28. September 2016

Die zwei Seiten

Von nst1

Traumhaftes Wetter Mitte August, aber leider Flaute auf dem Bodensee: Wir sind mit fünf Jungen und drei Erwachsenen auf zwei Segelbooten unterwegs, genießen Sicht und Wetter, baden, versuchen, den geringen Wind auszukosten, und schlafen in den Kajüten unter Deck: ein Hauch von Abenteuer.
Aber auf einem Boot muss jeder mit Hand anlegen, nur dann geht es voran, nur dann erreichen alle das Ziel, nur dann macht es Spaß. Symbol für Gemeinschaft, für gegenseitige Abhängigkeit: Wir sitzen alle im gleichen Boot.
Das gilt auch im Großen: für die Flüchtlingsfrage, die Krisenherde, die Armut. Wir hängen zusammen, können uns nicht abschotten, als hätten wir nichts mit dem Leid anderer Völker zu tun. Wir hängen mit drin: mit unserer Politik, unserem Konsum, unseren Wirtschaftsbeziehungen. Wenn wir nicht zusammen Lösungen finden, werden uns die Probleme irgendwann überrollen.
Ähnlich müssen wir auf ökologischer Ebene an einem Strang ziehen. Der Dreck der einen beeinträchtigt die Lebensbedingungen aller. Kleine Beiträge, die Umweltverschmutzung zu mindern, wie die „Seekühe“ zur Säuberung der Meere, kommen allen zugute.
Auch in Europa sitzen wir in einem Boot. Aber da jeder in eine andere Richtung rudert, geht es nicht voran. Wilhelm Rauscher aus Freiburg hat sich nach dem Brexit Gedanken gemacht, wo es hakt und wie Europa wieder auf Kurs kommen kann. Einen Schlüssel für ein besseres Zusammenspiel zwischen Menschen unterschiedlicher Kirchen, Glaubenspraxis und Nationalität hat das Netzwerk „Miteinander für Europa“ in der Versöhnung gefunden. Auf einem Kongress und einer Kundgebung in München hat das Netzwerk seine Erfahrungen damit vorgestellt..
Jede Medaille hat zwei Seiten, sagt man: eine gute und eine schlechte. Bei den Olympischen Spielen in Rio war das offensichtlich: Wenn Sportler Doping betreiben und so Konkurrenz und Publikum betrügen; wenn Funktionäre korrupt sind; wenn das heimische Publikum Wettkämpfer anderer Länder auspfeift und niederbrüllt, dann ist das unfair und gegen den olympischen Geist – die schlechte Seite der Medaille.
Die „gute“ Seite kam beispielsweise beim Turner Andreas Toba zum Vorschein, der trotz Kreuzbandriss unter Schmerzen noch eine Übung durchzog. Sicher, das hat auch fragwürdige Aspekte, aber sein Ziel, die Qualifikation seiner Mannschaft für das Finale nicht zu gefährden, zeugt von Teamgeist: Respekt!
Dass Gewinnen nicht alles ist, haben die Neuseeländerin Nikki Hamblin und die US-Läuferin Abbey D’Agostino im 5000 Meter-Halbfinale bewiesen: Nach einem Sturz halfen sich die Athletinnen gegenseitig und nahmen dabei Nachteile für die eigenen Chancen in Kauf. Ihr Fairplay wurde belohnt: Die Wettkampfrichter ließen beide für das Finale zu.
Wir sitzen in einem Boot. Ob wir andere auspfeifen oder ihnen zu Hilfe kommen, ob wir als Einzelkämpfer oder Team auftreten: Unser Verhalten wird wahrgenommen und hat Auswirkungen. Oft haben wir es in der Hand: Entscheiden wir uns dann für die „gute Seite der Medaille“!
Ihr

Clemens Behr

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2016)
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