26. September 2012

Kritisiert werden

Von nst_xy

Verunsicherung oder Chance?

Kritisiert zu werden ist für die meisten unangenehm, besonders, wenn es überraschend geschieht und von Dingen handelt, die wir selbst ganz anders sehen. Oder wenn ein wunder Punkt getroffen wird. Es tut weh! Wir sind gekränkt, zornig, enttäuscht, zumindest aber verunsichert, da es entwertet. Selten sofort froh. Manche verbergen ihr Gefühl und gehen auf innere Distanz, andere zeigen es und lassen sich auf eine Auseinandersetzung ein – je nach Naturell, sozialem Gefüge und Beziehung zur kritisierenden Person.

Welche Haltungen kann ich einnehmen? Als selbstbestimmte Person, die in vielfältigen Beziehungen lebt, darf und soll ich mir überlegen, ob ich eine bestimmte Kritik jetzt überhaupt annehme. Im Beruflichen gilt das insbesondere, wenn sie von einer rangniedrigeren Person kommt – laut Betriebspsychologie.

Wann muss ich mich weiters einer Kritik nicht wehrlos ausliefern? Wenn sie in gehässiger oder respektloser Form vorgebracht wird; wenn damit jemand Macht auf mich ausüben und mir schaden will; wenn es öffentlich geschieht, ohne dass es vorher ein Vier-Augen-Gespräch gab.

Wann dagegen darf ich eine Kritik annehmen? Wohl immer dann, wenn das Gegenteil der genannten Dinge vorherrscht. Dann kann ich mir überlegen, ob die Kritik dieses Menschen mich weiterbringt, und deren wahren Kern beherzigen. Andere Augen und Herzen nehmen oft mehr wahr als ich allein. Jeder hat blinde Flecken und das Recht, aber auch die Pflicht, sich mithilfe der anderen weiterzuentwickeln. Kritik kann sehr produktiv sein! Bereits in der Antike gab es Methoden der Kritik unter gleichgesinnten Freunden, die „correctio fraterna“ (geschwisterliche Zurechtweisung). Mir wurde einmal in einer besonderen Stunde im Freundeskreis gesagt, dass ich zu perfektionistisch sei und stets zuviel verlange. Dies erdrücke die anderen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich musste es verdauen, aber heute bin ich heilfroh darüber. Es hat mich selbst auch frei gemacht.
Dorothea Oberegelsbacher

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2012)
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