17. Dezember 2012

Let’s bridge!

Von nst1

Die Jugendlichen der Fokolar-Bewegung hatten zum 10. Genfest (Festival einer neuen GENeration) nach Budapest eingeladen. Das Motto „Brücken bauen“ bündelt ihr bisheriges Engagement und steht für ihren Einsatz auch in Zukunft.

Sie kommen aus Amerika, Asien, Afrika, ganz Europa, sogar aus Ozeanien. In Flugzeugen und Reisebussen, mit dem Zug und sogar auf dem Fahrrad haben sie sich auf den Weg nach Budapest gemacht. „Let’s bridge“ – Brücken wollen sie bauen, Unterschiedliches zusammenbringen. Das Motto steht für die ungarische Landeshauptstadt, aber auch für das Anliegen der Jugendlichen der Fokolar-Bewegung und so haben sie nach zwölfjähriger Pause ihr zehntes Genfest1) damit überschrieben.

31. August, 14:30 Uhr. 12 000 strömen auf das Gelände der Sportarena. „Let’s bridge“ – Das Genfest beginnt mit Möglichkeiten der Begegnung. Osteuropäische Jugendliche stellen sich und ihre Aktionen vor. Singen und Tanzen, eine Kleinkunstbühne und eine große, von deutschen Jugendlichen gestaltete Spielfläche „Let’s play bridge“ schaffen sofort und auch ohne gemeinsame Sprache ein fröhliches Miteinander.

Als sich am Abend die Türen zur Arena öffnen, drängen die Teilnehmer zum offiziellen Programmauftakt hinein: Auf die Begrüßung des Bürgermeisters von Budapest, Tarlós István, und der UNESCO-Präsidentin Katalin Bogyay folgt ein Grußwort des Papstes an die Teilnehmer; dann das Konzert mit Bands aus aller Welt. 22 Lieder laden zum Feiern ein, eine friedliche und ausgelassene Stimmung. Dennoch hat auch anderes Platz: Eine Teilnehmerin erzählt, dass an diesem Tag eine Freundin der Familie beerdigt wird. Über SMS hält sie Kontakt mit Zuhause: „Auch wenn ich sehr traurig war, habe ich eine große innere Ruhe gespürt. So viele aus der ganzen Welt zu sehen, hat mir Hoffnung gegeben.“

„Tag 2“ – Samstag, in der Arena von Budapest. Das Programm beginnt mit bewegenden Erfahrungen: Von der Situation in Ägypten, der Überschwemmung in Thailand, der Bandengewalt in Mexiko haben alle in den Nachrichten der letzten Monate gehört. Jetzt berichten junge Leute aus diesen Ländern, wie sie das erlebt haben; mehr noch: wie sie versucht haben, in diesen Situationen anderen zu helfen und ihr Umfeld zu verändern.

Bassem, 25, erzählt von der Zeit nach dem Umsturz in Ägypten. Ein Jahr nach der Revolution herrschen immer noch Unsicherheit, wirtschaftliche Schwierigkeiten und Ängste. „In einem Stadtviertel Kairos arbeiten wir, Christen und Muslime, zusammen, angetrieben vom Ideal einer geeinten Welt.” Auch wenn es nur eine kleine Initiative ist, sie wollen sich einbringen und helfen, den kulturellen Reichtum zu entdecken und die nationale Identität zu stärken. Gemeinsam beseitigen sie Müll und bemalen Mauern, damit sie Geschwisterlichkeit, Frieden und Harmonie ausdrücken.

Es ist nur eine von unzähligen Erfahrungen des Brückenbauens an diesem Tag. Die jungen Erwachsenen erzählen von Aktionen, Beziehungen, schwierigen Situationen, Krankheit, die zum Sprungbrett, zu einer Gelegenheit, Brücken zu bauen, geworden sind. Dazwischen immer wieder Lieder und Choreographien, die ausdrücken: „Eine geeinte Welt ist möglich!” Mit welcher Ernsthaftigkeit die jungen Erwachsenen sich für dieses Ziel mit all ihren Talenten in ihrem Umfeld einsetzen, beeindruckt auch Julia Hofer aus Österreich: „Wir haben uns über ein Jahr lang auf das Genfest vorbereitet und Projekte gestartet, um beispielsweise Geld für die Reise der Jugendlichen aus Indonesien zu sammeln. So hat das Genfest und auch das Brückenbauen schon viel früher begonnen. Aber ich hatte keine Vorstellung davon, was hier auf mich zukommen würde! Besonders die Erfahrungen haben mich getroffen. Damit bekam die Vorstellung einer ‚united world’ klarere Konturen, ein Ziel, das wirklich erreicht werden kann! Eines Tages.”

„Let’s bridge“ – Das Brückenbauen ist nicht auf die Tage in Budapest beschränkt. Und so ist das „United World Projekt“2), ein Pakt der weltweiten Geschwisterlichkeit, den die Jugendlichen zum Ende des Saalprogramms lancieren, ein logischer Schritt. Ein Netzwerk auf der Basis der Goldenen Regel soll entstehen und verdichtet werden: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.” Dafür wollen sie auch Institutionen und Persönlichkeiten gewinnen und so der weltweiten Geschwisterlichkeit zum Aufschwung verhelfen. In das Projekt münden auch die „Woche der geeinten Welt“, welche die Jugendlichen seit 15 Jahren in vielen Ländern durchführen, und die Operation „Sharing with Africa”, vielfältige Aktionen, die sie seit Jahren für den afrikanischen Kontinent auf die Beine stellen.

