25. September 2018

Gentrifizierung

Von nst5

Gerade in Diskussionen um fehlenden Wohnraum sprechen Politiker und Städteplaner oft von „Gentrifizierung“. Was verbirgt sich dahinter?

Was bedeutet Gentrifizierung?
1964 beschrieb die britische Stadtsoziologin Ruth Glass damit den Zuzug von Mittelschichtfamilien in den ursprünglich vor allem von Arbeitern bewohnten Londoner Stadtteil Islington, der sich so in seiner sozialen Struktur veränderte. Glass sah dabei eine Analogie zu Vorgängen im 18. Jahrhundert, als Teile des niederen Adels (Gentry) vom Rand der Städte zurück in die Zentren zogen.
Der Begriff charakterisiert solche Veränderungsprozesse und den Wechsel zu finanzkräftigeren Bewohnern. Oft geht das mit baulicher Aufwertung, Veränderungen der Eigentümerstruktur und steigenden Mietpreisen einher.

Wie läuft es ab?
Ausgangssituation sind häufig leerstehende Gebäude, die „Kreative“ als Ateliers und für preiswertes Wohnen nutzen. Dies wandelt zuvor unattraktive Viertel in „Szene-Quartiere“, die öffentliche Aufmerksamkeit und Begehrlichkeiten auf sich ziehen. Die alteingesessene, geringverdienende Bevölkerung wird verdrängt. In der Regel sind innerstädtische Viertel betroffen. Wie schnell die Prozesse voranschreiten, hängt stark von anderen Faktoren wie etwa den Mietgesetzen ab.
Die Prozesse sind langsam und schleichend, kündigen sich jedoch an. Zu unterscheiden sind jene, die durch aktive Maßnahmen, wie städtebauliche Aufwertung, ausgelöst werden und solche, die von sich langsam verändernden „hippen“ Nutzungen ausgehen.

Wie ist Gentrifizierung zu bewerten?
Sie ist nicht per se schlecht. Gemäßigt kann sie in Gebieten „sozialer Monostrukturen“ zu mehr sozialer Mischung führen und so stabilisierend wirken. Aber auch wenn die Prozesse in Intensität, Umfang und Dynamik unterschiedlich verlaufen, geschieht dies selten konfliktfrei. Werden einkommensschwache Haushalte verdrängt, finden sie nicht einfach an anderer Stelle neuen Wohnraum; die Betroffenen hatten oft lange in ihrer Umgebung gelebt und müssen nun weg; kommunale Haushalte werden belastet, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Kann man etwas „dagegen” tun?
Kommunen sollten die Dynamik auf dem Wohnungsmarkt gut beobachten. Im besten Fall agieren sie ausgleichend, erkennen Entwicklungen früh und können entgegenwirken oder auf ein verträgliches Maß abschwächen (u.a. Milieuschutzsatzung, kommunale Wohnraumstrategie). Mietsteigerungen können so verhindert oder zumindest verringert werden. Bei von Kommunen angestoßenen nötigen Aufwertungsprozessen sollte man darauf achten, dass im Schatten der Maßnahmen keine Luxussanierungen stattfinden. Die Aufwertung städtischer Quartiere kann auf vielen verschiedenen Ebenen erfolgen, nicht nur der städtebaulichen. Wichtig ist, die Prozesse zusammen mit den Bewohnern zu gestalten.

Warum gibt es die Debatte darum immer wieder?
Stärkster Treiber ist die soziale und bauliche Aufwertung von Quartieren sowie der Druck auf den Wohnungsmarkt aufgrund der stark steigenden Nachfrage an Wohnraum. Auch internationale Faktoren spielen eine Rolle, wie Finanzinvestoren auf unserem Immobilienmarkt.
Zu beachten ist: Der Organismus Stadt ist ständig in Bewegung. Viertel mit zweifelhaftem Ruf entwickeln sich zu Szenetreffs. Andersherum verlieren ehemals angesagte Viertel ihre Anziehung. Dieser Dynamik folgen auch die Grundstücks- und Mietpreise.
Johannes Dörle

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2018)
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