„Die wollen euch doch nur bekehren!“
Die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 in New York haben das Klima zwischen Muslimen und Andersgläubigen nachhaltig geschädigt. Den vor 17 Jahren gegründeten „Christlich-Islamischen Frauenkreis“ in Münster hat das nicht gefährdet. Im Gegenteil: Ein Besuch bei den Damen vermittelt den Eindruck, sie halten zusammen wie Pech und Schwefel!
Taufe, Hochzeit, Beerdigungen: Die muslimischen Frauen haben im Lauf der Zeit an wichtigen christlichen Familienfeiern teilgenommen. Die 46-jährige Fatma Özdemir empfindet das als Zeichen der Wertschätzung und als Freundschaftsbeweis: „Eine türkische Hochzeit ist eine Massenveranstaltung, aber von Deutschen zu einer Trauung eingeladen zu werden, ist schon was Besonderes!“ Annethres Schweder, 65, erinnert sich an eine Taufe, die „‚leider’ genau im Ramadan stattfand. Danach an der Kaffeetafel haben die eingeladenen muslimischen Familien weder etwas getrunken noch Kuchen gegessen. Einige Gäste fragten: ‚Schmeckt ihnen das denn nicht?’ Und wir mussten erst einmal erklären, dass für sie gerade Fastenzeit ist.“
Die Frauen müssen schmunzeln. Sie gehen schon seit vielen Jahren einen gemeinsamen Weg. Für sie ist selbstverständlich geworden, was vielen fremd ist: Immer wieder stoßen sie auf Unwissenheit, Vorurteile, Ängste – auf beiden Seiten.
„Die Tochter einer Muslima durfte bei einer Taufe das Buch mit den liturgischen Texten und andere Gegenstände tragen“, erzählt Annethres Schweder. „Später kam eine Frau auf mich zu: ‚Ist denn die Taufe überhaupt wirksam, wenn eine Muslima dabei assistiert?’“ Frau Schweder regte an, sich in das Mädchen hineinzuversetzen: Was werden andere Muslime darüber denken, dass sie sich in einer Kirche nützlich macht? Wie werden sie reagieren? „Manchmal treibe ich das ein bisschen auf die Spitze, um deutlich zu machen: Solche Unsicherheiten sind doch nicht nötig!”
Im Rahmen der „Interkulturellen Woche“ wird im westfälischen Münster jedes Jahr ein ökumenischer Gottesdienst mit ausländischen Mitbürgern gefeiert. Für die Muslime gibt es nichts Vergleichbares. So ist 1996 auf Anregung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) ein christlich-islamischer Arbeitskreis entstanden, zu dem auch Annethres Schweder und Helga Stephany gehören. Die beiden wunderten sich, dass von muslimischer Seite ausschließlich Männer dabei waren, und luden deren Frauen zu einem Kaffeetrinken ein. „Das war 1998“, berichtet Helga Stephany, 81. „Die Begegnung war so nett, dass wir uns unbedingt wiedersehen wollten.“
Sechzehn Frauen bilden die Kerngruppe. Sie treffen sich etwa alle fünf bis sechs Wochen. Die Frauen sprechen bewusst religiöse Themen an. Aber ohne einen bestimmten Plan, hält Fatma Özdemir, 46, fest: „Die Themen entwickeln sich aus unserem Alltag: Ich hatte in der Zeitung gelesen, dass eine katholische Einrichtung einem Arzt gekündigt hatte, weil er nicht regulär verheiratet war. Das hat mich getroffen! So wollte ich mehr über das christliche Ehegelübde und das kirchliche Eherecht wissen. Umgekehrt kann zum Beispiel die Kopftuchfrage Thema sein.“
„Irgendwann habt ihr Brautkleider mitgebracht“, ergänzt Helga Stephany. „Eine Hochzeit stand vor der Tür. So sind wir über die verschiedenen Hochzeitsbräuche ins Gespräch gekommen.“
„Vorher hatte ich gedacht, das wichtigste Fest für die Christen sei Weihnachten“, wirft Fadime Eroğlu, 42, ein. „Dass für die Katholiken das Osterfest und für evangelische Christen Karfreitag der Höhepunkt im Jahr ist, hab ich erst hier erfahren und schätzen gelernt.“
An die Terroranschläge vom 11. September 2001 erinnern sich die Frauen nur zu gut. „Bis dahin hatte sich keiner über mein Kopftuch aufgeregt“, sagt Fatma Özdemir, die seit vierzig Jahren in Deutschland lebt. „Mir wurde Wertschätzung entgegengebracht, man bewunderte, dass ich meine muslimische Identität behalten und mich doch ganz in die Gesellschaft einfügen will. Beleidigungen oder Beschimpfungen kannte ich nicht. Mit dem 11. September hat sich das geändert!“
Beim anschließenden ‚Tag der offenen Moschee’ haben sich der Imam und ein evangelischer Pfarrer umarmt. „Das war ein starkes Zeichen“, kommentiert Helga Stephany. „Die beiden forderten zum Friedensgruß auf. Seitdem duzen wir Frauen uns. Im Grunde hat für uns der 11. September auch Positives gebracht, denn wir haben uns gesagt: Jetzt machen wir erst recht weiter!“
„Am Kostbarsten für mich ist der Austausch über unsere Lieblingsstellen in den Heiligen Schriften“, bekennt Annethres Schweder. „Manchmal spricht mich ein Wort im Koran bis in die Tiefe hinein genauso an wie eine Bibelstelle.“ – „Die Barmherzigkeit Gottes, dass Allah uns so annimmt, wie wir sind“, wirft Nermin Kaya, 45, ein. „Unsere Bindung an ihn: Das ist unsere Gemeinsamkeit, finde ich.“ – „Auch, dass Religion letztlich Frieden ist“, fügt Fadime Eroğlu hinzu.
