27. Januar 2014

Allein schaffen sie es nicht!

Von nst1

Der Super-Taifun Haiyan traf die Philippinen am 8. November mit voller Wucht. Über 5 700 Tote, total verwüstete Städte, Plünderungen – so die traurige Bilanz. Und daneben: eine unglaubliche Welle der Solidarität, vor Ort und weltweit.

„Die Leute hängen sich voll rein, teilen, packen zusammen, was sie haben. Weihnachtsfeiern in Firmen werden reihenweise abgesagt und das eingesparte Geld geht an die Flutopfer. Alle tun, was sie können. Das ist wirklich beeindruckend! Aber allein werden sie den Aufbau nicht schaffen!“ – Diese Einschätzung über die Lage auf den Philippinen stammt von Karin Bitzkowski. Die Augsburger Anästhesistin und Notärztin ist Anfang Dezember gerade von einem knapp dreiwöchigen Aufenthalt auf den Philippinen zurückgekommen. Seit sie 1989 ein Jahr in dem Sozialzentrum „Bukas Palad“ der Fokolar-Bewegung in der Hauptstadt Manila mitgearbeitet hatte, kehrt sie jedes Jahr für ein paar Wochen dorthin zurück. Auch in diesem Jahr war die Reise schon lange geplant; „durch einen komischen Zufall“ lag der Abflug nun genau eine Woche, nachdem der Taifun Haiyan am 8. November eine der ärmsten Regionen des Landes getroffen und die Stadt Tacloban sowie Teile der Inseln Leyte, Panay und den Norden von Cebu fast vollständig verwüstet hat.
Und obwohl Karin Bitzkowski nicht direkt in die betroffene Region kam, „war der Taifun Dauerthema: Die Fernsehsender brachten von morgens bis abends Nachrichten, Analysen und Diskussionen. Und die Angehörigen der Fokolar-Bewegung haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu helfen.“ Man hört Karin Bitzkowski die Betroffenheit an:

„Es ist heftig, was da abgeht. Da steht kein Stein oder besser: kein Bambusstab mehr auf dem anderen. Häuser, wie wir sie kennen, gibt es ja kaum.“

Auch wenn die zuständige nationale Behörde PAGASA den Super-Taifun Yolanda, wie er in den Philippinen benannt wurde, schon drei Tage vorher angekündigt hatte – „sogar als etwas sehr Ernstes, Großes, noch nie Dagewesenes“ – hat man ihn dann doch unterschätzt. So hatte man zwar in Tacloban Menschen evakuiert und in staatliche – scheinbar sichere – Gebäude gebracht, „aber in den unteren Stockwerken waren die Menschen dann eingeschlossen und sind in den Wassermassen umgekommen!“ Und dabei ist die Region durchaus taifunerprobt, wie auch Karin Bitzkowski weiß, vom Sommer bis Ende November ist sie Einflugschneise der Stürme, die jedes Jahr dreißig Mal und öfter vom Pazifik her ins Land drücken. „Deshalb sind die Leute das in gewisser Weise gewohnt. Da fliegt schon mal ein Wellblechdach weg oder Bambuswände werden eingedrückt“, erzählt die Ärztin, „aber so schnell wie die weg sind, sind sie dann normalerweise auch wieder aufgebaut.“

Mit Haiyan war es anders: „Nun ist alles weg – Häuser, Einrichtung, sogar Autos haben die Wellen weggespült. Damit sind auch die Arbeitsplätze weg; es gibt keinen Baumarkt, wo du hingehen kannst und etwas einkaufen, du kriegst keinen Zement, kein Baumaterial! Du kannst nichts machen!“, beschreibt Bitzkowski nüchtern, aber anschaulich die Lage vor Ort. In Tacloban auf der Insel Leyte steht weder das Rathaus noch die Kirche, „und das sind ziemlich standhafte Bauten. Die Menschen dort haben alles verloren – auch Dokumente, Pass, Lebensversicherungen, Urkunden. Insbesondere die Urkunden für den Landbesitz“, ergänzt Bitzkowski. Weil auch das Katasteramt zerstört ist, „herrscht, was Landbesitz betrifft, Chaos“. Und weil es keine digitalen Daten gibt, kann kaum einer nachweisen, welches Grundstück ihm gehört. Selbst nach den Aufräumarbeiten und wenn die Infrastruktur vor Ort wieder einigermaßen funktioniert: „Bauen kann man dort erst mal vergessen.“
Auch Ende November sitzt der Schock noch tief. Die Verantwortlichen der Fokolar-Bewegung in Cebu erzählen:

„Tagelang hörten wir nichts von unseren Freunden in der betroffenen Region. Dann meldeten sich einige, dass sie noch am Leben sind.“

