17. Dezember 2012

Betrifft: Ökumene jetzt

Von nst1

An: Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages

Sehr geehrter Herr Lammert,

im Appell „Ökumene jetzt“ spiegelt sich wider, dass die Kirchenspaltung nicht nur ein Problem zwischen den Konfessionen ist, sondern auch in Politik und Gesellschaft als Skandal wahrgenommen wird. Allein das hat das Zeug, unter die Haut zu gehen und aufzurütteln.

Uns gefällt, dass Sie und die anderen Erstunterzeichner den Aufruf mit Bedacht formuliert haben, auf Polemik verzichten, die Bemühungen der Kirchen und die Fortschritte der letzten Jahrzehnte wertschätzen. Es fällt auf, dass der eigentliche Appell knapp ausfällt; Sie richten ihn an die Kirchenleitungen wie an die „Basis“ und machen damit deutlich, dass jeder Gläubige gefragt ist, etwas für ein besseres Verhältnis zwischen den Kirchen zu tun.

Respekt, dass Sie Ihrer Leidenschaft für die Kirche öffentlich Ausdruck verleihen! Von Stellungnahmen offizieller Kirchenvertreter zu ökumenischen Fragen bleibt meist der Eindruck, sie verteidigen die eigene Position, als dass sie unter der Trennung leiden. Was zu dem Gefühl führt, Jesu Wunsch, „dass alle eins seien“, werde nicht mit dem nötigen Nachdruck nachgegangen.

Sie haben Recht: „Es ist an der Zeit, die Kirchenspaltung zu überwinden“. Wir müssen vorankommen, auch auf dem Weg zur Mahlgemeinschaft. Die kann aber leicht eine Scheingemeinschaft werden, wenn die Unterschiede im Glauben und im Kirchenverständnis nicht geklärt sind. Auch wenn wir es nicht mehr hören können – es braucht Geduld. Zunächst haben die Theologen noch einiges zu tun. Auch in ethischen Fragen sprechen die Kirchen nicht mit einer Sprache. Außerdem ist die Ökumene vielschichtig: Katholiken und Lutheraner können sich nicht annähern, ohne damit ihre Beziehungen zu orthodoxen Kirchen oder Freikirchen zu beeinflussen. Und es ist doch wünschenswert, diese Konfessionen genauso mit im Boot zu haben!

Das Christentum wird immer mehr eine Randerscheinung, seine Werte wirken immer exotischer. Trotzdem halten Sie mit Ihrem christlichen Fundament nicht hinterm Berg. Aber wenn Sie sich zu aktuellen Fragen positionieren, werden Sie zuweilen aus Kirchenkreisen zurückgepfiffen. Denn schnell stoßen christliche Politiker auf Gegenwind aus eigenen Reihen: wenn sie zum Beispiel in ethischen Fragen Kompromisse eingehen, um einen Konsens zu finden und ein größeres Übel zu verhindern.

Der Aufruf kam direkt vor der Begegnung, mit der die katholische Kirche ihren Dialogprozess fortsetzt; zeitgleich ging der neue Internet-Blog kreuz-und-quer.de ans Netz. Das legt die Frage nahe, ob es Ihnen wirklich nur um die Ökumene geht? Oder steht dahinter nicht auch der Wunsch nach Rückhalt für das Engagement christlicher Laien in Politik und Gesellschaft – besonders durch kirchliche Würdenträger? Das ist nachvollziehbar und berechtigt. Dennoch bleibt angesichts des beständigen Spannungsfeldes zwischen Laien und Klerus in der deutschen Kirche ein fader Beigeschmack, der Verdacht, Sie wollten mit dem Aufruf bei den Kirchenverantwortlichen auch eine versteckte Forderung nach mehr Anerkennung landen. Hätten Sie das direkt zum Ausdruck gebracht, schiene es uns als Beitrag zum Dialogprozess glaubwürdiger.

Im Wunsch nach einem offenen, glaubwürdigen Dialog wissen wir uns mit Ihnen verbunden und danken Ihnen dafür, dass Sie immer wieder mit Nachdruck die christliche Stimme in die politischen Debatten einbringen.

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr
Redaktion NEUE STADT

Unser offener Brief wendet sich an Norbert Lammert (63), Präsident des Deutschen Bundestages. Mit prominenten Katholiken und Protestanten aus Politik und Gesellschaft gehört er zu den 23 Erstunterzeichnern der Initiative „Ökumene jetzt – ein Gott, ein Glaube, eine Kirche“.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2012)
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