14. Januar 2013

Offen und kontaktfreudig

Von nst1

Rolf Michalak kann mit 92 Jahren von einem abwechslungsreichen, nicht immer leichten Leben erzählen. Sein Glaube an Gott hilft ihm, ganz im Jetzt verwurzelt zu sein.

Wenn er aus seinem Leben erzählt, hat das was von einer spannenden Geschichtsstunde. Rolf Michalak ist 92 Jahre alt. Er hat fast ein ganzes Jahrhundert erlebt, in dem sich die Welt schneller verändert hat als in den Jahrhunderten zuvor. So war der Gladbecker Rentner dabei, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, und musste als Soldat unter anderem nach Afrika. Er hat den Krieg und das Kriegsende, die Besatzungsherrschaft, den Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder und die Wirtschaftskrise, den Mauerbau genauso wie den Mauerfall und Europa auf dem Weg zu einer politischen Gemeinschaft miterlebt. Und er erzählt aus diesen 92 Jahren so klar und detailreich, als wäre alles gestern erst passiert.

1920 geboren, wuchs Rolf in Bochum mitten im Ruhrgebiet auf. Der katholische Glaube gehörte in seiner Familie ganz selbstverständlich dazu und in der Kirche gegenüber von seinem Elternhaus wurde Rolf genauso selbstverständlich Messdiener. Mit zehn Jahren erlebte er dort die Primiz von zwei Missionspriestern: „Mir war sofort klar, das möchte ich auch werden.“ Nach der Schule ging er deshalb zum Philosophie- und Theologiestudium nach Trier. Doch nach zwei Semestern musste er zurück nach Bochum, um seiner Familie zu helfen; der Vater war krank geworden.

Dann kam der Krieg. Rolf Michalak musste als Soldat nach Afrika. 1943 auf Heimaturlaub wollte er seine alten Kameraden im Büro eines Rüstungswerks besuchen. Aber es waren nun fast nur noch Frauen dort. Eine von ihnen, Fräulein Kröger, seine zukünftige Frau, fragte ihn nach seiner Zeit in Afrika. „Sie hatte ein schwarzes Kleid an mit einem roten Kragen“, erinnert sich Rolf auch heute noch, als wäre es gestern gewesen, „und ich sagte zu ihr: ‚So wie Ihr roter Kragen, so ist manchmal die Wüste in Afrika’.“

Madeleine Kröger war evangelische Christin. In ihrer Familie „durfte“ Rolf erfahren, dass der Glaube in wichtigen Dingen gleich war. „Wir haben lange überlegt, wie wir heiraten, katholisch oder evangelisch?“ Keine leichte Überlegung für die beiden, denen ihr Glaube viel bedeutete, und in einer Zeit, in der es Katholiken noch verboten war, sich evangelisch trauen zu lassen. Sie haben sich trotzdem für eine evangelische Trauung entschieden. Sie wussten ja nicht, ob Rolf aus dem Krieg zurückkehren würde. Und wenn Madeleine mit Kindern allein bleiben müsste, sollte sie diese nicht katholisch erziehen müssen, sondern in dem Glauben, der ihr vertraut war.

So heirateten Madeleine und Rolf schließlich in Pommern; dorthin waren Rolfs schulpflichtige Brüder wegen der Bombardierungen verschickt worden. Madeleine und ihre Mutter hatten sie begleitet, weil Rolfs Mutter die Familie nicht allein zurücklassen konnte. Sie reiste nur für die Hochzeit aus dem Ruhrpott an; dass diese in einer evangelischen Marienkirche stattfand, hatte Rolf ihr vorher nicht verraten. „Wir haben dann unser ganzes Leben lang in beiden Kirchen gelebt, sind jeden Samstag in die Vorabendmesse und sonntags in den evangelischen Gottesdienst gegangen.“ Da er nach katholischer Ansicht nicht rechtmäßig verheiratet war, verzichtete Rolf auf die Eucharistie. Madeleine merkte, dass ihr Mann unter der Situation litt, und suchte das Gespräch mit dem katholischen Pfarrer. Der Pfarrer bot den beiden sofort eine zweite Hochzeit an. Rolf und Madeleine sagten noch einmal heimlich „Ja“, diesmal katholisch.

