Man suchte jemanden für seine Stelle.
Erfahrungsberichte
Man suchte jemanden für seine Stelle.
Loyal und ehrlich hatte er gearbeitet – über viele Jahre hinweg. In einer Sitzung im engsten Mitarbeiterkreis hatte er Dinge benannt, die – für alle offensichtlich – nicht optimal gelaufen waren. Das hatte ihm sein Chef übel genommen. Er hatte es ihm sogar als fehlende Loyalität ausgelegt, ohne das jedoch direkt zu sagen.
Nun kam er zu mir zu Besuch. Als ich ihn am Bahnhof abholte, scherzten wir wie gewohnt, aber schon bald war diese schwere berufliche, menschlich total belastende Situation Thema unseres Gespräches. Hintenherum hatte er mitbekommen, dass bereits ein neuer Mann für seinen Posten gesucht wurde. Interessenten waren schon angesprochen worden. Ihm aber sagte niemand etwas davon. Es war auch klar, dass er in den nächsten Wochen seinen Chef aufgrund vieler internationaler beruflicher Verpflichtungen nicht würde sehen können. So belastete ihn diese Situation sehr.
Was konnte ich tun?, fragte ich mich immer wieder. Wie konnte er noch tiefer mein Mit-Sein, mein Bruder-Sein spüren? Zuerst wohl vor allem, indem ich die Situation mit ihm gemeinsam aushielt.
Und dann kamen mir viele kleine Dinge: Ich kaufte ein paar ganz leckere Süßigkeiten. Am Tag seiner Abreise musste er früh zum Zug; meine Nacht war kurz gewesen und ich hatte nur knapp drei Stunden geschlafen, aber ich stand auf und bereitete einen Kaffee. Ich spürte: Damit konnte ich ihm mein Mitleben ausdrücken. Ich fuhr ihn noch zum Bahnhof. Wir versprachen einander unser Gebet. Tage später kam eine Mail: „Ich bedanke mich für die schönen, brüderlichen Tage!”
I.O.
Wie ich hatte auch sie keine Mutter mehr.
Auf dem Heimweg von der Schule sah ich auf der Straße ein Mädchen, das verzweifelt weinte. Ich fragte mich, was ihr wohl passiert sei. Ohne zu zögern ging ich zu ihr hin und fragte sie, was los sei und ob ich ihr irgendwie helfen könne. Sie schaute mich an und begann mir unter Schluchzen ihre Geschichte zu erzählen: Als kleines Mädchen hatte sie ihre Mutter verloren. Und dieser Schmerz war immer noch sehr stark; sie dachte, ihr Leben hätte keinen Sinn.
Also habe ich alle meine Programme zurückgestellt, um nur an sie zu denken, bei ihr zu bleiben und ihr beizustehen. Unser Gespräch ging weiter und ich habe ihr von mir erzählt. Auch ich hatte mit drei Jahren die Mutter verloren. Mit der Zeit hatte ich aber verstanden, dass mein Leben nicht in diesem Schmerz stehen bleiben durfte. Durch Freunde hatte ich entdeckt, dass Gott mich unendlich liebt, mir Vater ist. Diese Liebe hatte jede Leere in meinem Leben ausgefüllt. Ich erzählte ihr, wie ich versuchte, auf diese Liebe Gottes zu antworten, indem ich auf andere zuging, versuchte, ihnen Gutes zu tun und sie liebte, wie Jesus uns das gezeigt hat.
Meine neue Freundin beruhigte sich nach und nach; am Schluss wirkte sie fast glücklich und dankte mir. Bei unserer Verabschiedung schien sie wie verwandelt.
Für mich war diese unvorhergesehene Begegnung sehr wichtig. Ich habe gesehen, dass die Erfahrung mit Gott, unserem besten Freund, mich nicht nur glücklich gemacht hat, sondern mich befähigt, dieses Glück auch anderen zu bringen.
B.A.
Genau da kam der Bus!
Eines Abends wartete ich nach einem anstrengenden Arbeitstag auf meinen Bus. Ich war sehr müde und wollte schnell nach Hause. Die Bushaltestelle war ziemlich überfüllt, aber ich fand noch einen Platz auf der Sitzbank. Da setzte sich eine junge Frau neben mich, die energisch mit jemandem in Englisch telefonierte. Plötzlich sprach sie mich an und fragte mich, wie diese Bushaltestelle hieß. Ich antwortete und sie telefonierte weiter.
Da sie anscheinend nicht weiterkam, fragte sie mich, ob ich mit ihrer Bekannten am Handy sprechen könnte. Genau in dem Moment, in dem ich ihr Handy entgegennahm, sah ich meinen Bus kommen. Im ersten Augenblick hätte ich ihr das Telefon am liebsten wieder zurückgegeben und gesagt: „Sorry, ich muss auf den Bus.“ Dann jedoch sagte mein Gefühl, dass dies nicht in Ordnung wäre, und wie ich mich kannte, hätte ich im Nachhinein wohl ein schlechtes Gewissen. Also sprach ich mit ihrer Freundin, die wissen wollte, wo genau wir uns befänden, damit sie ihre ausländische Freundin abholen könne. Ich erklärte ihr unseren Standort und gab der jungen Frau ihr Handy zurück. Mein Bus war längst weg. Sie bedankte sich sehr und erzählte mir, dass sie von den Philippinen stamme. Wir plauderten noch ein wenig über die Unterschiede der beiden Länder und was ihr an der Schweiz gefalle. Nach etwa fünf Minuten tauchte ihre Freundin auf. Auch sie bedankte sich bei mir und die beiden zogen los. Ich wartete weiter auf meinen Bus. Ich war zufrieden mit mir selbst und auch nicht mehr so gestresst wie vorher. Manchmal muss man den Moment so nehmen, wie er kommt, und das ist nicht immer so wie geplant, dachte ich mir. Ich spürte jedenfalls, dass es gut gewesen war, für diese junge Philippinin da zu sein. Im Alltag. In einer ganz einfachen, normalen Situation. Mein Bus kam und ich stieg mit einem Lächeln ein.
I. I.
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai 2013)
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