Dialog lässt sich nicht einfordern
Die Rolle der Frau, die Bedeutung des Islam, sexueller Missbrauch in der Kirche, das Selbstverständnis der Fokolar-Bewegung: Maria Voce, seit 2008 deren Präsidentin, spart in einem neuen Interview-Buch 1) aus dem Verlag Neue Stadt kein Thema aus. Warum Dialog führen, wie und mit wem? Darum geht es in dem Ausschnitt, den wir hier veröffentlichen.
Ist die Fokolar-Bewegung eigentlich konservativ oder progressiv? Steht sie rechts oder links?
VOCE: Als Bewegung, die in ständiger Entwicklung ist, haben wir uns immer zu fragen, was unsere Identität ausmacht. Eines bleibt auf jeden Fall: Wir möchten Menschen sein, die aus dem Evangelium leben, mit einer entsprechenden Radikalität; wir möchten die Möglichkeit nutzen, heute aus der Begegnung mit Jesus zu leben wie seinerzeit die Apostel, und mithelfen, dass viele andere diese Erfahrung machen können.
Es geht darum zu leben, und da scheinen mir Kategorien wie „rechts oder links“, „progressiv oder konservativ“ ausgesprochen partiell und einseitig. Wir möchten keine Gruppe sein, die nur entstanden ist aus dem Evangelium, sondern eine Gemeinschaft, die immerfort aus dem Evangelium neu geboren wird und sich seine Botschaft als charakteristischen Lebensstil zu eigen gemacht hat. Ein solches Leben nach dem Evangelium ist übrigens nicht gebunden an eine bestimmte konfessionelle Zugehörigkeit, auch wenn diese natürlich ihre Bedeutung und Auswirkung hat.
Wie reagiert man in der Bewegung, wenn sie Zielscheibe von Kritik wird?
VOCE: Wenn jemand uns kritisiert, sage ich mir: „Also gut, jetzt sehr gut hinhören; vielleicht ist irgendetwas zu verbessern.“ Auch dies ist eine Weise, „sich einszumachen“: den anderen zuhören, aufnehmen, was positiv daran ist bzw. fruchtbar werden kann, ohne uns jedoch über Gebühr von solchen Beobachtungen gefangen nehmen zu lassen.
Damit will ich sagen: Man kann nicht immer gleich alle Fehler und Widersprüchlichkeiten ausmerzen. Und es ist auch nicht immer angebracht, gegen diese oder jene Extremposition Stellung zu beziehen oder sich zu rechtfertigen. Wir können Rede und Antwort stehen, unsere Meinung darlegen, und anderen alle Freiheit lassen zu sagen, was sie sagen möchten, ohne zu meinen, wir müssten irgendwen überzeugen.
Ich muss allerdings auch sagen, dass ich mir nicht sicher bin, ob wir tatsächlich immer fähig sind, Kritik zuzulassen, sie anzuhören und zu beherzigen. Da ist von allen in der Bewegung eine größere Aufmerksamkeit verlangt.
Mit dem Zweiten Vatikanum hat die katholische Kirche die Bedeutung des Dialogs herausgestellt, den Dialog in der eigenen Kirche, das ökumenische Gespräch, den interreligiösen Dialog sowie den Dialog mit Menschen nichtreligiöser Weltanschauungen. Die Fokolar-Bewegung sieht diese Dialoge als ihre besonderen Aufgaben. Warum soll man Dialog führen? Reicht nicht der Glaube an Christus?
VOCE: Als Christen haben wir die Perspektive Jesu im Blick, der den Vater um die Einheit aller gebeten hat, damit die Welt glaubt. Wenn wir an Christus glauben, machen wir uns seine Sendung zu eigen, sein Ziel, und arbeiten dafür. Wenn ich zum Ziel hätte, dass ich gerettet werde, würde es genügen, an Christus zu glauben. Aber da ich mir sein Ziel zu eigen gemacht habe: „ut omnes unum sint“ (dass alle eins seien), kann ich mich damit nicht zufrieden geben. Ich muss alle im Blick haben und den Dialog suchen!
Wenn eine verengte Ausrichtung des Glaubens auf Jesus Christus allein dazu führt, dass der Schöpfer und Vater aller Menschen sowie der alles durchwirkende Geist in den Hintergrund rücken, ist ein interreligiöser Dialog kaum möglich. Wie sehen Sie das?
VOCE: Manchmal könnte der Christozentrismus wie ein „Christomonismus“ wirken: Der Vater und der Geist scheinen kaum vorzukommen. Doch wenn einer wirklich Christ ist, dann glaubt er, dass Jesus Christus uns Gott als Liebe offenbart hat, als dreifaltige Liebe! An Christus zu glauben heißt an die Liebe Gottes zu glauben, die Jesus Christus uns durch den Heiligen Geist offenbart hat, und dies den Menschen zu vermitteln. Und diese göttliche Liebe lässt uns eintreten in die dreifaltige Dynamik der Liebe. Diese Dynamik möchten wir bezeugen und weitergeben.
Dialog mit allen – wie soll das möglich sein?
