16. September 2014

Das Dilemma

Von nst1

Offener Brief an Ursula von der Leyen, deutsche Verteidigungsministerin

Sehr geehrte Frau von der Leyen,

Waffen liefern? Eingreifen? Militär schicken? Fragen, die sich mit dem martialischen Auftreten der Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) im Irak mit neuer Dringlichkeit gestellt haben. Sie haben mit der Regierung diese Entscheidungen zu treffen und mitzutragen, sind also nicht zu beneiden!

Die USA hat mit Militäreinsätzen zuweilen mehr Schaden angerichtet als Frieden wiederhergestellt. Auch der Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan hat nicht das erwartete Ergebnis gebracht. Daher lehnt ein großer Teil der Bevölkerung Auslandseinsätze der Bundeswehr verständlicherweise ab. Was für Sie großen öffentlichen Druck bei Ihren Erwägungen bedeutet!

Das Nein zu Auslandseinsätzen heißt: Wir haben verstanden, dass sich Konflikte nicht mit Waffen lösen lassen. Es heißt aber auch: Wir sind nicht bereit, das Leben unserer Soldaten zu riskieren, selbst dann nicht, wenn IS-Kämpfer Volksgruppen und Religionsgemeinschaften systematisch und äußerst brutal verfolgen. Das überlassen wir gern anderen: Die USA wird es schon richten; sollen doch die Kurden ihre Köpfe hinhalten.

Mit Waffen wollen wir sie dabei nicht unterstützen. Die sollen nicht in fremde Hände geraten, begründete die Regierung anfangs. Aber wieso hatte sie zuvor viele Rüstungsexporte in zweifelhafte Länder ohne große Skrupel bewilligt? Wer auf eine gefährliche Sicherheitslage und Menschenrechtsverletzungen in Empfängerländern hinwies, hatte zu hören bekommen, wie viele Arbeitsplätze bei uns gefährdet sind, wenn wir die Panzer und Raketen nicht liefern würden. Sind unsere Arbeitsplätze wichtiger als Menschenleben?

Dass wir uns nicht missverstehen: Ich finde es gut, die Rüstungsexporte auf den Prüfstand zu stellen und herunterzuschrauben, wie es Vizekanzler Gabriel möchte. Ich finde es richtig, möglichst keine Waffen in Kriegsgebiete zu schicken, und wenn, dann nur unter strengen Bedingungen. Aber ich sehe auch die Doppelmoral: Schnell heben wir den Zeigefinger und warnen vor Menschenrechtsverletzungen oder der Gefahr eines Völkermords. Aber sie zu verhindern, dafür tun wir nichts. Denn die Finger wollen wir uns nicht schmutzig machen. Auch nicht, wenn Unschuldige in Massen abgeschlachtet werden?

Gut, wir Zuschauer sind hilflos. Entsprechen die Informationen, die wir bekommen, der Wahrheit, oder sind sie manipuliert? Auch Sie als Teil der Regierung wirken hilflos: Deutschland hat keine langfristige Strategie, wie es in Situationen vom Typ Syrien oder Irak reagieren will. In Europäischer Union und Vereinten Nationen sind so verschiedene Interessen vertreten, dass auch sie kaum wirksam einschreiten können: So wirken EU und UN gegenüber dem diabolischen, raschen, gezielten Vorrücken der IS blass, überrumpelt, apathisch.

Um sich der IS entgegenstemmen zu können, ist ein abgestimmtes Vorgehen möglichst vieler Staaten unumgänglich. Vor allem gilt es, bei der Entwicklung einer gemeinsamen Strategie die Länder des Nahen Ostens einzubeziehen. Bitte arbeiten Sie mit Außenminister Steinmeier und Frau Merkel darauf hin! Die Zeit drängt! Und Fehler wie sie zuvor im Irak, Afghanistan oder mit Syrien unterlaufen sind, kann sich die Welt nicht noch einmal leisten.

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr
Redaktion NEUE STADT

Unser offener Brief wendet sich an die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, 55. Im Irak ermorden Kämpfer für einen „Islamischen Staat“ (IS) Jesiden, Christen und Muslime, die nicht ihrer Ideologie entsprechen. Das stellt Deutschland vor die Frage, ob und wie es auf einen Krieg in einem anderen Land reagieren und was es dabei zum Schutz wehrloser Menschen beitragen will.

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2014)
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