Verhinderte Gefühle
Gefühle in sich zuzulassen oder gar anderen zu zeigen, fällt in unserer Gesellschaft eher schwer. Obwohl es uns sympathischer und authentischer erscheinen ließe, verbergen wir sie oft. Was haben wir davon, wenn wir uns Gemütsbewegungen zugestehen und sie zu erkennen geben? Kann man das lernen?
Ulrich Busch
Diplom-Psychologe in Weilrod, Hessen
Fast unsere gesamte Gehirnaktivität ist darauf ausgerichtet, etwas zu hemmen: Übermut, Körpertemperatur, zu viel Aktivität… Da ist klar, dass auch Emotionen gehemmt sind. Die heutige Hektik bewirkt, dass ich kaum auf meine Emotionen achte. Ich verliere mich selbst; meine Mimik wirkt nur gespielt, ist nicht herzlich, nicht von innen heraus. Emotionen wirken aber als Kraft und Intensität, mit der ein Gedanke vorangetrieben wird. Wenn ich die Emotion gar nicht wahrnehme, beraube ich mich zugleich der Kraft, die in mir wohnt.
Gespräche führen, Beziehungen pflegen ist viel einfacher, wenn man sich ehrlich offenbart. Inhalt, Mimik und Gestik passen dann wie von selbst zusammen. Der andere versteht schneller, was ich von ihm will; Handlungsabläufe innerhalb der Beziehung werden reibungsloser.
Gefühle lassen sich wahrnehmen, wenn man achtsam beiseitetritt, sich selbst in dem Moment wichtig nimmt und auf die Regungen des Körpers achtet. Dann vermag ich meine Bedürfnisse und Emotionen im Keim zu spüren. Erst, wenn ich merke, dass ich verletzt bin, kann ich auch ausdrücken und in die richtigen Worte fassen, was mich verletzt. Je deutlicher ich vorher für mich die Gefühle benenne, desto klarer und intensiver ist die Wirkung meiner Emotion in Sprache und Ausdruck.
Katharina Wild
Theaterwissenschaftlerin, Köln
In Theater und Film spielen Gefühle eine zentrale Rolle. Die ganze klassische Schauspieltradition dreht sich um das Reproduzieren von Gefühlen. Lange Zeit war es erklärtes Ziel, im Zuschauer Emotionen hervorzurufen. Dies kann befreiende Wirkung haben, wie in der von Aristoteles propagierten Katharsis der antiken Tragödie. Dort sollten die Zuschauer durch Rührung und Schrecken geläutert werden. Es kann jedoch auch dazu führen, dass das Publikum im Mitgefühl versinkt. Bertolt Brecht war solch selbstvergessene Einfühlung zuwider. Spruchbänder mit der Aufschrift „Glotzt nicht so romantisch!“ prangten bei einer seiner ersten Inszenierungen über der Bühne.
Theater und Film spielen mit Gefühlen – zuweilen auch mit denen des Publikums. Dies ist berechtigt und hat mitunter positive Effekte. Wichtig ist jedoch, dass sich der Zuschauer bewusst macht, dass die hervorgerufenen Emotionen kalkuliert sind. Oft wundere ich mich über mich selbst, wenn mir im Kino die Tränen kommen, obwohl ich genau weiß, mithilfe welcher dramaturgischen Mechanismen die Filmemacher mein Gefühl von Rührung oder Traurigkeit hervorgebracht haben. Zugleich schätze ich Theater und Kino aber als einen Ort, an dem Emotionen einen festen Platz haben.
Elli und Dirk von der Heide
Ehepaar, 3 Kinder, Friedberg
Der (richtige) Umgang mit unseren Gefühlen ist zuallererst eine Herausforderung innerhalb unserer Paar-Beziehung. Denn wir sind von unseren Elternhäusern her mit unterschiedlichen Herangehensweisen hinsichtlich zulassen, erkennen, benennen und „darüber“ sprechen ausgestattet. So hat es einige Jahre gedauert, bis wir die meisten Gefühlsausdrücke des jeweils anderen erlernt und zum Teil auch schätzen gelernt haben. Das Verständnis der eigenen „Sprache“ und der Sprache des anderen hilft, mit sich selbst zuerst im Klaren und anschließend auch im Reinen zu sein. Das macht uns ausgeglichener.
Aus diesem stetigen Ringen um eine gemeinsame und gute Sprache für und über unsere Gefühle entsteht auch unser Wunsch, unsere Kinder gut und umfassend in reflektierten Kontakt mit ihren eigenen Gefühlen zu bringen. Durch aktive Reflexion und gezielte Fragen versuchen wir immer wieder, ihnen eine Sprache für Gefühle zu eröffnen. Indem wir nicht nur unseren Ärger, sondern gerade auch unsere Ängste, Liebe, Freude, Glücksmomente, unseren Stolz und unser Mitgefühl zeigen und benennen, hoffen wir, dass sich unsere Kinder ein umfassendes Rüstzeug für den Umgang mit Emotionen aneignen können.
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(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2017)
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