Sie machten sich dann vor Ort auf die Suche nach Nachbarn und Freunden. Inzwischen trug man in Cebu zusammen, was man hatte, und schon am Tag nach dem Taifun fuhren Angehörige der Bewegung los, um Hilfe zu bringen. Doch sie mussten umkehren, weil die Straßen unpassierbar waren. Zwei Jugendliche fuhren auf einem Boot der Küstenwache mit und kamen statt nach sechs nach 18 Stunden in Tacloban an. Dort gingen sie von Haus zu Haus, vorbei an den Toten auf den Straßen, den von Plünderern ausgeraubten Läden und total zerstörten Häusern, um Freunde zu finden.
Nach und nach trafen in Cebu immer mehr Nachrichten aus den am stärksten betroffenen Regionen ein: überall versuchen die Freunde der Bewegung für die Menschen in ihrem Umfeld da zu sein. So berichten Pepe und Marina von der Insel Leyte, dass einer ihrer Nachbarn dringend Benzin brauchte. Spontan gaben sie ihm das wenige, das noch im Auto von Pepe war. Erst danach fragten sie sich, wie sie selbst sich nun bewegen und anderen helfen sollten. Am nächsten Tag kam unerwartet ein Cousin, der beschlossen hatte, die Region erst einmal zu verlassen. Er überließ Pepe bis zu seiner Rückkehr seinen Lieferwagen.

Inzwischen trifft in Cebu auch Unterstützung von Fokolargemeinschaften aus der ganzen Welt ein. Vor allem die Jugendlichen und ihre Freunde arbeiten fieberhaft bei der Verteilung, insbesondere dort, wo die offizielle Hilfe nicht hinkommt. Obwohl es ziemlich gefährlich war, brachen sechs Jugendliche auf einem Schiff nach Ormoc auf, zwei Stunden von Tacloban entfernt. Dort verteilten sie ihre Hilfsgüter, aber als sie nach Cebu zurück wollten, war das Schiff bereits abgefahren. 7 000 Menschen warteten im Hafen auf das nächste. Erst nach einem Tag und einer Nacht im Hafen bekamen sie Fahrkarten – geschenkt von einem Bekannten, der sich auf diese Weise für ihren Einsatz und die Hilfe bedanken wollte! Hinterher erzählten die Jugendlichen:

„Nur durch die Liebe zum Nächsten gelang es uns, Angst, Müdigkeit, Ungewissheit, Hunger, Durst und wechselnde Gefühle zu überwinden.“

Viele Menschen haben die am meisten zerstörten Gebiete erst einmal verlassen. „Die meisten wurden vom Militär nach Manila ausgeflogen“, berichtet auch Karin Bitzkowski. In der Hauptstadt mit 12 Millionen Einwohnern müssen sie nun sehen, wo sie unterkommen. „Aber die Philippinos sind Familienmenschen und einen Verwandten haben sie überall – so rückt man erst einmal zusammen.“
Auch – oder gerade erst recht – in den Slumgebieten der Metropole. „Es ist ein armes und leider auch noch sehr korruptes Land“, so die Augsburger Ärztin. „Politik ist ein Wirtschaftsunternehmen, und um eine Wahl zu gewinnen, musst man viel Geld investieren, das man sich hinterher natürlich irgendwie zurückholt.“ Deshalb freut sie sich, dass die meiste Hilfe über internationale Organisationen direkt und sicher bei den Betroffenen landet.
Nicht zu unterschätzen sei die Unsicherheit der Menschen. „Die hatten Todesangst!“, unterstreicht Bitzkowski. „Und irgendwelche kostspieligen Hightech-Wellenbrecher wird sich das Land auch in Zukunft nicht leisten können. Es ist ein Dritte-Welt-Land.“ Die Angst, dass so etwas wieder passieren wird, lebt deshalb wohl in Zukunft mit. Wie viele der evakuierten Menschen wieder in ihre Heimat zurückkehren oder aber Angebote zur Emigration – etwa nach Kanada – annehmen, bleibt deshalb ungewiss.

Auch unter den Angehörigen der Fokolar-Bewegung auf dem Archipel mit mehr als 7 000 Inseln sammelt man im Moment erst einmal Geld, um vor allem den Jugendlichen, die nach Manila wollen, eine Fahrkarte kaufen zu können, damit sie dort arbeiten, studieren oder zur Schule gehen können. Auch Lebensmittel und Kleidung teilen die Menschen großzügig. „Was sie aber nicht aus eigener Kraft schaffen können“, so ist Bitzkowski überzeugt, „ist der Wiederaufbau. Nächstes Ziel ist das Renovieren der Häuser in Panay und Aklan, Inseln im Gebiet Visayas. Dort steht noch genügend Infrastruktur, um das schnell durchzuziehen.“ Sie freut sich deshalb, dass sie vor ihrem Abflug von vielen noch Geld zugesteckt bekam, das sie für diesen Zweck dort lassen konnte.
Gabi Ballweg

Super-Taifun Haiyan
Der Taifun hat am 8. November 2013 eine der ärmsten Regionen der Philippinen getroffen. In der Provinz Leyte leben mehr als 1,7 Millionen Einwohner, fast 32 Prozent in Armut. Leyte ist mit rund 5 700 Quadratkilometern eine der größten Provinzen in der Region Visayas. Hauptstadt der bergigen Provinz ist Tacloban City mit rund 220 000 Einwohnern. Manila, die Hauptstadt der aus gut 7 000 Inseln bestehenden Philippinen, liegt mehr als 570 Kilometer Luftlinie entfernt Richtung Nordwesten.
Dort, wo „Haiyan“ mit einem Durchmesser von 600 Kilometern zuerst auf Land traf, steht kaum noch ein Haus. Nach bisherigen Schätzungen starben über 5 700 Menschen in den meterhohen Wellen.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2014)
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