26. September 2012

Sein Herz ist mein Herz

Von nst_xy

Christen sollen ein anderer Christus sein. Ist dieser Anspruch nicht zu hoch?

Auf den ersten Blick erscheint dieser Anspruch, der seit den ersten Zeiten der Kirche erhoben wird, unerfüllbar – vorausgesetzt, man versteht ihn als Leistungsmarke, die der Christ wie ein Sportler aus eigener Kraft erreichen müsste. Jesus Christus ist einzig; es kann keinen anderen geben, nicht einmal annähernd. Und doch können wir ein anderer Christus sein, freilich nicht, weil wir ihn erreichen könnten, sondern weil er es ist, der uns erreicht.

Er hat sich in seiner Menschwerdung ein für alle Mal eingelassen auf unsere menschliche Schwachheit. Es kommt nicht auf unsere Leistung an, sondern zuallererst darauf, ihn einzulassen in unser Leben, von ihm her unser Denken bestimmen zu lassen. Im Sakrament der Taufe kommt das zum Ausdruck: Er selbst kommt im Heiligen Geist auf uns herab, er selbst gestaltet uns in der Salbung zu einem Gesalbten, einem Christos, wie es auf Griechisch heißt. Jesus Christus bleibt uns nicht äußerlich, sondern will uns von innen her gestalten. Er selbst will und wirkt, dass wir eins werden mit ihm. So kann der Apostel Paulus schreiben: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“1).

Dieses Programm ist sehr konkret! Wenn ich Christus in mir leben lasse, dann sind meine Augen seine Augen. Dann schaue ich auf die Welt und vor allem auf meine Mitmenschen mit liebenden Augen. Seine Hände sind dann meine Hände, und ich nutze sie, um den Menschen das zu tun und zu geben, was Jesus tun und geben würde. Und schließlich ist sein Kreuz mein Kreuz. All das Leid, das mir begegnet, die Schwierigkeiten und Schmerzen sind schon eins mit Christi Leid und damit schon auf den Weg gebracht in Richtung Ostern.

Keine Höchstleistung wird also von uns verlangt, sondern ein offenes Herz und ein waches Auge für seine Nähe, die Jesus Christus uns schenkt – ein erfüllbarer Anspruch, denn ER spricht uns an.
Udo Stenz

1) Galater 2,20

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2012)
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