Einige Jugendliche unterschreiben auf der Bühne feierlich diesen Pakt. Dann kommt auch Maria Voce, die Präsidentin der Fokolar-Bewegung, zum Unterschreiben auf die Bühne. Mit ihrer Botschaft trifft sie die Lebenswelt der Jugendlichen: „Habt keine Angst! Seid einfach ihr selbst und bringt euch in der Gesellschaft ein. Stellt eure Persönlichkeit, eure Kompetenz und eure Talente Großen und Kleinen zur Verfügung. Euer Beitrag ist einzigartig, unwiederholbar und anders als der der Erwachsenen“, macht sie den Jugendlichen Mut. Und sie fordert sie heraus: „Jetzt seid ihr gerufen, euch für etwas unglaublich Großes einzusetzen und etwas Unsterbliches zu hinterlassen.“

Am späten Nachmittag setzen sich die 12 000 in Bewegung. Ihr Ziel ist die Kettenbrücke. Vor ihnen liegt ein sieben Kilometer langer Marsch durch die Innenstadt von Budapest, eine weitere Gelegenheit, andere Teilnehmer kennenzulernen, Brücken zu bauen. Viele Einwohner wundern sich über die Menschenmassen und fragen, was vor sich geht. Die Jugendlichen nehmen sich die Zeit und erzählen. „Es ist eine große Ehre, dass das Genfest hier stattfindet. Ich bin stolz, dass Budapest so ein guter Gastgeber für eine so große und wichtige Veranstaltung ist”, erzählt Péter Kósa. Der 19-Jährige ist in Budapest aufgewachsen und studiert hier Elektrotechnik. Seine Englischlehrerin hat ihn eingeladen, beim Genfest dabei zu sein. „Das ungarische Fernsehen hat das komplette Programm übertragen“, staunt er und bedauert, dass dennoch die schlechten Nachrichten überwogen.

Die Medien spielen eine große Rolle beim Genfest. Nicht nur, dass es in Budapest 27 Übersetzungen gibt. Große Teile des Programms werden über Internet übertragen: Mehr als 24 000 Aufrufe stehen oft für größere Gruppen von Jugendlichen, die nicht nach Budapest kommen konnten und trotzdem dabei sein wollen. Über Facebook geben sie sofort ein Echo; 762 000 Personen schreiben in wenigen Tagen mehr als 1,2 Millionen Beiträge, darunter kurze Grüße, aber auch eigene Brückenerfahrungen.

Am Sonntag nach den Gottesdiensten der unterschiedlichen Konfessionen und Gebetsmomenten verschiedener Religionen treffen sich die Teilnehmer ein letztes Mal auf dem Stephansplatz: Bevor alle auseinandergehen, halten sie noch einen Moment inne und beten für den Frieden. Doch weitere Erfahrungen des Brückenbauens lassen nicht lange auf sich warten. Marco, 22, ist einer von über 200 Schweizer Jugendlichen, die zum Genfest kamen. Auf der Rückfahrt, bei einer super Stimmung im Bus, erreicht ihn ein Anruf der Mutter, die völlig aufgelöst berichtet, dass der Vater eben ins Spital eingeliefert wurde. Er hatte einen Herzinfarkt. „Für mich war es ein ziemlicher Schock, niemand hatte damit gerechnet, mein Vater ist erst 54“, erzählt Marco. Sofort gibt er die Nachricht allen im Bus weiter. „Eine Jugendliche hat vorgeschlagen, für meinen Vater und meine Familie zu beten. Am Abend habe ich zuhause angerufen. Meine Mutter war deutlich gefasster. Ich erzählte ihr von unserem Gebet. Sie sagte: ‚Ja das habe ich gemerkt. Als ich anrief, war ich völlig neben den Schuhen. Doch dann habe ich mich ruhiger und getragen gefühlt.’“

Auch für Julia aus Österreich ging das Genfest über die Tage in Budapest hinaus: „Viele der Kontakte blieben flüchtig und es blieb nie wirklich Zeit, das Gegenüber richtig kennenzulernen. Aber am Schluss kamen die Jugendlichen aus Algerien mit uns gemeinsam nach Wien, sie flogen erst am nächsten Abend nach Hause. Wir aßen gemeinsam, sangen und tanzten, zeigten ihnen Wien und hatten dabei die Gelegenheit, uns voneinander zu erzählen. Ich lernte ein Land kennen, das sich in vielem so grundsätzlich von dem unterscheidet, was ich kenne, und dennoch waren die jungen Menschen aus diesem Land mir in so vielen Dingen ähnlich. Das hat mir gezeigt, dass es nicht darauf ankommt, welcher Religion ich angehöre, welche Sprache ich spreche oder aus welchem Land ich komme. Sondern es geht um den einen gemeinsamen Gedanken, den einer geeinten Welt.“ – Let’s bridge!

Meike Münz

1) Das erste Genfest fand 1973 in Italien statt; das in Budapest war das erste außerhalb Italiens.
2) Mehr Infos zum Projekt und wie man sich beteiligen kann unter  www.petition.unitedworldproject.org

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2012)
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