Mitte der 80er-Jahre ist Rolf mit seiner Frau das erste Mal zu einer Veranstaltung derFokolar-Bewegung eingeladen. Auf dem Rückweg zieht der gläubige, als Steiger in einer Zeche arbeitende Mann ein erstes Fazit aus dieser Begegnung: „Eigentlich hat mir das ja gut gefallen, aber die machen ja Seelenstriptease! Ich glaube, in diesem Club werde ich nicht alt.“ Von seinen Erfahrungen im Leben mit Gott zu sprechen, war völlig neu und ungewohnt für Rolf. „Ich hab über alles reden können,“ erklärt der rüstige Mann im Rückblick und deutet dann auf seine Brust, „aber was hier drin war, das ging doch keinen etwas an.“

Aber Rolf Michalak wirft nicht gleich das Handtuch, wenn ihm etwas schwerfällt. Und dieser gemeinschaftliche Lebensstil, den er da erlebt hatte, hatte ihn doch beeindruckt. „Mit der Zeit habe ich dann gesehen, wie viel das anderen geben kann, wenn man seine Erfahrungen und Gedanken miteinander teilt,“ erklärt er. Nach einer Weile schloss sich Rolf den „Freiwilligen“ in derFokolar-Bewegung an. Sie wollen mitten in der Gesellschaft Zeugnis von ihrem Glauben geben, Beziehungen leben, die auf der Liebe des Evangeliums gründen.

Vor sechs Jahren starb Madeleine. Auch in den Jahren zuvor brauchte sie viel Pflege. Rolf kümmerte sich liebevoll um seine Frau. Oft konnte er deshalb nicht an Begegnungen derFokolar-Bewegung teilnehmen, sein geistliches Leben aber ließ er nicht ruhen. Er las viele Bücher und Texte, die ihn im Glauben bestärkten und versuchte, die persönlichen Beziehungen zu pflegen. Die Freiwilligen, mit denen sich Rolf einmal in der Woche zum sogenannten „Kernkreis“ trifft, um sich über das Leben des Evangeliums im Alltag auszutauschen, kommen seitdem zu ihm ins Haus. „Offen und ehrlich“, so beschreibt Rolf ihre „intensive und schöne Verbindung.“

Rolf Michalak pflegt seine Kontakte regelmäßig. Davon kann ihn auch seine zunehmende Sehschwäche nicht abhalten. Er findet Mittel und Wege. Dass er nicht abwartet, sondern auf andere zugeht, das hat schon viele überrascht; genauso wie seine Treue in den Kontakten und Freundschaften. So auch zu der Familie seines inzwischen verstorbenen Kernkreis-Freundes. „Rolf ruft jeden Freitag an und fragt, wie es der Familie geht“, erzählt dessen Tochter Gudrun Maxelon. „Und wenn ich nicht da bin, spricht er mit den Kindern.“ Ein Mensch, der Brücken baut, so kennzeichnet sie ihn deshalb.

Die Menschen, denen er begegnet ist, begleitet Rolf Michalak so lange und so gut es ihm möglich ist. Auch seine ehemaligen Haushaltshilfen. Die beiden Schwestern bosnischer Herkunft ruft er ebenfalls jede Woche an. Und es war gar keine Frage, dass er mit 90 Jahren auch zur Hochzeit einer der beiden nach Bosnien flog. Viele Bilder und Andenken, die Rolf in einer Ecke seines Wohnzimmers aufgestellt hat, helfen ihm, seine Familie – zwei Söhne und drei Enkelkinder – und andere Menschen lebendig vor Augen zu halten.

Mit 92 Jahren ist Rolf Michalak körperlich noch fit, nur die Augen machen nicht mehr so ganz mit. Aber dafür hat er seine große Lesemaschine, an der Rolf jeden Tag mehrere Stunden verbringt. Und auch wenn er nur noch schlecht sieht, einen liebevollen Blick auf die Welt hat Rolf sich dennoch bewahrt. Dass sich dabei trotz des abwechslungsreichen und nicht immer einfachen Lebens keinerlei Verbitterung breitmachen konnte, verwundert seine Besucher. Wach und immer interessiert an allem, vor allem aber an den Menschen, mit denen er es gerade zu tun hat, scheint er ganz im Jetzt zu leben – der Vergangenheit jedenfalls hängt er nicht nach.

Meike Münz

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November 2012)
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