23. Januar 2020

Liebe muss anfassbar sein!

Von nst5

Standpunkt

Das Charisma von Chiara Lubich hat einen ganzheitlichen Ansatz, der mich von Jugend an fasziniert hat, und ist keine rein spirituelle Angelegenheit. Es ist auf Beziehung, auf Dialog, auf Gemeinschaft angelegt – wenn man sich davon treffen lässt, hat das ganz konkrete gesellschaftliche, soziale und politische Auswirkungen. Das war schon in Trient so: Chiara Lubich wollte mit denen, die sich ihr anschlossen, Lösungen für die sozialen Probleme der Stadt finden. Das war nicht geplant – es ergab sich „von selbst“, aus dem Leben und den Beziehungen. Ich würde sogar sagen: Das Leben aus dieser Spiritualität muss Sichtbares, Konkretes, Anfassbares, Erzählbares hervorbringen. In diesem Charisma steckt sehr viel Potenzial, das bisher noch nicht voll zur Geltung gekommen ist. Ich glaube, dass die Fokolar-Bewegung es nur im Kontakt mit der Gesellschaft, ihren Fragestellungen und Problemen ahnen, verstehen und fruchtbar machen kann.
Mich persönlich und viele andere im „Starkmacher“ drängt dieses Leben dazu, in unserer doch sehr individualisierten Gesellschaft immer wieder und immer neu Gemeinschaft zu schaffen, nicht nur Brückenbauer zu sein, sondern Gemeinschaftsstifter: Raum schaffen, in dem man stärken-orientiert dem Anderen begegnet, sodass er dann selbst aktiv werden kann. Starkmacher sein ist eine Art Coaching, bei dem wir die Talente der jungen Menschen anschauen – nicht ihre Defizite. Es bedeutet, ihnen viel Vertrauen zu schenken. Das geht mal gut, mal nicht, aber so spüren sie sich geschätzt, trauen sich etwas zu und gehen dann selber aktiv ihre Zukunft an.
Faszinierend und in der DNA der Spiritualität grundgelegt ist die Dialogfähigkeit. Sie befähigt, mit allen ins Gespräch zu kommen: mit dem „Sich-Einsmachen“, Zuhören, sich auf den anderen einlassen, ihn als Geschenk wahrnehmen. Das schließt andere Kulturen ein. Im Blick auf die zunehmende Radikalisierung und den Umgang mit Fremden in unserer Gesellschaft ist das ein Talent, das sehr gebraucht wird. Wer im Bewusstsein lebt, Teil einer großen Menschheitsfamilie zu sein – und nichts anderes lehrt die Spiritualität – kann nicht abschätzig über andere reden, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben, aus einem anderen Land kommen. Man kann nicht gleichgültig bleiben, muss sich einmischen, aufstehen und diese neue Gesellschaft – oder wie Lubich sagt: Gottes Reich unter uns – aufbauen.
Im gesellschaftlichen (vielleicht auch im kirchlichen) Bereich stehen wir da noch am Anfang, haben in den letzten Jahren zu wenig sichtbar, anfassbar, erlebbar gemacht und das, was vorhanden ist, zu wenig vernetzt. Auch das scheint mir typisch für die Spiritualität: dass man das Positive in anderen Initiativen und Projekten wahrnehmen, ans Licht heben und damit viel für das „gemeinsame Gestalten“ tun kann.
Schon sichtbare Zeichen sind für mich die sozialen Werke der Bewegung, die in ihrem jeweiligen sozialen und kulturellen Umfeld vorzeigbar sind. Und – egal wo ich unterwegs bin – Hoffnung macht mir: Wenn drei, vier Menschen sich in diesem Spirit zusammensetzen und etwas anpacken, hat das Kraft und Ausstrahlung. Denn in der Haltung der gegenseitigen Liebe – mit Jesus in der Mitte – zu leben, bewirkt etwas. So kann man dorthin kommen, Gott dort erfahrbar machen, wo Kirche im engeren Sinn vielleicht nie hinkommen kann. Das ist großartig.

Mathias Kaps
Jg. 1965, kennt die Fokolar-Bewegung seit seiner Jugend und gründete 2006 zusammen mit anderen den „ Starkmacher e.V.“. Der bietet non-formale Bildungsangebote für Jugendliche und junge Erwachsene mit dem Ziel, deren Potenziale für die Gesellschaft zu wecken und zu fördern. Inzwischen hat der Verein ein breites Netzwerk aufgebaut und national, auf EU-Ebene und weltweit zahlreiche Projekte umgesetzt. Nach seinem Rückzug aus dem Vorstand hat Kaps die „ Starkmacher Impact GmbH“ gegründet.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2020)
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