In heikle Themen mit Konfliktpotential steigen sie nur mit großer Vorsicht ein, erläutert Helga Stephany: „Wir wissen, da denken wir anders; das lassen wir stehen. Das müssen wir nicht ausdiskutieren. Dafür fehlt uns die theologische Kompetenz. Wir können unsere Haltung einbringen, Zeugnis geben, aber ein Thema wie die Trinität zu verhandeln, würde uns überfordern.“
Fadime Eroğlu hat einmal von ihrer Pilgerfahrt nach Mekka berichtet: „Und Annethres hatte in der Geburtsgrotte die gleichen Gefühle empfunden. Das hat uns stark verbunden!“ Auch Fatma Özdemir meint, sie hätten mehr Berührungs- als Reibungspunkte entdeckt: „Wo wir sagen: Ja, du sprichst mir aus der Seele!“
Die Frauen sind katholisch und evangelisch, sunnitisch und schiitisch. Das bedeutet zusätzliche Feinheiten und Unterschiede in Glaubensverständnis und –praxis. Helga Stephany sieht darin eine Bereicherung: „Ich glaube, das fördert das Gespräch! Die Moschee-Gemeinschaften in Münster hatten ja untereinander kaum Kontakt. Dialog gab es da nicht.“
Manchmal kommen andere Frauen in den Kreis, Studentinnen bleiben, bis sie ihr Studium abschließen. Frauen, die ihnen erzählen wollen, wo es langgeht und wie Dialog zu funktionieren hat, sind weniger willkommen. Auch wer nur über Politik diskutieren oder provozieren will, wird es schwer haben in dem eingespielten Kreis.
Ebenso wenig ist er für bloße „Sonntagschristen“ und „Freitagsmuslime“ geeignet: Alle Frauen stehen fest im eigenen Glauben, hat Fatma Özdemir beobachtet. Ihrer Ansicht nach eine wichtige Voraussetzung, damit sich alle auf Augenhöhe begegnen können. In einem deutsch-türkischen Kulturkreis hat sie schon andere Erfahrungen gemacht: „Die deutschen Mitglieder hatten die Einstellung: ‚Diese armen Frauen müssen wir aus ihrer Unterdrückung befreien.’ Als sie verstanden, dass wir ihre Hilfe nicht brauchten, ging der Kreis schnell auseinander. Da war keine Substanz.“
„Vor einigen Wochen sollten wir bei einem Vereinsabend sprechen“, erzählt Annethres Schweder. Dabei war Fadime Eroğlu ziemlich beschimpft worden: Mohammed, der Religionsgründer, sei ein Kriegstreiber! „Ich habe bewundert, wie gelassen sie geblieben ist! – Am Ende sagten einige Teilnehmer: ‚So wie Sie beide den Abend gestaltet haben, das haben wir noch nie erlebt! Man merkt, dass Sie sich gut kennen!’ Ich glaube, das brauchen wir, wo viele meinen, Frauen mit Kopftuch könnten doch höchstens Putzfrauen sein oder Muslim sei gleich IS.“
Mittlerweile kann der Christlich-Islamische Frauenkreis sein Know-how auch öffentlich fruchtbar machen. „Mit Unterstützung der Stadt haben wir eine Broschüre über muslimische Kinder in Kindergärten erarbeitet“, so Helga Stephany. „Die hat die Stadt dann verteilt, denn viele Erzieherinnen und Lehrer haben keinen blassen Schimmer, wie sie mit den Kindern umgehen sollen.“ – „In Schulen haben wir ein Handpuppenspiel für Kinder vorgeführt, um den Ramadan zu erklären“, fügt Fatima Özdemir hinzu. „Auch in einem Mehrgenerationenhaus haben wir schon Programme zu Ramadan und christlicher Fastenzeit gestaltet“, erzählt Annethres Schweder. „Mit einem Anspiel und typischen Fastenspeisen.“
Allen Unkenrufen zum Trotz besteht der Kreis noch immer. Fatma Özdemir erzählt: „Muslimische Bekannte meinten oft: ‚Die wollen euch doch nur bekehren! Und wenn sie es nicht schaffen, werden sie sich nicht mehr für euch interessieren.’ Aber …“ – „… wir haben unser Ziel leider nicht erreicht“, wirft Annethres Schweder ein, und alle prusten los vor Lachen! Für die Frauen ist sonnenklar, dass es nicht um Missionierung gehen kann. Sonst fehlt von Anfang an die Vertrauensbasis.
„Unser Ziel ist es, uns gegenseitig besser kennenzulernen, um nicht als Muslime und Christen nebeneinander herzulaufen“, erklärt Helga Stephany. „Natürlich birgt eine so intensive Begegnung die Möglichkeit in sich, dass einer konvertiert; dass er die Religion des anderen plötzlich faszinierend findet. Und dieses Risiko kann man eingehen.“
Fatma Özdemir kommt auf die religiösen Themen zurück: „Wenn ich den anderen etwas von meinem Glauben mitteilen möchte, muss ich mich vorher nochmal schlau machen. So lerne ich meine eigene Religion intensiver kennen. Dank euch habe ich sie im Lauf der Zeit wieder neu entdeckt.“
Clemens Behr
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2015)
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