11. Dezember 2015

Gänsehaut-Momente

Von nst1

The Voice of Germany: gegen den Trend gut

Der Begriff „Castingshow“ ist bei uns nicht gerade positiv besetzt. In Großbritannien ist das anders. Viele britische Stars wurden durch Castingshows bekannt. Allein die Sendung „The X Factor UK“ brachte zum Beispiel Leona Lewis heraus (Titelsong zum Kinofilm „Avatar“), Gewinnerin 2006, Olly Murs („Heart Skips A Beat“, „Wrapped up“), Finalist 2009, und One Direction („What Makes You Beautiful“), die 2010 den 3. Platz belegten: alles mittlerweile international anerkannte Popstars! In Deutschland, Österreich und der Schweiz sucht man vergeblich vergleichbare Erfolgsgeschichten.
Aber: Auch wenn aus den vergangenen vier Staffeln kein großer Star hervorgegangen ist, gibt es über Show und Konzept von „The Voice Of Germany“ (TVOG) viel Positives zu berichten. Allem voran: Bei TVOG geht es nicht wie in anderen Castingshows darum, die Unmusikalität im Land auszuschlachten oder Menschen bloßzustellen. Das ist etwa bei „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) explizit gewollt, wenn Menschen vor die Kamera gestellt werden, die eindeutig kein Gesangstalent besitzen, um sich von Dieter Bohlen verbal fertig machen zu lassen.
TVOG ist ein Unterhaltungsformat, das Personen eine Bühne gibt, die wirklich Talent haben. Ob sie mit Musikern anderer Länder vergleichbar sind, sei dahingestellt. Mein Eindruck ist aber, dass hier nur Leute ins Fernsehen kommen, die keine Angst vor einem Vergleich haben brauchen, ebenso wenig wie die Zuschauer vor dem Fremdschämen.
Zur ersten Runde einer Staffel werden 150 Teilnehmer eingeladen. Sie treffen in den „Blind Auditions“ auf eine vielseitige Jury: Von vier Juroren müssen sie erst einmal nur einen überzeugen. Die aktuelle Jury vereint musikalische Kompetenz innerhalb verschiedener Stile und Genres wie HipHop („Fanta 4“), deutsche Rock-, Pop- und Soulmusik (Stefanie Kloß von der Band Silbermond, Andreas Bourani) und englischsprachige Country- bis Popmusik (Rea Garvey). Die Juroren sehen den Kandidaten zunächst nicht, sondern entscheiden sich allein nach dem Höreindruck für oder gegen ihn.
Der Zuschauer gewinnt das Gefühl, dass sich die Juroren tatsächlich für ihre Schützlinge interessieren und sie fördern wollen. Sympathisch ist, dass die Juroren regelrecht um die Gunst des Kandidaten kämpfen, wenn er sie musikalisch überzeugt. Denn entscheiden sich mehrere Juroren für einen Teilnehmer, muss dieser unter ihnen seinen Coach wählen, mit dessen Hilfe er in den kommenden Wochen der Show sein Können erneut unter Beweis stellen muss.
Die Sendung überzeugt damit, dass sie viele talentierte Sängerinnen und Sänger (auch Duos oder Trios) zu präsentieren weiß. Die Erkenntnis, dass schüchterne Menschen kraftvolle Stimmen und starke Persönlichkeiten traumhaft gefühlvolle Stimmen haben können, sorgt zuweilen für Gänsehaut-Momente. Vor allem dank der immer gut aufgelegten Coaches, die manchmal selbst zum Mikrofon greifen, um spontan mitzusingen, macht TVOG großen Spaß. Das gute Klima erreicht TVOG durch die spürbare Freude an der Musik und nicht durch das Bloßstellen einfacher Leute.
Simon Deregowski

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2015)
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