11. März 2015

Verbindung von Politik und Werten

Von nst1

Offener Brief an Macky Sall, Präsident des Senegal

Sehr geehrter Herr Präsident,

es stimmt leider: Die Medien in Europa berichten über afrikanische Länder, wenn ein Bürgerkrieg tobt, eine Epidemie wie Ebola ausbricht, eine Naturkatastrophe oder ein Terroranschlag passiert. Erfreuliche wirtschaftliche oder soziale Entwicklungen in Afrika machen kaum Schlagzeilen.

Sie haben Ende Januar den St.-Georgs-Orden des Dresdner Semperopernballs erhalten. Die Zeitungen zitierten einige Sätze der Laudatoren, aber WARUM Sie als „Glücksfall“ für Afrika gefeiert wurden, erklärten sie kaum. Online findet man an deutschsprachigen Nachrichten über Sie fast nur etwas über die Präsidentschaftswahlen 2012. In einer Stichwahl traten Sie gegen Abdoulaye Wade an, der mit 85 Jahren das dritte Mal kandidierte, obwohl die Verfassung nur EINE Wiederwahl zulässt. Die eindeutige Entscheidung der Wähler für Sie stuften Beobachter als Sternstunde der Demokratie in Afrika ein.

Ihr Ziel ist es, vorbildlich zu regieren. Es beeindruckt, wie wichtig Ihnen moralische Werte in der Politik sind. Sie stärken den Rechtsstaat und gehen entschieden gegen Korruption vor. Mit dem Abbau von Bürokratie vereinfachen Sie Unternehmensgründungen, mit Projekten wie dem Ausbau des Schienennetzes stoßen Sie die Wirtschaft an. Sie haben Lebensmittel- und Mietpreise gesenkt, um die Chancen armer Bevölkerungsschichten zu verbessern. Trotzdem leidet ein Großteil der Senegalesen weiter unter Armut und Arbeitslosigkeit. Vielen geht der wirtschaftliche Aufschwung nicht schnell genug. Aber Sie wagen Ungewöhnliches, um zu zeigen, dass Sie es ernst meinen: Ihr eigenes Gehalt und das der Minister haben Sie gekürzt und den Senat aufgelöst, der die Mitglieder nur mit Pöstchen und Dienstlimousinen versorgt haben soll.

Selbst Moslem, haben Sie sich um ein respektvolles Miteinander ethnischer Gruppen, aber auch von Christen und Muslimen verdient gemacht. Sie suchen den Dialog: Respekt und gegenseitige Annahme sind für Sie Ausdruck von Stärke! Ein Beispiel ist Ihr Umgang im Konflikt um die Region Casamance, der seit 1982 schwelt. Seitdem kämpft die politische Bewegung MFDC 1) für die Unabhängigkeit dieser Region, auch mit Gewalt. Vor einem Jahr hat ein Rebellenführer mit der Erklärung eines einseitigen Waffenstillstands erstaunt. Zuvor hatten Sie unter Vermittlung der Gemeinschaft Sant´Egidio mit großem Engagement die Gespräche zwischen Regierung und MFDC weitergeführt, die bereits unter Ihrem Vorgänger aufgenommen worden waren.

Der Führungsstil, der Einsatz für Ihr Land, für Demokratie, aber auch für die Beziehungen zu Europa und anderen afrikanischen Ländern verdient Aufmerksamkeit! Durch Sie bekommt Afrika  ein anderes Gesicht, als wir es von vielen Medien gewohnt sind. Wir wünschen Ihnen weiterhin eine glückliche Hand, um den Senegal auf einem friedlichen Weg, der die Bürger mitnimmt, voranzubringen.

Ihr

Clemens Behr,
Redaktion NEUE STADT

1) Mouvement des forces démocratiques de la Casamance (Bewegung der demokratischen Kräfte der Casamance)

Unser offener Brief wendet sich an Chérif Macky Sall (54), seit März 2012 Präsident der Republik Senegal in Westafrika. Sall, der Geologie studierte, war von 2001 bis 2003 Minister für Bergbau, Energie- und Wasserwirtschaft, danach Innenminister, von 2004 bis 2007 Ministerpräsident, anschließend bis 2008 Präsident der Nationalversammlung.
Der Senegal hat eine Fläche von fast 200 000 km2. Von den 13 Millionen Einwohnern ist rund die Hälfte unter 20 Jahre alt; über 90 Prozent gehören dem Islam an, der stark von toleranten Sufi-Bruderschaften geprägt ist.

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2015)
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