17. Dezember 2012

Beziehung aufbauen geht immer!

Von nst1

Die Augsburger Abiturientin Anna Hüttl wollte die Welt ändern; an ihr ging der Aufenthalt in Mexiko aber auch nicht spurlos vorbei.

Das war für Anna Hüttl schon seit langem ganz klar: Nach dem Abi wollte sie erst mal weg – ins Ausland! Möglichst dahin, wo sie sich einbringen, etwas geben und damit die Welt verändern konnte! Und so kam die 19-jährige Abiturientin aus Augsburg Anfang Juli 2011 in Mexiko an. Voller Tatendrang. Die Rahmenbedingungen schienen optimal: Die Siedlung der Fokolar-Bewegung, die sie aufnahm, liegt etwa zwei Autostunden von Mexico City in einer ländlichen Region. In der dortigen Schule für die Bevölkerung des armen Umlandes wollte Anna mitarbeiten.

Und dann? Gleich zu Beginn zwei Schocks: Anna landete in einer Bäckerei. „Das war `ne total langweilige Arbeit und da ändert man ja nichts!“ Und: Mit der Verständigung „war es richtig, richtig schwer.“ Dass die wortgewandte Jugendliche außer Deutsch auch Französisch und Englisch sprach, nutzte ihr wenig. Die paar Brocken Spanisch reichten nicht, um ihre mexikanischen Mitbewohnerinnen zu verstehen. Und die hatten in der Schule kein Englisch gelernt. Gott sei Dank war da noch Maria aus Luxemburg, die noch einen Monat blieb. Sie hat für Anna übersetzt und – mindestens so wichtig! – ihr vieles erklärt. Denn: „Die Kultur ist doch ganz anders! Und was für mich ganz normal war, das ging dort überhaupt nicht!“ Zum Beispiel? „Na ja, wenn ich in Deutschland mit meinen Freundinnen unterwegs war, war es normal, dass man nach der Dusche nur in ein großes Badelaken eingewickelt vom Bad ins Zimmer ging; aber das ist dort völlig unmöglich!“ Mit Marias Hilfe lernte Anna viel in diesen ersten Wochen.

Ohne Punkt und Komma kann Anna Hüttl erzählen, was sie erlebt und entdeckt hat. Aber ein Spaziergang war die Zeit nicht. Gerade am Anfang: „Da hab ich wirklich überlegt, ob ich wieder abfahre!“ So fremd war alles für sie – und so weit weg von zuhause. Manchmal kamen ihr den ganzen Tag die Tränen vor Heimweh. Aber probieren wollte sie es zumindest einen Monat lang! Dass sie danach gar nicht mehr weg wollte, überraschte sie selbst am meisten. Geholfen haben ihr dabei nicht zuletzt die abendlichen Gottesdienste: „Da konnte ich zur Ruhe kommen und alle Fragen und Probleme Gott bringen.“

Das monatliche „Wort des Lebens“ und der Wunsch, die Liebe des Evangeliums im Alltag erfahrbar zu machen, war die gemeinsame Basis der jungen Leute. Dass das auch ohne Worte geht, hat Anna dann oft erlebt. Zunächst einmal darin, dass sie sich von den anderen ganz angenommen und verstanden fühlte. Ein Erlebnis hat sich Anna besonders eingeprägt: Das Essen war noch nicht fertig, und sie saß mit Conchita schon am Tisch. Auch ohne gemeinsame Sprache haben sie sich zu Annas Verwunderung eine halbe Stunde unterhalten: „Wort für Wort, mit Händen und Füßen, einem Wörterbuch und unendlich viel Geduld!“ Das hat Anna sehr beeindruckt. Wie oft hatte sie zuhause ein Gespräch gar nicht erst angefangen, wenn sie den Eindruck hatte, es könnte mühsam werden. Und da ließ sich jemand so kompromisslos auf sie ein!

