicht, und ich war voll dankbar!”
20 Uhr 30 Ankunft in Segorbe, Unterbringung in einem ehema­ligen Priesterseminar mit richtigen Betten, ausreichend Duschen und sogar einem Swimmingpool.

Samstag, 13. August
Ein Teil der Gruppe will heute ein bisschen „leiser treten” und ein Stück mit dem Zug fahren. Im Endeffekt sparen sie jedoch nur 20 km. Seitdem sie die Küste ver­lassen haben und im Landesinnern unterwegs sind, fasziniert Andi die Landschaft: mal gebirgig, mal wüstenähnlich. Viktoria Pömer hat noch die grünen Abschnitte vor Augen, riesige Sonnenblumen­felder, ein tolles Panorama:

„Das ist mir unter die Haut gegan­gen. Da war Gott greifbar in der Schönheit der Natur.”

Auf 1200 Höhenmetern ist es kühler, tiefschwarze Wolken ziehen auf, es schüttet. In Puebla del Verde, dem heutigen Ziel, ist gerade Stierlauf. Die körperliche Anstrengung führt hier und da in der Gruppe zu Spannungen: Zwi­schen einigen kommt es zum Streit. Andere kriegen nichts davon mit. „Es war eher so, dass du mit dir selbst gekämpft hast”, erzählt Bar­bara, „um die anderen nicht zu be­lasten.”
Abends ist es eng: nur ein kleiner Saal zum Schlafen – einige wei­chen daher nebenan in die Kirche aus – und für alle nur ein einziges Klo.

Sonntag, 14. August
Heute nur 65 km, über kurze Stre­cken richtige Mountainbike-Pisten! Immer wieder hat ein Rad einen „Patschen”: Die spanischen Dornen bohren sich wie Nägel in die Reifen. Aber jedes Mal finden sich unter den Mitradlern bereitwillige Helfer.
Das Schwimmbad in Santa Eu­lalia kommt bei den ausgepowerten Radlern gut an. Der Pfarrer, bei dem sie zu Gast sind, übernimmt das Eintrittsgeld und besorgt spa­nischen Schinken und Käse. Er schleppt einen Mann an, der schon bei allen Weltjugendtagen war und noch Obst und Süßigkeiten bei­steuert.

Donnerstag, 18. August
Vier Tage später und 300 km weiter Ankunft am Abend in Madrid. Et­liche Höhenmeter liegen hinter ihnen, anstrengende Abschnitte, bei denen einer den anderen motiviert, aber auch erholsamere Tage. Einer hat Fieber bekommen, eine andere Magenkrämpfe.
Weil die Renovierung der Schule, in der sie unterkommen sollten, nicht rechtzeitig fertig wurde, schlafen die Österreicher in einer Tiefgarage. Zu­mindest schön kühl ist es hier.

Samstag, 20. August
Der Weltjugendtag steuert auf seinen Höhepunkt zu. Die Stim­mung unter hunderttausenden Ju­gendlichen aus aller Welt reißt mit. „Es war wie eine Riesenfamilie”, meint Andi. „Man konnte auf jeden zugehen und war willkommen.” Barbara ist vor allem die Vigil, die Nachtwache mit dem Papst im Ge­dächtnis geblieben: „Bei anderthalb Millionen Jugendlichen ist eigent­lich immer irgendwas los. Aber bei der Anbetung war es absolut still. Das hat tief berührt!”

Samstag, 10. September
Andi hat im Rückblick den Eindruck, die „Bike-Tour” hat ihn verändert. Er hat gelernt, sich zu konzentrieren: „Du sitzt stunden­lang auf dem Rad und bist ganz bei der Sache, um anzukommen.” Ähnlich war es bei den Gesprä­chen unterwegs: „Wenn jemand redet, dass man ihm ganz zuhört. Wir haben versucht, uns einander zu schenken, und das ist bei mir hängen geblieben.” Mittlerweile hat für Andi die Schule wieder be­gonnen. „Und da versuch ich das auch: voll für den anderen da sein.”
Er hat erlebt, dass Mitschüler in den Ferien drei Wochen an den Strand fahren und genauso gries­grämig heimkommen wie vorher. „Bei mir war es anders. Das war Ur­laub hoch zwei!”
Clemens Behr

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2011)
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