24. Mai 2017

Machtdemonstrationen

Von nst5

Offener Brief an Donald Trump 

Sehr geehrter Herr Präsident,

ja, schön wär’s, wenn die von Ihnen angeordneten Raketenangriffe auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt einen Befriedungsprozess in dem kriegsgeplagten Land auslösen würden. Es wäre auch schön, wenn die von Ihnen losgeschickten Kriegsschiffe den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un zur Raison brächten und er fortan auf atomare Provokationen verzichtete. Momentan scheint beides zu schön, um wahr zu werden!

Viele Politiker in Europa haben sich in der Syrien-Attacke hinter Sie gestellt. Schnell haben sie Präsident Assad als Schuldigen für die unsäglichen Giftgasangriffe ausgemacht, obwohl sie keine Belege hatten. Viele Medien haben diese Schuldzuweisung unkritisch übernommen. Dabei gilt der Luftschlag auf die Militärbasis als völkerrechtswidrig. Als Vergeltungsschlag können Sie ihn nicht verkaufen, denn Ihr Land war von der Chemiewaffenattacke nicht betroffen. Das völkerrechtliche Verbot von Giftgaseinsätzen aber mit einem völkerrechtlich nicht gedeckten Raketenbeschuss durchsetzen zu wollen, ist paradox. Ebenso paradox wirkt es, die gasvergifteten Opfer rächen, aber im eigenen Land keine syrischen Flüchtlinge aufnehmen zu wollen.

Mit dem Luftschlag auf die Militärbasis ist Ihnen ein Überraschungscoup gelungen. Aber hatten Sie Ihren Wählern nicht versprochen, die USA nicht in internationale Krisen hineinzuziehen? Hatten Sie Ihren Vorgänger Obama bei seinem Einsatz 2013 in Syrien nicht gewarnt, das werde für die USA nur Scherereien bringen? Offenbar haben Sie jetzt eine radikale Kehrtwende vollzogen. Aber verfolgen Sie damit ein Ziel? Verständlich, dass Sie Assads Kriegstreiben einbremsen und den syrischen Verbündeten Russland und Iran Ihre Macht demonstrieren wollen. Aber der Coup scheint ein Schnellschuss zu sein, eine Strategie ist nicht in Sicht.
Ihre Unberechenbarkeit kann Vorteile bringen. Aber die Akteure im Syrienkrieg wie in Nordkorea sind ebenso unberechenbar! Was, wenn Assad mit seinen Verbündeten zurückschlägt mit der Begründung, sich damit vor den USA zu verteidigen? Was, wenn Nordkorea Atomsprengköpfe abschießt? Vielleicht wollen Sie mit den außenpolitischen Machtspielen ja auch nur Ihre Landsleute vom Mangel an innenpolitischen Erfolgen ablenken?
Ihre Macht sollten Sie besser nutzen! Damit sollten Sie statt der Kriegsmaschinerie lieber die diplomatischen Wege ausbauen, selbst wenn die länger und komplizierter zu beschreiten sind. Zum Beispiel hätte sich Ihr Land im UN-Sicherheitsrat dafür stark machen können, den Giftgasanschlag möglichst schnell zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Mir imponiert Ihr Wille, Probleme zügig anzupacken, Entscheidungen zu fällen und dabei unkonventionelle Wege zu gehen. Damit begeistern Sie viele Menschen für Politik, die sich schon lange nicht mehr von den Politikern vertreten fühlen. Derartige Alleingänge aber sind hochriskant! Und es ist fraglich, ob sie in einer auf vielfältige Weise vernetzten und verwobenen Welt zu einem Frieden von nennenswerter Dauer und einem tragfähigen wirtschaftlichen oder menschlichen Fortschritt beitragen können.

Mit freundlichen Grüßen,
Clemens Behr,
Redaktion NEUE STADT

Donald Trump
Der 1946 in New York geborene Unternehmer ist seit dem 20. Januar 2017 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Anfang April ließ er nach einem Giftgasanschlag in Chan Schaichun im Nordwesten Syriens mit über 80 Toten auf einen syrischen Militärflughafen 59 Marschflugkörper abfeuern. Außerdem entsandte er von Singapur aus einen Flugzeugträger mit Begleitschiffen Richtung Nordkorea. Die dortige kommunistische Regierung hatte erneut Testraketen abgeschossen, die auch Atomsprengköpfe transportieren können, und damit gegen UN-Resolutionen verstoßen.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai/Juni 2017)
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