17. April 2015

Charakterstark in Siegestaumel und Abstiegskampf

Von nst1

Offener Brief an Jürgen Klopp, Fußballtrainer

Sehr geehrter Herr Klopp,

es herrschte gedrückte Stimmung: Sie wirkten geknickt, als der BVB nach der Hinrunde in der Bundesliga ganz im Tabellenkeller stand, haben aber nicht das Handtuch geworfen! Dem Druck der Öffentlichkeit, der Rücktrittserwartung haben Sie über eine lange Durststrecke hinweg Stand gehalten, haben weiter an sich und Ihre Mannschaft geglaubt und Ihren Spielern den Rücken gestärkt. Das hat mir imponiert! Ein starkes Zeichen, dass auch der Verein hinter Ihnen stand und „Kloppo“ nicht vorschnell als Bauernopfer vor die Tür gesetzt hat.

Im Fußballhimmel sind Sie mit Ihrer Mannschaft gewesen: 2011 und 2012 Deutscher Meister, 2012 auch Pokalsieger, in den folgenden beiden Jahren Vizemeister und 2013 im Champions-League-Finale. Nach diesem Erfolgskurs schien es nicht mit rechten Dingen zuzugehen, als die Elf in dieser Saison immer weiter abrutschte, ganz nach unten, bis auf den letzten Tabellenplatz. Aber gerade dann zeigt sich ja der Charakter einer Person oder einer Mannschaft: Wenn sie ganz oben – und wenn sie ganz unten ist. Der Charakter entscheidet sich letztlich daran, wie Team und Trainer mit den eigenen Leuten und dem Gegner umgehen: Wenn sie auf Höhenflug sind, im Siegesrausch, ob sie den Respekt gegenüber den Unterlegenen behalten oder auch noch drauf- und nachtreten. Wenn sie eine Pechsträhne erwischen, als Verlierer gefrustet sind, ob sie dem Gewinner den Sieg gönnen oder bei ihm die Schuld für das eigene Unvermögen suchen.

Sie zeigen Fairness, Ehrlichkeit anderen und sich selbst gegenüber, Respekt gegenüber der gegnerischen Mannschaft! Zumindest, wenn der erste Eifer des Gefechts vorbei, der Rauch der Erregung am Spielfeldrand verflogen ist. Sie teilen zuweilen kräftig aus; einige Ihrer Ausraster haben mich, ehrlich gesagt, auch schon entsetzt; dann wiederum sind Sie sich aber auch nicht zu schade, Schwächen und Fehler einzugestehen und um Entschuldigung zu bitten. Als Sie in den Wintermonaten ganz unten waren, wirkten Sie geläutert, aber nicht gescheitert, angezählt, aber nicht ohne Hoffnung.

Was mich fasziniert: dass Sie ganz nah dran sind am Volk, an den Fans, geerdet, und nicht irgendwo ganz weit oben in der VIP-Lounge der Fußball-Elite schweben. Wie Sie junge Talente aufbauen, an sie glauben und sie fördern, auch wenn sie noch unerfahren sind: Sie geben Vertrauen, gestehen ihnen Fehler zu und halten auch in schwierigen Phasen zu ihnen! Dass Sie als evangelischer Christ zu Ihrem Glauben stehen, wenn Sie darauf angesprochen werden. Offenbar gibt er Ihnen eine gute Portion Abgeklärtheit („Es gibt wichtigere Dinge als Fußball.“) und Demut (Für einen Sieg beten? „Ich bitte nur um Kraft und Besonnenheit, die Dinge richtig einzuschätzen und anzugehen.“).

Jetzt in der Rückrunde scheint die Talsohle für Dortmund durchschritten; die Mannschaft hat sich vom Druck befreit, hat – von Ihnen motiviert – gekämpft und gepunktet, sich aus der Abstiegszone wieder nach oben gearbeitet. Glückwunsch dazu! Ihnen und Ihrer Mannschaft wünsche ich weiter Kraft und Kreativität! Aber ebenso den Charakter und die Menschlichkeit, die einen Fußballverein mehr sein lassen als ein Wirtschaftsunternehmen mit Profitinteresse: Die zeigen, dass es um Spiel geht, um Teamgeist, um SPORT, der Menschen verbinden kann und nicht entzweien muss.

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr,
Redaktion NEUE STADT

Unser offener Brief wendet sich an Jürgen Klopp (47), seit Sommer 2008 Trainer der Fußballmannschaft Borussia Dortmund. Zuvor war er beim 1. FSV Mainz 05, von 1990 bis 2001 als Spieler, danach als Trainer. Klopp ist in zweiter Ehe verheiratet und hat einen Sohn.

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2015)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München