27. Januar 2014

Zu jung für die Diplomatie?

Von nst1

Offener Brief an: Sebastian Kurz, österreichischer Außenminister

Sehr geehrter Herr Kurz,

jüngstes Mitglied der österreichischen Regierung, jüngster Minister in der Geschichte der Zweiten Republik, aktuell jüngster Außenminister der EU-Staaten: Die Superlative überschlagen sich! Und sogleich ziehen politische Beobachter die Stirn in Falten: Hat er genug Erfahrung, wie steht es um sein diplomatisches Geschick? Ist er zu naiv für das internationale Parkett, zu sehr jugendlicher Draufgänger?
Als dieser Brief entsteht, ist die Nachricht, Sie werden „Bundesminister für Integration, Europäische Angelegenheiten und Äußeres“, keine 24 Stunden alt. Also: Herzlichen Glückwunsch!

Es sieht so aus, als hätten Sie in den letzten fünf Jahren politisch schon einiges bewegt und einen gewissen Reifungsprozess durchgemacht. Ich denke an eine Werbekampagne 2009 mit der JVP (Junge Österreichische Volkspartei) für einen 24-Stunden-Betrieb der Wiener U-Bahn: Geschmacklos und sexistisch, urteilten Kritiker. Ein Jahr später aber, nach einer Volksbefragung, fuhren Linien an Wochenenden und Feiertagen nachts durchgehend! Ich denke an Ihren Aufmerksamkeit heischenden Wahlkampfslogan „Schwarz macht geil“ samt „Geilomobil“ zur Landtags- und Gemeinderatswahl 2010 in Wien. Da wundert es wenig, dass Ihre Ernennung zum Integrationsstaatssekretär erstmal ziemlich umstritten war.

„Integration durch Leistung“ ist Ihre Devise: Sie wollen Menschen nicht nach Herkunft oder Religionszugehörigkeit beurteilen, sondern nach Charakter und Bereitschaft, sich in Bildung, Beruf und Ehrenamt anzustrengen. Sie haben viele Vorschläge zur Integration eingebracht, ein „Dialogforum Islam“ ins Leben gerufen, ein neues Gesetz erwirkt, mit dem gut integrierte Ausländer schneller österreichische Staatsbürger werden können. Ob das reicht, um die Lage von Ausländern wirklich zu verbessern? Müssten Sie nicht auch stärker gegen Rassismus und Diskriminierung Stellung beziehen? Es heißt, Sie hätten die Debatte versachlicht. Verbale Ausrutscher jedenfalls hat man nicht mehr gehört; Sie treten seriös, eloquent, fesch gestylt und charmant auf.

Jungspund, Milchbubi, Abiturient: Peinlich, mit welchen Klischees Ihnen einige politische Gegner begegnen! Sicher, eine große Verantwortung lastet auf Ihren Schultern: Sie vertreten Österreich und seine Interessen nach außen. Sicher, Sie bringen nicht die politische Erfahrung eines „alten Hasen“ mit. Mit Ihrer Jugend verbinde ich aber auch Hoffnungen: dass Sie der Außen- und Europapolitik neue, unkonventionelle Impulse geben; dass Sie mit den Kollegen anderer Staaten vorurteilsfreier verhandeln als alte Routiniers. Fettnäpfchen vermeiden und sich nicht über den Tisch ziehen lassen: Dabei muss Ihnen Ihr Mitarbeiterstab mit seiner Erfahrung helfen.

Man wirft Ihnen vor, in der Integrationspolitik problematischen Themen ausgewichen zu sein. Im neuen Amt werden rasch auch heikle Entscheidungen auf Sie zukommen. Ich wünsche Ihnen dann Mut und das richtige Händchen dafür!
Nicht nur für Ihre Partei sind Sie ein Hoffnungsträger: Sie geben Ihrem Land und seiner neuen Regierung insgesamt ein junges, unverbrauchtes Gesicht! Sie haben das Zeug, bei der jungen Generation ein neues Interesse an Politik zu wecken! Beides kann Österreich nur gut tun.

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr
Redaktion NEUE STADT

Unser offener Brief wendet sich an Sebastian Kurz, 27, seit 12. Dezember 2013 designierter Außenminister Österreichs. Der Wiener trat 2003 in die Jugendorganisation der ÖVP (Österreichische Volkspartei) ein und wurde 2008 deren Bundesobmann. Seit April 2011 war Kurz Staatssekretär für Integration im Innenministerium. Ein begonnenes Jurastudium hat er ruhen lassen.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2014)
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