VOCE: Ist es möglich, alle zu lieben? Ja, das ist möglich! Ist es möglich, mit allen Dialog zu führen? Ich würde sagen, nein. Denn um mit jemand in Dialog zu treten, muss auch der andere den Wunsch dazu haben. Dialog ist immer „bilateral“: Zwei wollen einander begegnen und ins Gespräch kommen über das, was sie sind, was sie haben, was sie denken – in gegenseitiger Offenheit und auf Augenhöhe. Andernfalls handelt es sich nicht um Dialog. Man kann den Dialog nicht einmal einfordern, man kann nur die eigene Bereitschaft zum Dialog signalisieren.
Was wir tun können, ist zu versuchen, jeden und alle zu lieben, wie Jesus es getan hat, wie auch der himmlische Vater uns alle geliebt hat.
Dialog ohne Liebe wäre demnach undenkbar?
VOCE: Ja, genauso ist es. Die Grundlage des Dialogs ist die Liebe. Ohne Liebe kann man vielleicht verhandeln, aber keinen Dialog führen in dem Sinn, dass man in einen wirklichen und aufrichtigen Austausch über das, was man ist, eintritt.
In der Ökumene scheint sich eine gewisse Resignation breit zu machen. Geht da alles zurück?
VOCE: Es wäre schöner, wenn man sagen könnte: „Alles geht weiter!“ Als Kirche – ich spreche jetzt als Katholikin – und als Bewegung haben wir eine bestimmte Entwicklung durchgemacht: von einer Zeit der Gleichgültigkeit gegenüber dem Problem zu einer Phase der Begeisterung, des Aufbruchs. Die Einheit der Christen schien in greifbarer Nähe zu sein. Jetzt hingegen werden wir uns stärker bewusst, worum es bei der Ökumene geht, welche Schwierigkeiten es gibt; wir entdecken Unterschiede, die wir bisher nicht vermutet haben oder nur oberflächlich kannten. Je weiter wir im ökumenischen Dialog vorangingen, auch innerhalb der Bewegung, desto mehr sind wir uns der Unterschiede bewusst geworden.
Dennoch glaube ich, dass wir das Auftauchen von Schwierigkeiten nicht pessimistisch sehen dürfen. Ein gangbarer Weg liegt trotz des Wissens um die Differenzen vor uns. Wir haben den Wunsch, so bald wie möglich den „einen Kelch“ zu erreichen. Diese Spannung berührt uns zutiefst, denn als Christen begreifen wir uns nun einmal als Teil ein und derselben Wirklichkeit. Die gegenwärtige Phase scheint mir ein unumgänglicher Durchgang zur Einheit zu sein, ein historischer Augenblick, der neue, fruchtbare Entwicklungen ankündet.
Es scheint sich alles auf die Amtsfrage und ethische Fragen zu konzentrieren, Stichwort Priestertum der Frau und Sexualmoral. Sind diese Probleme lösbar?
VOCE: Sie mögen unüberwindlich erscheinen, doch das glaube ich nicht. Ich denke, um zu einer Klärung zu gelangen, müsste man zu den Wurzeln der aktuellen, historisch gewachsenen Divergenzen gehen, auf das Wesen unseres gemeinsamen Glaubens an Jesus Christus schauen. Es gilt ehrlich zu prüfen, was uns die authentische, originäre christliche Lehre nahelegt. Und dies primär durch eine biblische Vertiefung, vor allen soziologischen, psychologischen oder anthropologischen Ansätzen. Wir müssten uns wieder die Haltung der Demut aneignen im Hören auf das Wort Jesu in der Heiligen Schrift, auf die Lehre der Kirchenväter, die jeweiligen kirchlichen Traditionen.
Hilfreich für eine derartige vergleichende Vergewisserung könnte durchaus die Zugehörigkeit etwa zu einer Bewegung wie der unseren sein. Mir scheint, dass das Charisma der Einheit nicht nur methodisch erhellend sein kann, sondern auch helfen könnte, um sich in der Gesinnung, im Denken Christi zu treffen. Dies wäre übrigens nicht eine Art kleinster gemeinsamer Nenner. Jedenfalls stehen wir vor großen Herausforderungen …
Paolo Lòriga, Michele Zanzucchi
1) Maria Voce, Für eine Kultur des Vertrauens. Im Gespräch mit der Präsidentin der Fokolar-Bewegung, Verlag Neue Stadt, München 2013.
Maria Voce
wurde 1937 in der süditalienischen Region Kalabrien geboren. Als Studentin lernte sie 1959 in Rom die Fokolar-Bewegung kennen. Sie wurde die erste Rechtsanwältin der Stadt Cosenza und lebte später in Sizilien und Istanbul. Voce arbeitete eng mit Chiara Lubich zusammen, die ihr den Beinamen „Emmaus“ gab. 2008 wurde sie zu Lubichs Nachfolgerin als Präsidentin der Fokolar-Bewegung gewählt. Seit 2009 ist sie Beraterin des Päpstlichen Rates für die Laien. Nachdem sie im letzten Jahr Österreich und die Schweiz besucht hat, kommt sie im Mai 2013 für mehrere Wochen nach Deutschland.
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai 2013 )
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