Beziehung aufbauen geht immer. Das hat Anna sich mitgenommen – ob mit oder ohne Worte, mit oder ohne Sympathie. Denn nicht mit allen Mitbewohnerinnen tat Anna sich leicht; mit einer war es sogar extrem schwer: „Wegen jeder Kleinigkeit habe ich mich aufgeregt, sie war total unkoordiniert, hat alles vermasselt, und ausbaden mussten wir es in der WG dann alle gemeinsam.“ An einem Vormittag hat Anna sich dann darauf konzentriert, gerade ihr ganz bewusst Gutes zu tun: angefangen beim Teekochen zum Frühstück über das Aufwärmen desselben, weil die Mitbewohnerin wieder mal zu spät dran war, bis hin zum geduldigen Warten, und, und, und. Als am Nachmittag wieder etwas schief lief, „konnte ich lachen und damit die Situation entspannen. Da hab ich gemerkt: Die Liebe ändert wirklich etwas – vor allem in meinem Denken!“

Durchhalten und dranbleiben, auch wenn man „eigentlich keinen Bock mehr“ hat, definiert Anna als eine ihrer stärksten Erfahrungen – und dass genau das die Fülle ausmacht. „Man kann sich entscheiden, nebeneinander her zu leben oder zu lieben!“ Wichtig ist, so Anna, den anderen zu kennen, sich für ihn zu interessieren und ihn zu respektieren, so wie er eben ist. Und das versuchte Anna auch, als sie nach einem Monat in der Schule anfing und beim Englisch-Unterricht in verschiedenen Klassen half. Weil Europäer in Mexiko als reich gelten und auch auf der Straße um Hilfe angegangen werden, fragte Anna sich vor ihrem ersten „Schul-Arbeits-Tag“, mit welcher Einstellung sie da hingehen sollte: „Als reiche Europäerin, die sich herabwürdigt zu helfen?“ Das etwas mulmige Gefühl verflog schnell, weil „die Kinder gar keine Vorurteile haben!“ Und dass sie sich dann jedem Kind gegenüber anders verhielt, lag nicht daran, dass man trotz der einheitlichen Schuluniform schnell merkte, welche Kinder aus reicheren und welche aus ärmeren Familien kamen. Nein, aus Respekt zu jeder Person musste die Beziehung jeweils anders aussehen, „damit die sich geliebt fühlt.“

Eigentlich wollte die Abiturientin etwas über Mexiko erfahren, die Kultur und die Sprache, „aber dann hab ich viel mehr über mich gelernt!“ Dass sie pünktlich sei beispielsweise, hatte ihr bis dahin noch kaum jemand gesagt. Aber im neuen Umfeld hat sie auch selbst erstaunt festgestellt, wie schnell sie ungeduldig wurde, wenn sich die anderen wieder mal verspäteten. Da war es ganz hilfreich, dass sie nach kurzer Zeit wegen eines Hautausschlages ihre Armbanduhr nicht mehr tragen konnte, „so konnte ich nicht in diesen Pünktlichkeitswahn verfallen.“

Als „typisch deutsch“ war auch ihre korrekte Art und der Wunsch, die Dinge schnell und genau zu erledigen, eingeordnet worden. Und dass sie ein gewisses Maß an Struktur und Organisation brauchte, war bei der einen oder anderen Arbeit ganz hilfreich. Andererseits hat Anna sich auf die spontane, herzliche Art der Mexikaner eingelassen und möchte sich „etwas davon mit rüber nehmen“.

Ihr Aufenthalt hat Anna Hüttl geprägt. Dass sie sich unter vier Unis eine aussuchen kann, an der sie ihr Soziologie-Studium anfängt, ihre Freunde in Mexiko aber nicht wissen, ob sie sich ein Studium überhaupt leisten können, ist nicht mehr selbstverständlich. Manches sieht Anna jetzt auch als „Luxusproblem“, etwa wählen zu können, was man nicht isst, während andere gar nichts haben.

Anna Hüttl kam erfüllt und mit vielen Vorsätzen zurück. Einiges davon ist gar nicht so leicht umsetzbar: „Man selbst hat sich verändert. Aber das Umfeld ist geblieben.“ Nicht zuletzt deshalb war sie froh, dass auf dem Genfest in Budapest, bei dem sie ihre mexikanischen Mädels wieder getroffen hat, deutlich wurde: „Egal wo ich bin, die Welt kann ich immer verändern!“ Das sieht zwar in jedem gesellschaftlichen Kontext anders aus, muss deshalb aber nicht weniger radikal sein. So startet Anna nun gespannt in das Abenteuer Studium in Eichstätt.

Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2012)
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